1 Leitsatz
Der Beschluss, ein Breitbandnetz im Sondereigentum auf Putz zu verlegen, ist nichtig.
2 Normenkette
§ 19 WEG
3 Das Problem
Die Wohnungseigentümer beschließen, ihr Kabel- in ein auf 862 MHz modernisiertes Breitbandnetz zu ändern und einen "Kabelfernsehlieferungvertrag" mit V nach seinem Angebot und einer Laufzeit von 10 Jahren zu schließen. Beim Angebot heißt es u. a.: "Die Kabel vom Infrastrukturpunkt werden ungeschnitten in die vom Kunden kostenfrei gestellten Leerrohre verlegt. Sind keine Leerrohre vorhanden, erfolgt die Installation mittels Aufputzkanal als Wohnungssteiger (…)." Entsprechende Leerrohre sind im Sondereigentum von Wohnungseigentümer K nicht vorhanden. Das bisher vorhandene Kabelnetz ist unter Putz verlegt. Wohnungseigentümer K greift daher den Beschluss an. Er meint, der Beschluss sei mangels Beschlusskompetenz nichtig. Die Installation im Sondereigentum auf Putz greife in seine Sondereigentumsrechte ein.
4 Die Entscheidung
Das AG gibt der Klage statt! Zwar dürfte für die Modernisierung des vorhandenen Kabelnetzes eine Beschlusskompetenz bestehen, da sie das gemeinschaftliche Eigentum betreffe. Der Beschluss sehe jedoch eine konkrete Ausführung vor, die erheblich und dauerhaft in das Sondereigentum eingreife. Für Maßnahmen am Sondereigentum fehle es den Wohnungseigentümern "in der Regel" aber an der Beschlusskompetenz. Zwar seien notwendige Eingriffe in das Sondereigentum, die mit der Instandsetzung, Instandhaltung oder Modernisierung des gemeinschaftlichen Eigentums einhergingen, grundsätzlich von der Beschlusskompetenz gedeckt (Hinweis auf BGH, Urteil v. 8.7.2022, V ZR 207/21). Die im Fall beschlossene Ausführungsart stelle aber eine solche dar, die ohne Not das gemeinschaftliche Kabelnetz in den räumlichen Bereich des Sondereigentums verlege. Es sei weder dargetan noch sonst ersichtlich, dass Hinderungsgründe für eine Verlegung des modernisierten Kabelnetzes unter Putz bestünden. Insofern sei die Modernisierung auch nicht mit einer Innendämmung (Hinweis auf LG Karlsruhe, Urteil v. 16.12.2014, 11 S 14/14, ZWE 2015 S. 421) vergleichbar. Etwas Anderes folge auch nicht aus § 20 Abs. 2 Satz 2 WEG.
5 Hinweis
Problemüberblick
Im Fall geht es um die Frage, ob es einer ordnungsmäßigen Verwaltung entspricht, bei einer Erhaltungsmaßnahme eine vom Bisherigen abweichende Ausführung zu bestimmen.
Gebot der Rücksichtnahme
Bei Erhaltungsmaßnahmen ist das Gebot der Rücksichtnahme zu beachten. Dies gilt beispielsweise, wie im Fall, für die Frage, ob eine zu erneuernde Leitung oder ein Rohr (wieder) unter oder auf dem Putz geführt wird. Man kann und muss dort fragen, ob es ordnungsmäßig ist, das gemeinschaftliche Eigentum in der Weise instandzusetzen, dass es zur Verlegung eines Kabels oder Rohrs über Putz kommt ("Aufputz-Lösung"). Entsprechendes gilt bei anderen Engriffen in das Sondereigentum zur Erhaltung/Wiederherstellung des gemeinschaftlichen Eigentums. Diese Frage hat nichts mit der Verwaltung des Sondereigentums zu tun, da das gemeinschaftliche Eigentum erhalten wird. Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer muss den Weg wählen, der für alle Wohnungseigentümer mit den geringsten Nachteilen verbunden ist (Gebot der Rücksichtnahme). Etwas Anderes kann dort gelten, wo ein Weg, der mit geringeren Nachteilen verbunden wäre, mit unverhältnismäßig hohen Kosten verbunden wäre. Im Fall ging es daher nicht um die Frage einer Beschlusskompetenz, sondern um die Frage, wie teuer eine "Unterputz-Lösung" gewesen wäre.
Was ist für die Verwaltungen besonders wichtig?
Die Verwaltungen sollten den Wohnungseigentümern raten, bei einer Erhaltungsmaßnahme das Gebot der Rücksichtnahme einzuhalten, wenn die Kosten dies erlauben. Dies ist eine Frage des Ermessens.
6 Entscheidung
AG Bremen-Blumenthal, Urteil v. 3.5.2023, 44 C 8/22