Entscheidungsstichwort (Thema)
Prozesskostenhilfe: Zurechnung eines fiktiven Einkommens im Rahmen der Bedürftigkeitsprüfung
Leitsatz (redaktionell)
Fiktive Erwerbseinkünfte können einer prozesskostenhilfebedürftigen Partei grundsätzlich nur dann zugerechnet werden, wenn sie ihre Leistungsfähigkeit bewusst und verfahrensbezogen herbeigeführt bzw. aufrechterhalten hat.
Normenkette
ZPO § 115 Abs. 1, 3
Verfahrensgang
AG Luckenwalde (Beschluss vom 15.07.2008; Aktenzeichen 31 F 480/07) |
AG Luckenwalde (Beschluss vom 27.06.2008; Aktenzeichen 31 F 480/07) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des AG - Familiengerichts - Luckenwalde vom 27.6.2008 in der Fassung des Beschlusses vom 15.7.2008 - 31 F 480/07 - dahin abgeändert, dass die darin angeordnete Ratenzahlungsverpflichtung entfällt.
Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I. Der arbeitslose Antragsgegner, der Leistungen nach dem SGB II bezieht, hat für die Wahrnehmung seiner Rechte im Ehescheidungsverfahren Prozesskostenhilfe beantragt. Mit Beschlüssen vom 27.6. und 15.7.2008 hat das AG die nachgesuchte Prozesskostenhilfe bewilligt und monatliche Raten von 15 EUR festgesetzt. Zu der Festsetzung von Raten ist das AG nur deshalb gelangt, weil es dem Antragsgegner ein fiktives Erwerbseinkommen von mtl. 1.000 EUR zugerechnet hat. Diese Einkommensanrechnung hat das AG damit begründet, dass das Prozesskostenhilfeverfahren auf eine Sozialleistung gerichtet sei. Sowohl nach den prozesskostenhilferechtlichen Regelungen der §§ 114 ff. ZPO als auch nach dem Sozialhilferecht bestehe grundsätzlich die Verpflichtung desjenigen, der um Sozialleistung nachsucht, seinen Hilfebedarf selbst zu decken. Auf fehlende Erwerbseinkünfte könne sich nur derjenige berufen, dem eine Erwerbstätigkeit entweder nicht zumutbar sei oder der sich vergeblich darum bemüht habe. Eine um Prozesskostenhilfe nachsuchende erwerbsfähige Partei habe deshalb zur Begründung ihrer Bedürftigkeit nachvollziehbar darlegen, welche Anstrengungen sie unternommen hat, um Erwerbseinkommen zu erlangen. Da der Antragsgegner nicht dargelegt habe, dass er sich täglich um die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bemüht habe, sei er so zu behandeln, als wäre er erwerbstätig und verdiene 1.000 EUR.
Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Antragsgegners.
II .Die gem. § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde des Antragsgegners hat Erfolg; sie führt zur Abänderung der angefochtenen Entscheidung dahin, dass die Ratenzahlungsverpflichtung entfällt.
Die Frage, unter welchen Voraussetzungen der nicht realisierte Wert der eigenen Arbeitskraft als Einkommen i.S.d. § 115 Abs. 1, Abs. 3 ZPO anzusehen ist, ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung umstritten (hierzu Nickel, MDR 2008, 1133, 1137). Ein Teil der Rechtsprechung will den Wert der eigenen Arbeitskraft nur dann ansetzen, wenn es die bedürftige Partei in Ansehung des konkreten Prozesses in vorwerfbarer Weise unterlässt, ein ihr zumutbares Erwerbseinkommen zu erzielen (OLG Koblenz FamRZ 1997, 376; OLG Naumburg, FamRZ 2001, 924; OLG Karlsruhe FamRZ 2004, 1120; Brandenb. OLG - 4. FamS -, NJW-RR 2008, 734). Nach anderer - strengerer - Ansicht, die sich das AG im Ergebnis zu eigen gemacht hat, sollen fiktive Einkünfte in erzielbarer Höhe bereits dann angesetzt werden können, wenn die um Prozesskostenhilfe nachsuchende Partei ohne weiteres auf eine nach der Arbeitsmarktlage mögliche Erwerbstätigkeit verwiesen werden kann, sie jedoch keine Bemühungen um die Aufnahme einer solchen Tätigkeit dargelegt hat (OLG Köln MDR 1998, 1434; FamRZ 2007, 1338; wohl auch Brandenb. OLG - 1. FamS -, FamRZ 2005, 1912; offen gelassen in BVerfG, NJW-RR 2003, 1725).
Der Senat folgt der erstgenannten Auffassung (so schon Senat, Beschl. v. 17.2.2005 - 15 WF 55/05; Beschluss vom 22.5.2006 - 15 WF 200/06).
Für die Beurteilung, ob die Partei nach ihrem Einkommen bedürftig ist, kommt es gem. § 115 Abs. 1 ZPO grundsätzlich nur auf das tatsächliche Einkommen an. Dies ergibt sich sowohl aus dem Wortlaut des § 115 ZPO als auch aus dem Sinn und Zweck der Norm.
Nach dem Wortlaut des Gesetzes sind prozesskostenhilferechtlich (nur) die Einkünfte, die die Partei als Geld oder geldwerte Leistung bezieht, Einkommen (§ 115 Abs. 1 S. 2 ZPO), nicht jedoch die Erwerbsfähigkeit.
Die Anrechnung fiktiven Erwerbseinkommens kann auch nicht mit der Begründung erfolgen, die um Prozesskostenhilfe nachsuchende Partei habe gegen eine Erwerbsobliegenheit verstoßen. Anders als im Unterhaltsrecht fehlt es im Prozesskostenhilferecht an einer gesetzlichen Regelung, wonach die bedürftige Partei verpflichtet ist, ihren Bedarf durch eigene Erwerbseinkünfte zu decken. Eine solche Erwerbsobliegenheit ist auch nicht aus dem Sinn und Zweck der Prozesskostenhilfe herzuleiten. Das Gegenteil ist vielmehr der Fall. Prozesskostenhilfe soll verhindern, dass eine Partei aus wirtschaftlichen Gründen daran gehindert ist, ihr Recht vor Gericht zu suchen. Ihrem Wesen nach is...