Leitsatz (amtlich)
§ 1626a II BGB regelt eine widerlegliche Vermutung, also ein gesetzliches Leitbild, das zur Geltung zu bringen ist, wenn Einwände ausbleiben oder nicht überzeugen. Einer positiven Feststellung der Kindeswohldienlichkeit und dafür erforderlicher Tatsachen bedarf es nicht.
Es obliegt nicht dem Antragsteller, eine durch die begehrte Entscheidung bewirkte günstige Entwicklung darzulegen, sondern der Antragsgegner hat Anhaltspunkte und eine darauf beruhende ungünstige Prognose darzulegen. Gelingt ihm dies nicht oder unterbleibt jeder Vortrag zur Entwicklung des Kindeswohls, so ist der Antrag begründet.
Die gesetzliche Vermutung verbietet eine Ablehnung des auf die gemeinsame Sorge gerichteten Antrages, wenn sich neben dem dürftigen Vortrag der Beteiligten keine für die gemeinsame Sorge sprechenden Gründe ermitteln lassen sollten. Solcher Ermittlungen bedarf es nicht. Allein Anhaltspunkten, die gegen die gemeinsame Sorge sprechen könnten, hätte das Gericht von Amts wegen nachzugehen.
§ 155a III 1, IV 1 FamFG ist zu entnehmen, dass die gemeinsame Sorge nicht verheirateter Eltern in einem schnellen, schriftlichen Verfahren durchgesetzt werden soll. Nur wenn Gründe bekannt werden, die gegen die gemeinsame Sorge sprechen, sind sie in mündlicher Verhandlung zu erörtern und zu prüfen. Eine der gesetzlichen Vermutung des § 1626a II BGB entsprechende Entscheidung soll ohne mündliche Verhandlung ergehen können.
Verfahrensgang
AG Zossen (Beschluss vom 30.08.2013; Aktenzeichen 6 F 426/13) |
Tenor
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des AG Zossen vom 30.8.2013 wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten ihres Rechtsmittels.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3.000 EUR festgesetzt.
Gründe
Der Antragsteller und die Antragsgegnerin streiten um die elterliche Sorge für ihr gemeinsames, im Februar 2008 geborenes Kind.
I. Der Antragsteller und die Antragsgegnerin sind die nicht verheirateten Eltern ihres im Februar 2008 geborenen Kindes. Sorgeerklärungen gaben sie nicht ab. Der Antragsteller und die Antragsgegnerin trennten sich voneinander und wohnen seitdem in zwei verschiedenen Wohnungen im selben Haus.
Der Antragsteller hat die Übertragung der elterlichen Sorge auf beide Eltern gemeinsam beantragt. Die Antragsgegnerin hat innerhalb der ihr gesetzten Frist nichts eingewandt.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das AG dem Antrag stattgegeben. Der gemeinsamen Sorge entgegenstehende Gründe seien weder vorgetragen noch ersichtlich.
Die Antragsgegnerin begründet ihre Beschwerde mit dem Vortrag, der Antragsteller sei zu vernünftiger Kommunikation nicht bereit und wolle die elterliche Sorge zur Machtausübung missbrauchen.
Auf den Bericht des Verfahrensbeistandes vom 30.8.2014 (Bl. 133 ff.) wird verwiesen.
Wegen des weiteren Vortrages der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze und die Anlagen Bezug genommen.
II. Die Beschwerde ist unbegründet.
Die elterliche Sorge ist beiden Eltern gemeinsam zu übertragen, weil dies dem Kindeswohl nicht widerspricht (§ 1626a II BGB).
1. Die Tatbestandsformulierung, eine Sorgeübertragung anzuordnen, wenn dies dem Kindeswohl "nicht widerspricht" (§§ 1626a II 1, 1680 II BGB), ist durch das Gesetz vom 16.4.2013 (BGBl. I, 795) neu eingeführt worden.
a) Der materiell rechtliche Maßstab, der sich aus der Auflösung der doppelten Verneinung ergibt - nicht widerspricht heißt entspricht -, ist der gleiche, wie in den zuvor geltenden Fassungen der §§ 1671, 1680 II 1 BGB, die verlangten, die Entscheidung solle dem Kindeswohl dienen. Dennoch sind mit der Neufassung grundlegende Rechtsänderungen bewirkt worden. Mit der klassischen Methode der doppelten Verneinung gibt das materielle Recht die verfahrensrechtlichen Anforderungen an die sog. negative Kindeswohlprüfung vor: Einer positiven Feststellung der Kindeswohldienlichkeit und dafür erforderlicher Tatsachen bedarf es nicht (NK-BGB-Kemper, 8. Aufl. 2014, § 1626a Rz. 5; Zöller-Lorenz, ZPO, 30. Aufl. 2014, § 155a FamFG Rz. 1). Wenn keine Gegengründe festgestellt werden können, ist die gemeinsame Sorge anzuordnen (§ 1626a II 1 BGB), also die Teilhabe auch des nichtehelichen Vaters an der elterlichen Sorge. Damit ist eine widerlegliche Vermutung eingeführt, also ein gesetzliches Leitbild, das zur Geltung zu bringen ist, wenn Einwände ausbleiben oder nicht überzeugen: Gibt einer der Elternteile durch seinen einseitigen Antrag zu erkennen, dass er die gemeinsame Sorge vorziehe, so spricht die Vermutung für deren Kindeswohldienlichkeit (Erman-Döll, BGB, 14. Aufl. 2014, § 1626a Rz. 10; Palandt/Götz, BGB, 73. Aufl. 2014, § 1626a Rz. 13; NK-BGB-Kemper, § 1626a Rz. 5). Nur wenn sich aus dem Vortrag des anderen oder aus anderen Erkenntnisquellen Gegengründe ergeben, darf es bei der Alleinsorge der Mutter bleiben (§ 1626a III BGB).
b) Die verfahrensrechtliche Flankierung beugt jedem Missverständnis vor: § 1626a II 2 BGB benennt die Vermutung ausdrücklich und lässt sie davon abhängen, dass der andere, nicht antragstellende Elternteil Grün...