Entscheidungsstichwort (Thema)
Unterhalt: Erwerbsobliegenheit eines minderjährigen Kindes. Minderjährigenunterhalt
Leitsatz (redaktionell)
Nimmt das minderjährige Kind an keiner Ausbildung teil, so trifft es im Verhältnis zu seinen Eltern eine Erwerbsobliegenheit, also die Verpflichtung zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit. Verstößt das minderjährige Kind dagegen, so muss es sich in erzielbarer Höhe fiktive Einkünfte, die es bedarfsdeckend einzusetzen hat, zurechnen lassen. Dies kann auch bei noch nicht 16 Jahre alten Kindern der Fall sein.
Normenkette
BGB § 1611 Abs. 1, § 1618a
Verfahrensgang
AG Bad Liebenwerda (Beschluss vom 02.06.2004; Aktenzeichen 21 F 81/04) |
Tenor
In teilweiser Abänderung des angefochtenen Beschlusses wird dem Kläger für die erste Instanz ratenfreie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin ... bewilligt.
Gründe
Die gem. § 127 Abs. 2 ZPO statthafte und in zulässiger Weise eingelegte sofortige Beschwerde hat Erfolg. Soweit das AG den gestellten Prozesskostenhilfeantrag des Klägers teilweise, d.h. für Zeit der Minderjährigkeit des Beklagten, zurückgewiesen hat, ist dem Kläger auch insoweit Prozesskostenhilfe zu gewähren.
Entgegen der vom AG vertretenen Rechtsauffassung ist die Unterhaltsverpflichtung des Klägers auch für die Zeit bis zum Eintritt der Volljährigkeit des Beklagten, d.h. den 20.11.2003, entfallen. Der Beklagte ist seit August 2001 nicht mehr bedürftig.
Die mangelnde Bedürftigkeit des Beklagten folgt aus dem Umstand, dass der Beklagte nach der Beendigung der allgemeinen Schulausbildung in einem Alter von etwa 15 1/2 Jahren keine Ausbildungsstelle angetreten und auch sonst keine weiter gehenden Fortbildungsmaßnahmen wahrgenommen hat.
Nach § 1618a BGB sind Eltern und Kinder einander Beistand schuldig. Für das minderjährige Kind folgt hieraus zunächst die Verpflichtung, nach dem Abschluss der allgemeinen Schulausbildung die berufliche Ausbildung anzutreten und zügig durchzuführen. Nimmt das minderjährige Kind an keiner Ausbildung teil, so trifft es im Verhältnis zu seinen Eltern eine Erwerbsobliegenheit, also die Verpflichtung zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit (OLG Düsseldorf v. 3.3.1999 - 3 WF 187/98, FamRZ 2000, 442 [443]; Kalthoener/Büttner/Niepmann, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, 9. Aufl. 2004, Rz. 149; insoweit auch Palant/Diederichsen, BGB, 62. Aufl. 2003, § 1602 Rz. 13; Staudinger/Engler, BGB, 13. Aufl. 2000, § 1602 Rz. 156; a.A. Wendl/Staudigl/Dose, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 6. Aufl. 2004, § 1 Rz. 552). Verstößt das minderjährige Kind dagegen, so muss es sich in erzielbarer Höhe fiktive Einkünfte, die es bedarfsdeckend einzusetzen hat, zurechnen lassen (OLG Koblenz Jugendamt 2004, 153; OLG Düsseldorf v. 3.3.1999 - 3 WF 187/98, FamRZ 2000, 442 [443]; Göppinger/Wax/Strohal, Unterhaltsrecht, 8. Aufl. 2003, Rz. 430).
Dagegen spricht nicht, dass die Zurechnung fiktiver Einkünfte im Ergebnis auf eine Verwirkung des Unterhaltsanspruches entsprechend den Grundsätzen des § 1611 Abs. 2 BGB hinauslaufen würde. Es wird daher die Auffassung vertreten, wenn schon ein nach § 1611 Abs. 1 BGB erforderliches schweres Fehlverhalten nicht zu Lasten des minderjährigen Kindes wirken solle, müsse dies erst recht bei einem leichten Pflichtenverstoß gelten (so aber OLG Stuttgart v. 10.5.1996 - 17 UF 159/96, FamRZ 1997, 447; OLG Hamburg v. 22.12.1994 - 15 WF 205/94, FamRZ 1995, 959; Bamberger/Roth/Reinken, BGB, 2003, § 1602 Rz. 31; Rotax, Praxis des Familienrechts, 2. Aufl. 2003, S. 497, Rz. 126; Wendl/Staudigl/Dose, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 6. Aufl. 2004, § 1 Rz. 519 a.E.).
Dabei wird jedoch übersehen, dass der Erwerbsobliegenheitsverstoß keinen unter § 1611 Abs. 2 und Abs. 1 BGB zu subsumierenden Fall betrifft. Die Fälle sittlichen Verschuldens, die § 1611 Abs. 1 BGB regelt, setzen bereits systematisch voraus, dass dem Kind ein Unterhaltsanspruch zwar grundsätzlich zusteht, dieser aber auf Grund eines bestimmten negativ zu bewertenden Verhaltens des Kindes ausgeschlossen ist. Ein Minderjähriger aber, dem fiktiv Einkünfte zugerechnet werden, erhält nicht etwa keinen oder weniger Unterhalt als Sanktion dafür, dass er sich nicht um eine Arbeit bemüht hat; es fehlt vielmehr bereits an seiner Bedürftigkeit, weil ihm ein fiktives Einkommen unterstellt wird (OLG Koblenz Jugendamt 2004, 153). Es fehlt bereits an den Voraussetzungen für das Bestehen eines Unterhaltsanspruches, den der Anwendungsbereich des § 1611 Abs. 1 BGB gerade voraussetzt. Es bestehen daher keine Bedenken, dem Beklagten auf Grund eines Verstoßes gegen die ihn treffende Ausbildungs- und Erwerbsobliegenheit ein fiktives Einkommen zuzurechnen.
Soweit vertreten wird, dass eine solche Zurechnung erst für ein Kind mit einem Mindestalter von 16 Jahre bejaht werden kann (Kalthoener/Büttner/Niepmann, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, 9. Aufl. 2004, Rz. 149), kann dem in dieser Allgemeinheit nicht gefolgt werden. Die Zurechnung fiktiver Einkünfte hängt...