Leitsatz (amtlich)
1. Eine Erbengemeinschaft ist als nicht-rechtsfähige Personenvereinigung im Sinne von SGG § 70 Nr 2 fähig, am sozialgerichtlichen Verfahren beteiligt zu sein.
2. Die Voraussetzungen für die Bestimmung des zuständigen Sozialgerichts nach SGG § 58 Abs 1 Nr 5 und SGG § 58 Abs 2 sind gegeben, wenn das angerufene Sozialgericht weder selbst nach SGG § 57 örtlich zuständig ist noch das nach dieser Vorschrift zuständige Sozialgericht von sich aus bestimmen und den Rechtsstreit an dieses nach SGG § 98 verweisen kann.
Normenkette
SGG § 57 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03, Abs. 3 Fassung: 1953-09-03, § 58 Abs. 1 Nr. 5 Fassung: 1953-09-03, Abs. 2 Fassung: 1953-09-03, § 70 Nr. 2 Fassung: 1953-09-03, § 98 Fassung: 1953-09-03; BGB § 2032 Abs. 1 Fassung: 1896-08-18
Tenor
Als zuständiges Gericht wird das Sozialgericht Nürnberg bestimmt.
Gründe
Das Sozialgericht Berlin hat die Bestimmung des zuständigen Gerichts durch das Bundessozialgericht nach § 58 Abs. 1 Nr. 5 und Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) beantragt. In dem zugrunde liegenden Rechtsstreit klagt eine aus vier Personen bestehende Erbengemeinschaft gegen die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte. Ein Erbe wohnt in Nürnberg, die übrigen Erben wohnen im Ausland. Streit besteht darüber, in welcher Höhe die Beklagte die der Erblasserin für die Jahre 1942 bis 1945 zustehende Witwenrente an die Erben nachzuzahlen hat. Das von der Erbengemeinschaft angerufene Sozialgericht Berlin ist der Auffassung, daß sich eine örtliche Zuständigkeit in diesem Streitfall aus § 57 SGG nicht ergebe. Da auch das Sozialgericht Nürnberg als zuständiges Gericht in Frage komme, sei die Vorlage an das Bundessozialgericht gerechtfertigt.
Die als Klägerin auftretende Erbengemeinschaft besitzt keine Rechtsfähigkeit. Sie ist aber als nichtrechtsfähige Personenvereinigung im Sinne von § 70 Nr. 2 SGG fähig, am sozialgerichtlichen Verfahren beteiligt zu sein. Mit dieser Vorschrift wollte der Gesetzgeber, wie sich aus der amtlichen Begründung ergibt (vgl. Bundestagsdrucksache Nr. 4375 vom 19.5.1953, Anmerkungen zu § 19), die Parteifähigkeit gegenüber der Zivilprozeßordnung erweitern. Es sollten auch die nicht rechtsfähigen Personenvereinigungen die Möglichkeit erhalten, ohne den Umweg über ihre Mitglieder gehen zu müssen, ihre öffentlich-rechtlichen Ansprüche vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit zu vertreten. Dabei hat der Gesetzgeber nicht nur an solche Personenvereinigungen gedacht, die auf vertraglicher Grundlage entstanden sind (so Breithaupt 1956 S. 1065), vielmehr fallen unter diesen Begriff auch andere, dem öffentlichen oder privaten Recht angehörende, nicht mit Rechtsfähigkeit ausgestattete Personenmehrheiten, die einen gemeinsamen Zweck verfolgen und über eigenes Vermögen verfügen. Hierher gehört auch eine Erbengemeinschaft im Sinne der §§ 2032 f. des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) (vgl. Hastler, Anmerkung 5 zu § 70 SGG). Sie ist in der Lage, ihre Rechte im Prozeß durch besondere Beauftragte wahrzunehmen (§ 71 Abs. 3 SGG).
Das SGG enthält keine Regelung des Gerichtsstands für den Fall, daß eine nach § 70 Nr. 2 SGG beteiligungsfähige Personenvereinigung klagen will. Von den hier nicht gegebenen Fällen des § 57 Abs. 2 und § 57 a SGG abgesehen, enthält es nur Vorschriften über den Gerichtsstand, die den Kläger als Einzelperson, sei es als natürliche oder als juristische Person betreffen. Eine Vereinbarung der Zuständigkeit durch die Beteiligten, wie sie der Zivilprozeß kennt, ist im sozialgerichtlichen Verfahren ausgeschlossen (§ 59 SGG). In den Fällen, in denen die örtliche Zuständigkeit zweifelhaft ist, sieht das Gesetz in § 58 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 SGG die Bestimmung des zuständigen Gerichts durch das gemeinsam nächsthöhere Gericht vor. In Betracht kommt im vorliegenden Fall nur Nr. 5; hier ist vorausgesetzt, daß eine örtliche Zuständigkeit nach § 57 SGG nicht gegeben ist. Dies ist der Fall, wenn das angerufene Gericht weder selbst nach § 57 SGG örtlich zuständig ist noch von sich aus das nach dieser Vorschrift zuständige Gericht der Sozialgerichtsbarkeit bestimmen und den Rechtsstreit an dieses nach § 98 SGG verweisen kann. Um eine Entscheidung durch das gemeinsam nächsthöhere Gericht nach § 58 SGG herbeizuführen, müssen aber mindestens zwei Gerichte als örtlich zuständige Gerichte in Betracht kommen. Dies trifft hier zu. Wendet man nämlich die Vorschriften in § 57 SGG auf die der Klägerin angehörenden Einzelpersonen an, so würde hinsichtlich des in Nürnberg wohnenden Miterben das Sozialgericht Nürnberg (§ 57 Abs. 1 SGG) und hinsichtlich der übrigen Miterben, da sie im Ausland wohnen, das Sozialgericht Berlin zuständig sein (§ 57 Abs. 5 SGG). Für die Klägerin kommen daher diese beiden Gerichte als örtlich zuständige Gerichte in Betracht. Sie liegen in den Bezirken verschiedener Landessozialgerichte; ihnen gegenüber ist das Bundessozialgericht das gemeinsam nächsthöhere Gericht. Die Voraussetzungen für die Bestimmung des zuständigen Gerichts durch das Bundessozialgericht nach § 58 Abs. 1 Nr. 5 SGG sind daher gegeben.
Als örtlich zuständiges Gericht bestimmt der Senat das Sozialgericht Nürnberg. Dieser Gerichtsstand ist geeignet, der Klägerin die gerichtliche Verfolgung ihrer Ansprüche zu erleichtern, weil der einzige in der Bundesrepublik wohnende Miterbe und der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin in Nürnberg wohnen.
Fundstellen
Haufe-Index 2314101 |
NJW 1958, 1560 |