Verfahrensgang
SG München (Entscheidung vom 01.06.2018; Aktenzeichen S 30 R 747/17) |
Bayerisches LSG (Urteil vom 10.12.2020; Aktenzeichen L 16 BA 95/18) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 10. Dezember 2020 wird als unzulässig verworfen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen.
Der Streitwert wird auf 39 842,35 Euro festgesetzt.
Gründe
I
In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten um eine Beitragsnachforderung in der Renten- und Arbeitslosenversicherung von 39 842,35 Euro einschließlich Umlagen für die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1. als Gesellschafter-Geschäftsführer der klagenden GmbH in der Zeit vom 1.1.2010 bis 31.12.2013.
Unternehmensgegenstand der klagenden GmbH ist die Kfz Reparatur und der Verkauf von Kfz. Vom Stammkapital von 25 000 Euro hielt der Beigeladene zu 1. zunächst 6400 Euro, ab 2012 8500 Euro. Für Beschlüsse in der Gesellschafterversammlung galt die gesetzliche Regelung. Der Beigeladene zu 1. schloss am 22.6.2009 eine nicht notariell beurkundete Stimmrechtsbindungsvereinbarung zu seinen Gunsten mit zwei weiteren Gesellschaftern, die jeweils 6200 Euro Anteile hielten. Darin erklärte der Beigeladene zu 1. den Geschäftsbereich Neuwagen ausweiten und seine Geschäftskontakte in die GmbH einbringen zu wollen. Die beiden anderen Gesellschafter verpflichteten sich unter anderem dem ab 1.7.2009 zu schließenden Geschäftsführervertrag mit Erfolgsbeteiligung zuzustimmen.
Der Beigeladene zu 1. war seit Gründung der Gesellschaft im Dezember 2005 zum einzigen Geschäftsführer bestellt. Daneben verkaufte er als selbstständiger Handelsvertreter Kfz und war als Versicherungsmakler tätig. Zum 1.7.2009 schloss er mit der klagenden GmbH einen Geschäftsführervertrag, in dem unter anderem eine Aufwandsentschädigung in noch zu bestimmender Höhe und Provisionen für den Neuwagenverkauf von 50 vH, bei Gebrauchtwagen 30 vH des Verkaufserlöses vereinbart wurden.
Die Berufsgenossenschaft Metall Süd (BG) stellte fest, dass der Beigeladene zu 1. nicht in der gesetzlichen Unfallversicherung pflichtversichert sei. Zur Begründung führte sie aus, Gesellschafter-Geschäftsführer seien nicht als pflichtversicherte Personen im Unternehmen tätig, wenn sie eine beherrschende Stellung hätten, also mit ihren Stimmen in der Gesellschafterversammlung ihnen nicht genehme Beschlüsse verhindern könnten oder regelmäßig wie ein Unternehmer tätig seien. Der Bescheid gelte vorbehaltlich eines anderen Verwaltungsakts aufgrund geänderter Verhältnisse (Bescheid vom 1.3.2006). Eine im Jahr 2010 betreffend die Jahre 2006 bis 2009 durchgeführte Betriebsprüfung führte zu keiner Beanstandung (Prüfmitteilung der DRV Bund vom 21.7.2010).
Nach einer neuerlichen Betriebsprüfung forderte die Beklagte Beiträge zur gesetzlichen Renten-(GRV) und Arbeitslosenversicherung sowie Umlagen in Höhe von 39 842,35 Euro für die Zeit vom 1.1.2010 bis zum 31.12.2013 nach. Die frühere Prüfmitteilung der DRV Bund begründe keinen Vertrauensschutz, denn es handele sich weder um einen Bescheid noch seien personenbezogene Feststellungen getroffen worden. An den (rechtswidrigen) Bescheid der BG sei sie nicht gebunden (Betriebsprüfungsbescheid vom 3.3.2016, Widerspruchsbescheid vom 17.3.2017).
Klage und Berufung sind erfolglos geblieben (Gerichtsbescheid des SG vom 1.6.2018, Urteil des LSG vom 10.12.2020). Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, der Beigeladene zu 1. habe kraft seiner Gesellschafterstellung nicht die Möglichkeit gehabt, Weisungen an sich zu verhindern. Eine Sperrminorität sei ihm nicht eingeräumt gewesen. Die nur schuldrechtlich wirkende Stimmrechtsbindungsvereinbarung ändere daran nichts. Schützenswertes Vertrauen zB aus früheren Betriebsprüfungen bestehe nicht. Weder habe diese personenbezogen stattgefunden noch sei sie mit einem Bescheid abgeschlossen worden. Aus einem die fehlende Versicherungspflicht des Beigeladenen zu 1. in der gesetzlichen Unfallversicherung (GUV) feststellenden Bescheid der BG vom 1.3.2006 könne weder Vertrauensschutz noch Tatbestands- oder Feststellungswirkung hergeleitet werden, denn er betreffe weder die GRV noch die Arbeitslosenversicherung. Die Versicherungspflicht in der GUV habe andere Voraussetzungen, worauf schon in dem Bescheid der BG hingewiesen worden sei.
Gegen die Nichtzulassung der Revision wendet sich die Klägerin mit ihrer Beschwerde.
II
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung des LSG ist als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG). Die Klägerin hat den allein geltend gemachten Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) nicht hinreichend dargelegt.
1. Bei Geltendmachung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache muss die Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (stRspr; vgl nur BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17; BSG Beschluss vom 28.1.2019 - B 12 KR 94/18 B - juris RdNr 6 mwN). Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (vgl BSG Beschluss vom 25.10.1978 - 8/3 BK 28/77 - SozR 1500 § 160a Nr 31 S 48; BSG Beschluss vom 28.1.2019 - B 12 KR 94/18 B - juris RdNr 6). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.
Die Klägerin wirft auf S 8 der Beschwerdebegründung folgende Frage auf:
"ob ein rechtskräftiger Bescheid eines Trägers der gesetzlichen Unfallversicherung, dass ein Gesellschafter-Geschäftsführer nicht gesetzlich pflichtversichert ist, weil er nicht als abhängig Beschäftigter zu beurteilen ist, eine Tatbestands- und Bindungswirkung gemäß §§ 39 Abs. 2 SGB X, § 77 SGG entfaltet gegenüber einem späteren Bescheid eines Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung mit dem Inhalt, dass der Gesellschafter-Geschäftsführer in der Rentenversicherung gesetzlich pflichtversichert ist, weil er als abhängig Beschäftigter zu beurteilen sei."
Die Klägerin legt die Klärungsbedürftigkeit dieser Frage nicht hinreichend dar. Eine Rechtsfrage ist dann höchstrichterlich geklärt und damit als nicht (mehr) klärungsbedürftig anzusehen, wenn diese bereits beantwortet ist. Ist sie noch nicht ausdrücklich entschieden, genügt es, dass schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beantwortung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (BSG Beschluss vom 30.8.2016 - B 2 U 40/16 B - SozR 4-1500 § 183 Nr 12 RdNr 7 mwN).
Inwieweit sich die aufgeworfene Frage nach der Tatbestands- und Bindungswirkung anhand der Rechtsprechung und mit dem Wortlaut des § 39 Abs 1 Satz 2 SGB X und des § 77 SGG ("für die Beteiligten … bindend") nicht beantworten lassen soll, geht aus der Beschwerdebegründung nicht hinreichend deutlich hervor.
Eine hinreichende Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des BSG zu den Voraussetzungen und Grenzen der Bindungs- und Tatbestandswirkung von Bescheiden (BSG Urteil vom 26.7.1979 - 8b RK 5/78 - SozR 2200 § 176c Nr 3 S 7 f; BSG Urteil vom 20.8.2019 - B 2 U 35/17 R - SozR 4-2700 § 121 Nr 2 RdNr 21 ff; BSG Urteil vom 19.9.2019 - B 12 R 25/18 R - BSGE 129, 95 = SozR 4-2400 § 7 Nr 43, RdNr 30) fehlt. Darlegungen wären angezeigt gewesen, nachdem bereits das LSG darauf hingewiesen hat, dass eine materielle Bindungswirkung schon von Betriebsprüfungsbescheiden nur soweit besteht, als Versicherungspflicht personenbezogen für bestimmte Zeiträume durch Verwaltungsakt festgestellt wird. Die Klägerin hätte sich damit auseinandersetzen müssen, ob und inwiefern diese Rechtsprechung auf die Feststellung der Versicherungspflicht in der GUV zu übertragen ist.
Es fehlt eine hinreichende Darlegung, inwiefern die Rechtsprechung des Senats zur Elementenfeststellung (BSG Urteil vom 11.3.2009 - B 12 R 11/07 R - BSGE 103, 17 = SozR 4-2400 § 7a Nr 2, RdNr 16; BSG Beschluss vom 23.3.2017 - B 5 RE 1/17 B - SozR 4-1500 § 123 Nr 6 RdNr 8) sowie zur kontextabhängigen und bereichsspezifischen Auslegung des Beschäftigungsbegriffs (BSG Urteile vom 19.9.2019 - B 12 R 25/18 R - BSGE 129, 95 = SozR 4-2400 § 7 Nr 43, RdNr 22; B 12 KR 21/19 R - BSGE 129, 106 = SozR 4-2400 § 7 Nr 45, RdNr 27 mwN) die Rechtsfrage beantwortet. Weder führt die Klägerin zur Frage aus, ob sich die behauptete Tatbestandswirkung von Bescheiden zur Versicherungspflicht in der GUV auch auf deren Begründung beziehen kann ("weil"), noch inwiefern ein solcher Bescheid Bindungs- oder Tatbestandswirkung hinsichtlich des darin vermeintlich enthaltenen Elements "Beschäftigung" entfalten kann. Die Klägerin setzt sich nicht hinreichend mit den unterschiedlichen Voraussetzungen der Versicherungspflicht in der GUV und GRV und deren Folgen für eine eventuelle Bindungswirkung von Verwaltungsakten zur Versicherungspflicht in der GUV für die Entscheidung über die Versicherungspflicht in der GRV auseinander. Das wäre zu erwarten gewesen, nachdem bereits das LSG darauf hingewiesen hat, dass in der GUV neben fehlender Beschäftigung auch eine Tätigkeit wie ein Unternehmer die Versicherungspflicht ausschließt.
Sofern die Klägerin ihre Frage in ihrer Begründung dahingehend konkretisiert, dass sie wegen des Bescheids der BG auf die Beitragsfreiheit vertraut habe, hat die Klägerin die Klärungsfähigkeit im angestrebten Revisionsverfahren nicht hinreichend dargelegt. Mit dieser Konkretisierung stellt die Klägerin sinngemäß die Frage,
ob das Vertrauen in einen Bescheid eines Unfallversicherungsträgers aus dem Jahr 2006, mit dem dieser die fehlende Versicherungspflicht eines Gesellschafter-Geschäftsführers in der GUV wegen seiner beherrschenden Stellung oder einer unternehmerähnlichen Tätigkeit festgestellt hatte, einer Feststellung der Versicherungspflicht in der GRV in den Jahren 2010 bis 2013 desselben Geschäftsführers entgegensteht.
Die Klärungsfähigkeit dieser Frage im angestrebten Revisionsverfahren ergibt sich aus der Beschwerdebegründung nicht hinreichend. Dazu hätte sie zumindest ausführen müssen, dass die übrigen Voraussetzungen des Vertrauensschutzes erfüllt sind. Nach der Rechtsprechung des Senats dürfen die Beitragspflichtigen nicht für eine zurückliegende Zeit mit einer Beitragsnachforderung überrascht werden, die in Widerspruch steht zu dem vorangegangenen Verhalten der Verwaltung, auf deren Rechtmäßigkeit sie vertraut haben und vertrauen durften (BSG Urteil vom 19.9.2019 - B 12 KR 21/19 R - BSGE 129, 106 = SozR 4-2400 § 7 Nr 45, RdNr 29). Die Klägerin hätte darlegen müssen, inwiefern sie auf die Entscheidung der BG in dem Bescheid vom 1.3.2006 vertraut hat und vertrauen durfte. Dazu hätte sie zumindest darlegen müssen, dass dem Bescheid vom 1.3.2006 derselbe Sachverhalt zugrunde lag und die BG über die auch für die angefochtenen Bescheide relevanten Fragen entschied. Darlegungen wären - insofern unterscheidet sich der hiesige Fall von dem beim Senat anhängigen Revisionsverfahren B 12 R 6/21 R - hier schon deshalb angezeigt gewesen, weil die Beteiligten nach den Feststellungen des LSG erst zum 1.7.2009 einen Geschäftsführervertrag mit einer Vergütung (Provisionen) schlossen. Die Klägerin hätte darlegen müssen, ob und inwiefern die BG im Bescheid vom 1.3.2006 über die hier streitige entgeltliche Tätigkeit des Beigeladenen zu 1. und nicht lediglich über seine Tätigkeit als Organ der Klägerin entschieden hatte. Das wäre im Übrigen auch deshalb angezeigt gewesen, weil das LSG in den Entscheidungsgründen darauf hingewiesen hat, dass die BG ihre Entscheidung mit einer beherrschenden oder unternehmerähnlichen Stellung begründete. Die Klägerin hätte zumindest auch darlegen müssen, dass eine unternehmerähnliche Stellung im Recht der GUV eine Versicherungspflicht auch in der GRV ausschlösse.
2. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm § 154 Abs 2 und 3, § 162 Abs 3 VwGO.
4. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 52 Abs 1 und Abs 3 Satz 1, § 47 Abs 1 Satz 1 und Abs 3 sowie § 63 Abs 2 Satz 1 GKG.
Fundstellen
Dokument-Index HI14693294 |