Entscheidungsstichwort (Thema)
Vollstreckung eines schweizerischen Bußgeldes
Leitsatz (amtlich)
Eine schweizerische Bußgeldentscheidung wegen Zuwiderhandlung gegen Vorschriften des Straßenverkehrs gehört ihrem Inhalt nach allein dem Strafrecht an und ist keine Zivilsache. Sie kann nicht nach dem Lugano-Übereinkommen in Deutschland für vollstreckbar erklärt werden.
Eine Vollstreckung ist derzeit auch nicht nach dem Deutsch - schweizerischen Polizeivertrag möglich, weil dessen Bestimmungen über die Vollstreckungshilfe bezüglich Zuwiderhandlungen gegen Vorschriften des Straßenverkehrs nicht in Kraft sind.
Normenkette
VollstrZustÜbk Art. 1; PolVtr DEU/CHE Art. 37
Verfahrensgang
LG Potsdam (Beschluss vom 25.10.2016) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Schuldners wird der Beschluss des Vorsitzenden der 12. Zivilkammer des LG Potsdam vom 25.10.2016 aufgehoben und der Antrag des Gläubigers auf Erteilung einer Vollstreckungsklausel für den Abschreibungsbeschluss des Bezirksgerichts H. vom 16.2.2016 - Proz. Nr. 515-2016-2 zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens hat der Gläubiger zu tragen.
Gründe
I. Mit seinem Antrag begehrt der Gläubiger, ein Bezirk eines schweizerischen Kantons, die Erteilung einer Vollstreckungsklausel für den Abschreibungsbeschluss des Bezirksgerichts H., Erstinstanzliches Strafgericht, vom 16.2.2016 (Bl. 38 ff), mit welchem das dort gegen den Schuldner geführte Strafverfahren wegen Verletzung von Verkehrsregeln infolge seines unentschuldigten Fernbleibens von der Hauptverhandlung abgeschrieben wurde. Damit wurde der dem Verfahren zugrunde liegende Strafbefehl der Staatsanwaltschaft G. rechtskräftig, was heißt:
2. Die beschuldigte Person wird bestraft mit einer Buße von CHF 100.00. Bei schuldhafter Nichtbezahlung tritt an Stelle der Buße eine Ersatzfreiheitsstrafe von 1 Tag.
3. Die Kosten des Verfahrens werden der beschuldigten Person auferlegt.
4. Demgemäß hat die beschuldigte Person zu bezahlen:
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Buße |
CHF 100.00 |
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Barauslagen |
CHF 80.00 |
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Gebühren |
CHF 125.00 |
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Rechnungsbetrag |
CHF 305.00 |
Sodann erkannte das Bezirksgericht dahin, dass die Kosten des Strafbefehls und die Buße von total CHF 305.00, die zusätzlichen Untersuchungskosten der Staatsanwaltschaft G. von CHF 375.00 sowie die Kosten des Bezirksgerichts H. von CHF 1000.00 zu Lasten des Schuldners gehen.
Mit dem angefochtenen Beschluss (Bl. 9 f.) hat der Vorsitzende der Zivilkammer dem Antrag stattgegeben und angeordnet, den Titel mit der Vollstreckungsklausel zu versehen, die am 3.11.2016 erteilt wurde (Bl. 29 f.). Gestützt hat das LG diese Entscheidung auf das Lugano-Übereinkommen von 1988 (LugÜ).
Gegen den ihm am 4.11.2016 zugestellten Beschluss hat der Schuldner am 11.11.2016 Beschwerde eingelegt: Das Lugano-Übereinkommen (LugÜ) ermögliche die Vollstreckung von Geldbußen und Kosten des schweizerischen Strafverfahrens nicht.
Der Schuldner beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die Vollstreckungsklausel vom 03.11.2016 für unwirksam zu erklären.
Der Gläubiger beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen und hilfsweise für diesen Abschreibungsbeschluss in Höhe von 1.580,00 CHF eine Vollstreckungsklausel zu erteilen.
Er verteidigt die angefochtene Entscheidung und hält das LugÜ und das AVAG insgesamt, jedenfalls aber hinsichtlich der Kostenentscheidung für anwendbar.
II. Die Ausführung des in Lugano geschlossenen Übereinkommens vom 16.9.1988, auf welches der Gläubiger seinen Antrag und das LG seine Entscheidung gestützt hat, unterliegt nach § 1 Abs. 1 lit. b) des Gesetzes zur Ausführung zwischenstaatlicher Verträge und zur Durchführung von Abkommen der Europäischen Union auf dem Gebiet der Anerkennung und Vollstreckung in Zivil- und Handelssachen (AVAG) dessen Vorschriften.
Die gemäß Artikel 36, 37 LugÜ und § 11 Abs. 1 AVAG zulässige Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Abweisung des Antrages auf Vollstreckbarerklärung, weil die zu Grunde liegende Entscheidung dem öffentlichen Recht angehört und deshalb keine Entscheidung ist, die nach Artikel 31 LugÜ für vollstreckbar erklärt werden könnte.
Das Lugano-Übereinkommen ist nach seinem Artikel 1 Abs. 1 nur in "Zivil- und Handelssachen" anzuwenden, nicht aber in Strafsachen. Es beruht - ebenso wie das Brüsseler Übereinkommen vom 27.9.1968 (EuGVÜ) und die jetzt geltende Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2012 (EuGVVO) - auf dem Prinzip, dass öffentliches Recht extraterritorial nicht durchsetzbar ist.
Für die Abgrenzung kommt es allein auf die Qualifikation in der Sache an, nicht auf die Art des angerufenen Gerichts. Das Übereinkommen erfasst nur solche Verfahren, deren Streitgegenstand zivilrechtlicher Natur ist - diese aber auch dann, falls sie etwa vor einem Strafgericht verhandelt wurden wie im Adhäsionsverfahren (Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, Band I, 4. Auflage, Art. 1 Brüssel Ia-VO Rn. 1 f.). Bei der gebotenen autonomen Auslegung und Qualifikation sind allein materiell-rechtliche Kriterien maßgebend. Eine ö...