Entscheidungsstichwort (Thema)
Ablehnung eines Richters wegen Befangenheit: Dauer eines Verfahrens und Prozessleitung als Befangenheitsgrund
Normenkette
ZPO §§ 42, 397, 402, 411 Abs. 3
Verfahrensgang
LG Neuruppin (Beschluss vom 08.09.2011; Aktenzeichen 1 O 32/05) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde Klägers vom 13.2.2012 wird der Beschluss des LG Neuruppin vom 8.9.2011 - 1 O 32/05 - aufgehoben.
Die Ablehnung des Vorsitzenden Richters am LG ... wird für begründet erklärt.
Gründe
Die sofortige Beschwerde ist statthaft und im Übrigen in verfahrensrechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden (§§ 46 Abs. 2, 567, 569 ZPO). Die Beschwerde ist auch begründet.
Die Besorgnis der Befangenheit besteht, da objektive Gründe vorliegen, die in ihrer Gesamtwürdigung vom Standpunkt des Klägers bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber, ohne dass rein subjektive, unvernünftige Vorstellungen des Ablehnenden vorliegen. Es kommt dabei nicht darauf an, ob der Richter wirklich befangen ist. Entscheidend ist allein, ob aus der Sicht des Ablehnenden genügend objektive Gründe vorliegen, die nach der Meinung einer ruhig und vernünftig denkenden Partei Anlass geben, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (Zöller/Vollkommer, 28. Aufl., § 42 Rz. 9 m.w.N.). Es kommt auch nicht darauf an, ob sich der Richter selbst für befangen hält. In Zweifelsfällen ist im Sinne einer Stattgabe des Ablehnungsgesuchs, nicht seiner Zurückweisung zu entscheiden (Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 42 Rz. 10; Hüsstege in Thomas/Putzo, ZPO, 32. Aufl., § 42 Rz. 9; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 69. Aufl., § 42 Rz. 12 f.).
Die gebotene Würdigung der Gesamtumstände gibt hier nach Meinung einer ruhig und vernünftig denkenden Partei Anlass an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln. Die Maßnahmen zur Verfahrensleitung in ihrer Gesamtschau sowie die bisherige Dauer des Verfahrens sind objektive Gründe im o.g. Sinne, nicht dagegen die Rechtsauffassung des Richters.
Die Verfahrensdauer des seit dem 5.4.2005 rechtshängigen Prozesses ist ein nachvollziehbarer Anlass für die Besorgnis des in eigener Sache auftretenden Klägers. Dazu gehört die Leitung des Verfahrens zwischen der Übersendung des Gutachtens am 27.4.2006 an die Parteien und dem Beweisbeschluss vom 18.12.2006. Die Parteien hatten zuvor bis 12.9.2006 Stellung genommen, erst am 18.12.2006 erging jedoch ein weiterer Beweisbeschluss. Entgegen dem Vorbringen des Klägers sind zwar nicht 8 Monate ohne eine Tätigkeitwerden des Richters bis zum Erlass eines weiteren Beweisbeschlusses vergangen, da der Richter den Parteien das rechtliche Gehör zu den Ausführungen des Sachverständigen ordnungsgemäß eingeräumt hat, sondern 3 Monate. Dies mag zunächst seine Ursache in dem Umfang und auch der Schwierigkeit der Sache gehabt haben. In der Folgezeit setzte sich diese Vorgehensweise jedoch fort. Der Schriftsatz des Klägers vom 27.11.2008 führte nach den im Laufe des Dezember 2008 eingegangenen Stellungnahmen der Verfahrensbeteiligten zu einem Beschluss über die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs gegen den Sachverständigen am 8.4.2009, mithin ebenfalls nach 3 Monaten. Zur Gegenvorstellung des Klägers vom 1.10.2009 gegen den Beweisbeschluss vom 14.9.2009 haben die Parteien bis 19.10.2009 Stellung genommen. Am 11.12.2009 erfolgte ein telefonischer Hinweis des Richters zu beabsichtigten weiteren Vorgehensweise an den Kläger, mithin nach annähernd 2 Monaten.
Die gebotene Würdigung der Gesamtumstände hat ebenfalls die Nichtbefolgung des Antrages des Klägers auf Anhörung des Sachverständigen zu berücksichtigen. Dem Kläger steht das Recht auf Anhörung des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung gem. § 411 Abs. 3 ZPO sowie § 402 i.V.m. § 397 ZPO zu (Zöller, a.a.O., § 411 Rz. 5a). Einem entsprechenden Antrag des Klägers ist daher grundsätzlich Folge zu leisten, eine Nichtbeachtung verletzt diesen in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 69. Aufl., § 411 Rz. 10.). Auch wenn zu berücksichtigen ist, dass der Richter den Antrag des Klägers auf Anhörung des Sachverständigen nicht nicht beachtet oder ohne Gründe zurückgewiesen, sondern sich mit den Einwendungen des Klägers auseinandergesetzt hat, das Ergebnis dieser Auseinandersetzung in seinen rechtlichen Hinweisen zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung detailliert dargelegt und dem Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat, bleibt die Nichtbefolgung des Antrages auf Anhörung des Sachverständigen prozessual fehlerhaft. Dies ist unter den vorstehenden Umständen keinen solch grober Verfahrensverstoß, der isoliert betrachtet, bei vernünftiger Betrachtung Misstrauen gegen die unparteiliche Amtsausübung rechtfertigen kann, in der Gesamtschau jedoch die Zweifel des Klägers begründen, zumal zugleich ein rechtlicher Hinweis an den Kläger ergangen ist, der das bereits mit der Klage erfolgte Vorbringen nicht berücksicht...