Entscheidungsstichwort (Thema)

Kein ordre public-Verstoß durch Annahme eines Namens mit einer früheren Adelsbezeichnung

 

Leitsatz (amtlich)

Dass ein Name nicht frei wählbar ist, mag zum Kernbestand des Namensrechts gehören, den Kernbestand der Rechtsordnung insgesamt kennzeichnet es hingegen nicht.

Die Mitwirkung bei der Entwicklung der Europäischen Union und der Anwendungsvorrang des Rechts der Europäischen Union unter dem Vorbehalt der Verfassungsidentität Deutschlands gehören zum Kernbestand der Rechtsordnung Deutschlands.

Ein in einem EU-Mitgliedstaat wirksam erworbener Namensbestandteil, der auf eine frühere Adelsbezeichnung hindeutet, darf nur in Einzelfällen zurückgewiesen werden, wenn die private Namensänderung im Ausland keine familiären oder sozialen Gründe hat, sondern allein auf dem Motiv beruht, sich selbst dem Adelsstand zuzuordnen.

 

Normenkette

AEUV Art. 21 Art. 1; EGBGB Art. 48 S. 1; WRV Art. 109 Art. 3

 

Verfahrensgang

AG Cottbus (Aktenzeichen 91 UR III 3/20)

 

Nachgehend

BGH (Beschluss vom 19.10.2022; Aktenzeichen XII ZB 425/21)

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragstellerinnen wird der Beschluss des Amtsgerichts Cottbus vom 2. Juni 2021 abgeändert:

Das Standesamt ... wird angewiesen, auf eine Erklärung der Antragstellerinnen, sie wählten den Namen "Freifrau von B-A", Veranlassungen nach Maßgabe der Gründe dieses Beschlusses zu treffen.

Die Kosten des Verfahrens trägt das Standesamt.

Die Rechtsbeschwerde des Standesamtes und der Standesamtsaufsicht gegen die Entscheidung in der Hauptsache wird zugelassen.

 

Gründe

I. Der 1980 geborene Ehemann der Antragstellerin zu 1 führt den Geburtsnamen "A", den Ehenamen seiner Eltern. Die Ehe der Eltern wurde 1986 geschieden. Die Mutter des Ehemannes der Antragstellerin zu 1 heiratete 1997 erneut. Die Eheleute bestimmten den Geburtsnamen des Ehemannes, "Freiherr von B", zum Ehenamen. Der Ehemann der Antragstellerin zu 1 wurde nicht einbenannt.

Die Antragstellerin zu 1 wurde 1981 als polnische Staatsbürgerin geboren. 1988 wurde sie eingebürgert und ist seitdem sowohl polnische als auch deutsche Staatsbürgerin. Sie heiratete ihren Ehemann 2014. Im Jahr darauf bestimmten die Eheleute "A" zum Ehenamen. Die Kinder der Eheleute, die Antragstellerinnen zu 2 und 3, wurden 2015 und 2018 geboren. Die Familie wohnte in Deutschland.

Der Ehemann der Antragstellerin zu 1 führte zwei Verwaltungsverfahren mit dem Ziel, seinen Namen in "Freiherr von B-A" zu ändern. Beide Anträge wurden bestandskräftig abgelehnt.

Die Antragstellerin zu 1 bewirkte für sich und für die Antragstellerinnen zu 2 und 3 die Eintragung des Namens "Freifrau von B-A" im Eheeintrag und in den Geburtseintragungen eines polnischen Standesamtes, das die Eheschließung der Antragstellerin zu 1 und die Geburten der Antragstellerinnen zu 2 und 3 nachbeurkundet hatte. Eine polnische Gemeinde bescheinigte der Antragstellerin zu 1 einen vorübergehenden Aufenthalt dort.

Die Antragstellerin zu 1 hat gegenüber dem hier beteiligten Standesamt erklärt, für sich und für die Antragstellerinnen zu 2 und 3 den in die polnischen Register eingetragenen Namen "Freifrau von B-A" zu wählen. Sie hat dazu ausgeführt, der vorangestellte Name sei der Name der Mutter ihres Ehemannes, der sie familiär verbunden sei. Dieser Name sei zudem Bestandteil der firmenähnlichen Bezeichnung eines landwirtschaftlichen Betriebes, den die Familie führe.

Das Standesamt hat eine Entscheidung des Gerichts herbeigeführt, weil es gemeint hat, die Namenswahl sei mit dem ordre public nicht zu vereinbaren. Die Standesamtsaufsicht und das Amtsgericht haben sich dieser Ansicht angeschlossen.

II. Die dagegen gerichtete Beschwerde der Antragstellerinnen ist begründet.

1. Wesentliche Grundsätze des deutschen Rechts (Art. 48 S. 1 EGBGB) stehen der Namenswahl der Antragstellerin zu 1 nicht entgegen.

Die Namenswahl nach Art. 48 S. 1 EGBGB unterliegt einem wort- und inhaltsgleichen Vorbehalt wie die Anwendung ausländischen Rechts nach kollisionsrechtlichen Vorschriften. Art. 48 S. 1 EGBGB verwendet die Beschreibung des ordre public im Art. 6 EGBGB.

Die von der Antragstellerin zu 1 erklärte Namenwahl ist mit dem ordre public Deutschlands vereinbar.

a) Handelt es sich beim ordre public um den Kernbestand der inländischen Rechtsordnung (so die Bundesregierung in der Entwurfsbegründung zu Art. 6 EGBGB, BT-Drs. 10/504, S. 42), so ist bereits fraglich, ob Aspekte des Namensrechts den ordre public überhaupt berühren können. Dass die Zuordnung des Namens zu einer Person und der Bestand und die Veränderlichkeit der Namensführung die Eigenart der Rechtsordnung kennzeichnen und für ihre Beständigkeit oder Verlässlichkeit maßgeblich sein könnten, erscheint eher zweifelhaft. Sollte der Kernbestand der Rechtsordnung etwa dadurch erkennbar sein, dass ihm eine gewisse Unverrückbarkeit und ein unveränderter Bestand über lange Zeit eigen ist, so gälte dies für das Namensrecht, insbesondere für die dauerhafte Zuordnung des Namens zu einer Person, jedenfalls nicht. Das Namensrecht ist in den vergangenen...

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