Leitsatz (amtlich)
Gibt der Insolvenzverwalter in Ausübung seines Wahlrechts nach § 35 Abs. 2 InsO das Vermögen aus selbständiger Tätigkeit des Schuldners frei, obliegt es dem Schuldner in entsprechender Anwendung des § 295 Abs. 2 InsO, die Insolvenzgläubiger durch Zahlungen an den Treuhänder so zu stellen, wie wenn er ein angemessenes Dienstverhältnis eingegangen wäre. Ein Zahlungsanspruch besteht aber nicht, da es sich nur um eine Obliegenheit des Schuldners handelt.
Normenkette
InsO § 35 Abs. 2 S. 2, § 295 Abs. 2
Verfahrensgang
LG Potsdam (Urteil vom 28.03.2012; Aktenzeichen 11 O 132/11) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das am 28.3.2012 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 11. Zivilkammer des LG Potsdam wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Dem Kläger wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung des Beklagten durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung i.H.v. 110 % der aus dem Urteil von dem Beklagten zu vollstreckenden Verfahrenskosten abzuwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des beizutreibenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen des Beklagten und nimmt den Beklagten auf Ausgleichsleistungen nach §§ 35 Abs. 2 S. 2, 295 Abs. 2 InsO i.H.v. 8.139,47 EUR für den Zeitraum von Oktober 2007 bis April 2011 in Anspruch.
Die Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes ergeben sich aus dem Tatbestand des angefochtenen Urteils.
Das LG Potsdam hat die Klage abgewiesen. Dem Kläger stehe zwar zumindest dem Grunde nach der geltend gemachte Anspruch zu. Dieser sei zurzeit jedoch nicht fällig. Der Beklagte sei erst mit Ablauf der Wohlverhaltensperiode zur Zahlung verpflichtet.
Das am 28.3.2012 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 11. Zivilkammer des LG Potsdam ist dem Kläger am 20.4.2012 zugestellt worden.
Der Kläger hat gegen das Urteil am 16.5.2012 Berufung eingelegt, die er am 20.6.2012 begründet hat.
Mit der Berufung verfolgt der Kläger vorrangig sein bisheriges Klageziel weiter. Er vertritt die Rechtsauffassung, es könne zur Bestimmung eines Fälligkeitszeitpunktes für die von ihm verfolgten Ansprüche nach § 35 Abs. 2 S. 2 InsO nicht auf den Wortlaut des § 295 Abs. 2 InsO ankommen.
Der Kläger beantragt,
1. den Beklagten unter Abänderung des Urteils des LG Potsdam vom 28.3.2012 zu verurteilen, an den Kläger 8.139,47 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit am 23.7.2011 zu zahlen,
2. hilfsweise, unter Abänderung des Urteils des LG Potsdam vom 28.3.2012 festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, an den Kläger am Ende der Wohlverhaltensperiode im Insolvenzverfahren über sein Vermögen 8.139,47 EUR zu zahlen.
Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der Einzelheiten des Vortrages der Parteien wird auf die von ihnen zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
II. Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg.
Die Klage ist nicht begründet.
1. Dies gilt zunächst für den vorrangig geltend gemachten Zahlungsanspruch des Klägers.
Ein solcher Zahlungsanspruch kann nicht aus §§ 35 Abs. 2 Satz 2, 295 Abs. 2 InsO hergeleitet werden.
§ 35 Abs. 2 Satz 1 InsO eröffnet dem Insolvenzverwalter gegenüber dem eine selbständige Tätigkeit ausübenden Schuldner ein Wahlrecht, ob Vermögen aus selbständiger Tätigkeit zur Insolvenzmasse gehören und Ansprüche aus dieser Tätigkeit im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können sollen. Gibt der Insolvenzverwalter durch Erklärung gegenüber dem Schuldner das Vermögen des Schuldners aus der selbständigen Tätigkeit frei, hat die Insolvenzmasse an dem wirtschaftlichen Erfolg des Schuldners im Rahmen seiner selbständigen Tätigkeit ab Zugang der Freigabeerklärung beim Schuldner keinen Anteil mehr.
Allerdings verweist § 35 Abs. 2 Satz 2 InsO auf die entsprechende Anwendbarkeit von § 295 Abs. 2 InsO. Diese Bestimmung begründet in ihrem Regelungszusammenhang der Restschuldbefreiung eine Obliegenheit des Schuldners, der eine selbständige Tätigkeit ausübt, die Insolvenzgläubiger durch Zahlung an den Treuhänder so zu stellen, wie wenn er ein angemessenes Dienstverhältnis eingegangen wäre. Die Vorschrift löst die zu berücksichtigenden Erträge vom tatsächlichen wirtschaftlichen Erfolg der selbständigen Tätigkeit des Schuldners. Das anzunehmende fiktive Nettoeinkommen ist dabei aus einem angemessenen Dienstverhältnis zu berechnen (BGH, Beschl. v. 26.2.2013 - IX ZB 165/11). Der Schuldner hat in regelmäßigen Abständen, zumindest jährlich, Zahlungen an den Treuhänder zu erbringen (BGH, Beschl. v. 19.7.2012 - IX ZB 188/09). Die Aufgabe des Treuhänders beschränkt sich dabei gem. § 292 InsO im Wesentlichen darauf, die Abführungsbeträge entgegenzunehmen und zu verteilen. Ihn trifft nicht die Pflicht, die Beträge festzusetzen, die der Schuldner abzuführen hat, und den Schuldner zu kontrollieren (BGH, Beschl. v. 17.1.2013 - IX ZB ...