Verfahrensgang
LG Potsdam (Entscheidung vom 22.12.2020) |
Tenor
1. Auf die (sofortige) Beschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der Kammer für Rehabilitierungsverfahren des Landgerichts Potsdam vom 22. Dezember 2020 aufgehoben.
2. Der Beschluss des Rates der Stadt Königs-Wusterhausen (Jugendhilfeausschuss) vom 17. Februar 1981, mit dem die Unterbringung der Betroffenen im Durchgangsheim Potsdam ab 31. März 1983 und in dem Jugendwerkhof ... vom 6. April 1983 bis zum 22. Februar 1984 angeordnet wurde, wird für rechtsstaatswidrig erklärt und aufgehoben.
3. Die zu Unrecht erlittene Freiheitsentziehung dauerte vom 31. März 1983 bis zum 22. Februar 1984.
4. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die notwendigen Auslagen der Betroffenen fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe
I.
Die Betroffene beantragt die strafrechtliche Rehabilitierung für ihre Unterbringung im der ehemaligen DDR im Durchgangsheim P... ab dem 31. März 1983 und in dem Jugendwerkhof E... vom 6. April 1983 bis zum 22. Februar 1984. Grundlage dieser Unterbringung war der Beschluss des Rates der Stadt Königs-Wusterhausen (Jugendhilfeausschuss vom 17. Februar 1983). Grund für die Unterbringung waren ausweislich des Beschlusses erhebliche Erziehungsprobleme, auch sei die berufliche Ausbildung gefährdet gewesen. Mit Beschluss vom 16. April 2015 hat das Landgericht Potsdam den Rehabilitierungsantrag zurückgewiesen, die sofortige Beschwerde gegen diese Entscheidung war ohne Erfolg (Senat, Beschl. vom 7. Januar 2016 - 2 Ws Reha 8/15).
Die Betroffene hat durch Schreiben vom 20. Dezember 2018 auf Wiederaufnahme des Rehabilitierungsverfahrens angetragen und als Wiederaufnahmegrund geltend gemacht, dass im Zeitraum nach 2010 zahlreiche wissenschaftliche Erkenntnisse zu den Spezialheimen der DDR-Jugendhilfe veröffentlicht worden seien, beispielsweise "Der letzte Schliff" von Christian Sachse aus dem Jahr 2011 oder die Expertisen zur Aufarbeitung der Heimerziehung in der DDR aus dem Jahr 2012, die dem Landgericht bei seiner damaligen Entscheidung nicht vorgelegen hätten.
Das Landgericht Potsdam hat den Wiederaufnahmeantrag mangels neuer Tatsachen als unzulässig zurückgewiesen. Auch als Zweitantrag unter dem Gesichtspunkt des § 1 Abs. 6 Satz 2 StrRehaG sei der Antrag unzulässig. "Nur vorsorglich" hat das Landgericht darauf hingewiesen, dass der Rehabilitierungsantrag auch im Falle seiner Zulässigkeit keinen Erfolg gehabt hätte. Die Vermutung des § 10 Abs. 3 Satz 1 StrRehaG sei widerlegt, weil sachliche Gründe für die Unterbringung vorgelegen hätten.
Gegen diesen am 4. Januar 2021 der Verfahrensbevollmächtigten zugestellten Beschluss hat die Betroffene Beschwerde eingelegt, die am 14. Januar 2021 bei dem Landgericht Potsdam eingegangen ist.
II.
Das Rechtsmittel der Betroffenen hat Erfolg.
1. Zwar hätte die Beschwerde gemäß § 15 StrRehaG, § 372 Satz 1 StPO als (sofortige) Beschwerde innerhalb der Wochenfrist entsprechend § 311 Abs. 2 StPO angebracht werden müssen, da die Nichtwahrung der Frist allerdings auf der insoweit fehlerhaften Rechtsmittelbelehrung des Landgerichts beruht, ist der Betroffenen von Amts wegen auch ohne entsprechenden Antrag Wiedereinsetzung in die Rechtsmittelfrist zu gewähren.
2. Die angefochtene Entscheidung kann keinen Bestand haben.
Zwar hat das Landgericht zu Recht das Vorliegen eines Wiederaufnahmegrundes gemäß § 359 Nr. 5 StPO, § 15 StrRehaG verneint. Weder haben sich unter Zugrundelegung der erneuten Anhörung der Antragstellerin neue Tatsachen ergeben, noch ist davon auszugehen, dass die von der Antragstellerin in Bezug genommenen wissenschaftlichen Aufarbeitungen über die Zustände in den Heimeinrichtungen in der DDR den erkennenden Gerichten unbekannt waren, sind sie doch im Senatsbeschluss vom 7. Januar 2016 zitiert.
Soweit das Landgericht im angefochtenen Beschluss ergänzend darauf hingewiesen hat, dass der Rehabilitierungsantrag auch im Falle seiner Zulässigkeit keinen Erfolg gehabt hätte, folgt der Senat dem nicht. Denn die dem zugrunde liegenden Ausführungen rechtfertigen nicht die Annahme, dass die geltende Vermutung für das Vorliegen sachfremder Zwecke entsprechend der seit dem 29. November 2019 in Kraft getretenen und auch auf in diesem Zeitpunkt bereits anhängige Verfahren anzuwendende Regelung des § 10 Abs. 3 Satz 1 StrRehaG (vgl. hierzu OLG Rostock, Beschl. v. 12. Februar 2020 - 11 Ws Reha 2/20, zit. nach Juris) widerlegt ist.
Die Vermutung greift vielmehr zu Gunsten der Betroffenen.
Der Jugendwerkhof, in dem die Betroffene untergebracht war, ist ein Spezialheim i.S.d. § 10 Abs. 3, 1. Alt. StrRehaG. Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3 der Anordnung über die Spezialheime der Jugendhilfe vom 22. April 1965 zählten die Jugendwerkhöfe zu den Spezialheimen. Zwar ist das Durchgangsheim kein Spezialheim, da Durchgangsheime nicht in § 2 Abs. 1 der vorbezeichneten Anordnung über die Spezialheime vom 22. April 1965 aufgeführt sind. Jedoch handelt es sich bei einem Durchgangsheim um eine vergleichbare Einrichtung, in der eine zwangsweise Umerziehung erfolgte (...