Leitsatz (amtlich)

›1. Grundsätzlich handelt es sich bei den Fristen zur Einlegung und zur Begründung der Berufung um zwei unabhängig voneinander laufende Fristen. Für beide Fristen gilt, dass sie durch die Anbringung eines bloßen Prozesskostenhilfegesuchs (ohne gleichzeitige unbedingte Einlegung bzw. Begründung des Rechtsmittels) nicht gewahrt werden.

2. Das durch die Bedürftigkeit der die Einlegung eines Rechtsmittels beabsichtigenden Partei bedingte Unvermögen, einen Rechtsanwalt mit der notwendigen Vertretung zur Vornahme der fristwahrenden Prozesshandlungen zu beauftragen, kann lediglich ein unverschuldetes Hindernis bei der Fristwahrung im Sinne des § 233 ZPO darstellen.

3. Die Berufungsbegründungsfrist wird durch die Versäumung der Berufungsfrist und das dadurch ausgelöste Wiedereinsetzungsverfahren grundsätzlich nicht berührt.

4. Zwar ist nicht ausgeschlossen, dass ein Prozesskostenhilfegesuch gleichzeitig die Berufungsbegründung darstellt, sofern sich dies aus dem Zusammenhang und den Begleitumständen ergibt. Hierzu ist allerdings erforderlich, dass der Schriftsatz auch zur Begründung bestimmt ist, d.h. ein dem entgegenstehender Wille des Berufungsführers zumindest nicht erkennbar wird.‹

 

Verfahrensgang

AG Cottbus (Entscheidung vom 10.06.2002; Aktenzeichen 53 F 193/01)

 

Gründe

I.

Die Berufung des Beklagten richtet sich gegen das am 10.06.2002 verkündete, ihm am 12.06.2002 zugestellte Urteil des Amtsgerichts Cottbus, durch das er zur Zahlung von Kindesunterhalt für seinen im streitgegenständlichen Zeitraum noch minderjährigen Sohn verurteilt worden ist. Mit Schriftsatz seiner beim Berufungsgericht zugelassenen Bevollmächtigten vom 09.07.2002, eingegangen beim Oberlandesgericht am Folgetag, beantragte er für die beabsichtigte Berufung die Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Dem Schriftsatz war - neben den zur Prüfung der Bedürftigkeit des Antragstellers erforderlichen Unterlagen - eine als Entwurf gekennzeichnete und nicht unterschriebene Berufungsbegründung unter Hinweis beigefügt, dass sich hieraus die hinreichende Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung ergäbe. Gleichzeitig wurde ein Antrag auf Wiedereinsetzung nach Entscheidung über die begehrte Prozesskostenhilfe angekündigt. Mit Beschluss des Senats vom 28.11.2002, der dem Beklagten am 16.12.2002 zugestellt worden ist, wurde ihm teilweise Prozesskostenhilfe bewilligt. Am 28.12.2002 ging beim Oberlandesgericht die mit einer Begründung versehene Berufungsschrift der Prozessbevollmächtigten des Beklagten vom selben Tage sowie das Gesuch um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand "gegen die Versäumung der Berufungsfrist" ein. Diesem Gesuch gab der Senat mit Beschluss vom 20.01.2003 statt. Eingehend bei Gericht am 28.01.2003 erhob der Berufungskläger eine Gegenvorstellung bezüglich des (ihm teilweise Prozesskostenhilfe versagenden) Beschlusses des Senats vom 28.11.2002 und kündigte "im Rahmen der durch die Prozesskostenhilfebewilligung und nachfolgendem Wiedereinsetzungsantrag noch laufenden Berufungsbegründungsfrist" eine Berufungserweiterung an. Nachdem im nachfolgenden Schriftsatzwechsel die Frage der Versäumung der Berufungsbegründungsschrift erörtert worden war, beantragte der Berufungsbeklagte schließlich am 27.02.2003 auch insoweit die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

II.

Die Berufung des Beklagten, die sich gemäß § 26 Ziff. 5 EGZPO nach neuem Prozessrecht beurteilt, war nach §§ 522 Abs. 1, Satz 2, 520 Abs. 2, Satz 1 ZPO zu verwerfen, da sie nicht rechtzeitig innerhalb der Berufungsbegründungsfrist von zwei Monaten ab Zustellung des angefochtenen Urteils begründet worden ist.

Grundsätzlich handelt es sich, wie schon nach altem Recht, bei den Fristen zur Einlegung und zur Begründung der Berufung um zwei unabhängig voneinander laufende Fristen (vgl. BGH, MDR 2001, 1072; Zöller-Gummer, ZPO, 23.Auflage, § 520, Rn. 14), wobei diejenige zur Berufungsbegründung nun - anders als in § 519, Abs. 2, Satz 2 ZPO a.F. - nicht mehr mit der Einlegung des Rechtsmittels, sondern ebenso wie die Berufungsfrist selbst mit der Zustellung der erstinstanzlichen Entscheidung zu laufen beginnt - § 520 Abs. 2, Satz 1 ZPO n.F. -. Für beide Fristen gilt, dass sie durch die Anbringung eines bloßen Prozesskostenhilfegesuchs (ohne gleichzeitige unbedingte Einlegung bzw. Begründung des Rechtsmittels) nicht gewahrt werden. Das durch die Bedürftigkeit der die Einlegung eines Rechtsmittels beabsichtigenden Partei bedingte Unvermögen, einen Rechtsanwalt mit der notwendigen Vertretung zur Vornahme der fristwahrenden Prozesshandlungen zu beauftragen, kann lediglich ein unverschuldetes Hindernis bei der Fristwahrung im Sinne des § 233 ZPO darstellen (vgl. Zöller-Greger, a.a.O., § 233, Rn. 23 "Prozesskostenhilfe; Thomas/Putzo, ZPO, 24. Auflage, § 233, Rn 36 ff.), sodass ihr auf entsprechenden Antrag hin bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen nach Entscheidung über die Prozesskostenhilfe Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist. Auch im vorliegenden Fall ist die...

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