Entscheidungsstichwort (Thema)

Sorgerecht: Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf einen Elternteil

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Hält jeder Elternteil es für geboten, dass das Kind seinen ständigen Aufenthalt bei ihm hat, ist die Aufhebung des gemeinsamen Aufenthaltsbestimmungsrechts notwendig.

2. Bei der Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf einen Elternteil sind der Kontinuitätsgrundsatz, der Förderungsgrundsatz, der Kindeswille sowie die Bindung des Kindes an beide Elternteile und etwa vorhandene Geschwister zu beachten.

3. Im Vergleich zu Bindungen an die Eltern sind die Bindungen an Großeltern auch dann von geringerem Gewicht, wenn die Großmutter väterlicherseits in der Vergangenheit einen entscheidenden Anteil an der Betreuung und Erziehung des Kindes hatte.

4. Spricht der Kontinuitätsgrundsatz für eine Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf den Vater und sprechen Förderungsgrundsatz und die Bindungen des Kindes eher für die Mutter, ist eine Abwägung der Kriterien, die für das Kind maßgebend sind, vorzunehmen.

5. Auch wenn der Gedanke der Kontinuität nicht gering zu veranschlagen ist, kann mehr dafür sprechen, die Möglichkeiten zu nutzen, die sich dadurch bieten, dass die Mutter die zeitlich günstigeren Betreuungsmöglichkeiten hat.

 

Normenkette

BGB § 1671 Abs. 2 Nr. 2

 

Tenor

Die Beschwerde wird auf Kosten des Antragsgegners zurückgewiesen.

Der Beschwerdewert wird auf 4.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Antragstellerin wurde am ... 4.1977 geboren, der Antragsgegner am ... 1.1976. Seit dem Jahr 2002 waren sie in nichtehelicher Lebensgemeinschaft miteinander verbunden. Am ... 10.2003 wurde die gemeinsame Tochter L. geboren. Zur Zeit der Geburt lebten die Eltern in B. Dort besuchte L. ab einem Alter von 12 Monaten eine Kinderkrippe.

Nachdem L. häufiger krank geworden war, wurde sie Ende 2005 in einer Kinderkrippe bei den Großeltern väterlicherseits in L. angemeldet und lebte seitdem im Hause der Großeltern. Im Januar 2007 zog auch die Mutter dorthin. Der Vater zog in der Folgezeit ebenfalls in das Haus seiner Eltern. Die Eltern heirateten am ... 8.2008.

Anfang Mai 2009 trennte sich die Antragstellerin vom Antragsgegner und zog ohne L. nach B. Dort lebt sie mittlerweile mit einem neuen Lebensgefährten zusammen. Die gemeinsame Tochter A. wurde am ... 10.2010 geboren. Bis zur Geburt des Kindes hat die Antragstellerin in der Cafeteria eines Baumarktes gearbeitet.

Der Vater lebt weiterhin in L. Er ist aber kürzlich in eine eigene, 50 m vom elterlichen Haus entfernte Wohnung umgezogen. In dieser Wohnung lebt er gemeinsam mit L. Er betreibt im selben Haus ein Restaurant und in 8 km Entfernung ein Café.

Durch den angefochtenen Beschluss hat das AG nach Einholung eines Sachverständigengutachtens das Aufenthaltsbestimmungsrecht für L. auf die Mutter übertragen. Wegen der tatsächlichen Feststellungen wird auf den angefochtenen Beschluss Bezug genommen.

Gegen diese Entscheidung wendet sich der Vater mit der Beschwerde. Er trägt vor:

Die einzelnen Kriterien, die bei der Kindeswohlprüfung zu beachten seien, habe das AG nur unzureichend aufgeklärt.

Allerdings sei das AG zutreffend zu der Auffassung gelangt, beide Elternteile seien gleichermaßen erziehungsgeeignet.

Bei ihm sei eine hohe Bindungstoleranz zu verzeichnen. Der Umgang der Mutter mit dem Kind finde regelmäßig statt.

Zu Unrecht sei das AG zu der Auffassung gelangt, ein Kindeswille sei nicht erkennbar. Daran sei zwar richtig, dass ein ausdrücklicher, fester und begründeter Entschluss des Kindes nicht feststellbar sei. Das AG sei aber gehalten gewesen, auch Anknüpfungstatsachen für Präferenzen des Kindes zu ermitteln.

Soweit das Sachverständigengutachten zu dem Ergebnis gelange, dass eine graduell engere Bindung zur Mutter bestehe, sei dies nicht nachvollziehbar.

Ausschlaggebend sei hier der Kontinuitätsgrundsatz. Denn das Kind lebe seit Oktober 2004 ununterbrochen in L., sei dort seit mehreren Jahren aktives Mitglied des Kinderchores und besuche dort nun auch die Schule.

Die gegenwärtige Betreuungssituation gewinne besonders dann Bedeutung, wenn beide Elternteile gleichermaßen erziehungsgeeignet seien und auch hinsichtlich der kindlichen Belange kein Unterschied zwischen ihnen bestehe.

Wenn das AG feststelle, das Kind verliere aufgrund der nun getroffenen Entscheidung nur seine Hauptbezugsperson, die Großmutter, werde vernachlässigt, dass auch er, der Vater, sowie der Großvater väterlicherseits wichtige Bezugspersonen seien.

Der Vater beantragt, den angefochtenen Beschluss abzuändern und das Aufenthaltsbestimmungsrecht für L. auf ihn zu übertragen.

Die Mutter beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie trägt vor:

Der Vater habe die Beschwerde zwar im eigenen Namen eingelegt, tatsächlich aber im Interesse seiner Mutter, der Großmutter väterlicherseits. Diese behandele das Kind wie ihr eigenes. Die dadurch erfolgte Besitzergreifung des Kindes entspreche nicht dem Kindeswohl.

Ein Grund für ihre Trennung vom Vater sei der Umstand gewesen, dass dieser keine wirklic...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?