Leitsatz (amtlich)
Bei der Beurteilung der Frage, ob ein Betroffener ohne genügende Entschuldigung im Termin der Hauptverhandlung ausbleibt (§ 74 Abs. 2 OWiG) genügt zunächst der schlüssige Vortrag eines Sachverhaltes, der geeignet ist, das Ausbleiben genügend zu entschuldigen, und gegebenenfalls weitere gerichtliche Ermittlungen im Freibeweisverfahren zulässt. Hierfür ist die Vorlage ärztlicher Bescheinigungen wie Atteste oder Krankschreibungen grundsätzlich ausreichend.
Verfahrensgang
AG Senftenberg (Entscheidung vom 08.06.2016; Aktenzeichen 50 OWi 166/16) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Senftenberg vom 8. Juni 2016 aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Senftenberg zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Senftenberg hat den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid des Landes Brandenburg - Zentraldienst der Polizei - vom 8. Oktober 2015 durch Urteil vom 8. Juni 2016 verworfen, weil der Betroffene ohne genügende Entschuldigung im Termin der Hauptverhandlung ausgeblieben sei.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der er rügt, das Amtsgericht habe sein Entschuldigungsvorbringen unzureichend gewürdigt.
Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg beantragt wie erkannt.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 79 Abs. 1 Satz 2 OWiG statthaft und auch im Übrigen zulässig. Das Rechtsmittel dringt mit der zulässig erhobenen Verfahrensrüge durch. Die Verteidigung macht mit Erfolg geltend, dass das Tatgericht bei Erlass des Verwerfungsurteils Entschuldigungsvorbringen nicht zureichend berücksichtigt habe.
1. Maßgeblich für die Beurteilung der Frage, ob ein Betroffener ohne genügende Entschuldigung ausbleibt (§ 74 Abs. 2 OWiG) ist nicht, ob er sich durch eigenes Vorbringen genügend entschuldigt hat, sondern vielmehr, ob er entschuldigt ist, das heißt, ob sich aus den Umständen, die dem Gericht zum Zeitpunkt der Entscheidung bekannt und im Wege des Freibeweises feststellbar waren, eine ausreichende Entschuldigung ergibt (vgl. Göhler/Seitz, OWiG 16. Aufl. § 74 Rn. 31). Liegen Anhaltspunkte für eine genügende Entschuldigung vor, so darf der Einspruch nur verworfen werden, wenn das Amtsgericht - gegebenenfalls durch nähere Aufklärung im Freibeweisverfahren - sicher festzustellen vermag, dass der Betroffene nicht genügend entschuldigt ist, wobei zu seinen Gunsten eine großzügige Auslegung geboten ist (vgl. BGHSt 17, 391, 396). Im Falle des Nichterscheinens wegen einer Erkrankung oder ähnlicher Umstände liegt ein Entschuldigungsgrund vor, wenn die damit verbundenen Einschränkungen oder Beschwerden nach deren Art und Auswirkung eine Beteiligung an der Hauptverhandlung unzumutbar machen, wobei Verhandlungsunfähigkeit nicht gegeben sein muss (vgl. OLG Düsseldorf NStZ 1984, 331; OLG Hamm NStZ-RR 1998, 281).
2. Den insoweit geltenden Prüfungs- und Begründungsanforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
a) Die Verteidigung hat mit Schriftsatz vom 7. Juni 2016 die Verlegung des Hauptverhandlungstermins beantragt, weil der Betroffene "aufgrund eines akuten Allergieschubes transport- und verhandlungsunfähig krank geschrieben" sei, und gleichzeitig eine am 6. Juni 2016 von Dr. med. K. ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bis zum 10. Juni 2016 vorgelegt.
Das Amtsgericht hat in den Urteilsgründen u. a. ausgeführt, dass die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung mit Angabe der Diagnosen "H10.8" (sonstige Konjunktivitis) und "J45.0" (Asthma bronchiale) eine Bescheinigung zur behaupteten Transport- und Reiseunfähigkeit gerade nicht enthalte und der Betroffene "damit aufgrund eines Heuschnupfens jedenfalls nicht verhandlungs- und transportunfähig" sei.
b) Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Der Betroffene war zur Glaubhaftmachung oder gar zum Nachweis der vorgebrachten Entschuldigungsgründe nicht verpflichtet. Erforderlich ist allein der schlüssige Vortrag eines Sachverhaltes, der geeignet ist, das Ausbleiben genügend zu entschuldigen, und gegebenenfalls weitere gerichtliche Ermittlungen im Freibeweisverfahren zulässt. Hierfür ist die Vorlage ärztlicher Bescheinigungen wie Atteste oder Krankschreibungen grundsätzlich ausreichend; sie haben so lange als genügende Entschuldigung zu gelten, bis deren Unbrauchbarkeit feststeht (OLG Bamberg NZV 2009, 303). Liegen danach Anhaltspunkte für eine genügende Entschuldigung vor, darf der Einspruch nur verworfen werden, wenn sich das Gericht die entsprechende Überzeugung verschafft hat, dass Entschuldigungsgründe tatsächlich nicht gegeben sind (vgl. Senat, Beschl. v. 18. August 2005 - 2 Ss [OWi] 162 B/05). Bleibt zweifelhaft, ob ein Verwerfungsgrund vorliegt ist, darf der Einspruch nicht verworfen werden (vgl. OLG Jena VRS 111, 148; KG NZV 2002, 421; OLG Köln VRS 102, 467).
Fundstellen
Dokument-Index HI10582393 |