Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 31. Januar 2023 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.
Gründe
I
Die Klägerin begehrt eine Witwenrente aus der Versicherung ihres 1940 geborenen Ehemannes, mit dem sie seit 1991 zusammengelebt hatte und der am 30.10.2019 - sieben Wochen nach der Eheschließung - an den Folgen eines im Mai 2019 erstmals diagnostizierten Lungenkarzinoms verstarb. Der beklagte Rentenversicherungsträger lehnte die Rentenzahlung wegen des Vorliegens einer sog Versorgungsehe iS des § 46 Abs 2a SGB VI ab (Bescheid vom 27.11.2019, Widerspruchsbescheid vom 2.3.2020). Das SG hat die Beklagte zur Zahlung der Witwenrente verurteilt (Urteil vom 29.10.2021). Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG diese Entscheidung aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 31.1.2023). Die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe sei ausgehend von dem von der Klägerin behaupteten Geschehensablauf nicht widerlegt. Besondere Umstände, die die Annahme einer Versorgungsehe als nicht gerechtfertigt erscheinen lassen könnten, seien bei einer Gesamtbetrachtung angesichts der bei Bestellung des Aufgebots am 2.9.2019 bereits offenkundig lebensbedrohlichen Erkrankung des Versicherten (7 cm großer Tumor der höchstmöglichen Klassifikation mit Metastasen in Nebenniere und Darm) nicht erkennbar. Vor dem Zeitpunkt der Erstdiagnose seien die Hochzeitspläne der Eheleute nicht hinreichend konkret gewesen. Die Voraussetzungen einer sog "Pflegeehe" hätten angesichts der nur noch begrenzten Lebenserwartung des Versicherten nicht vorgelegen.
Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG hat die Klägerin beim BSG Beschwerde eingelegt. Sie beruft sich auf eine Divergenz und macht zudem Verfahrensmängel geltend.
II
1. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Ihre Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen. Die Klägerin hat weder eine Rechtsprechungsabweichung noch Verfahrensmängel in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG erforderlichen Weise bezeichnet. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.
a) Soweit die Klägerin zunächst geltend macht, das Berufungsgericht weiche von der höchstrichterlichen Rechtsprechung ab, hat sie eine Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG nicht hinreichend dargelegt. Eine solche liegt vor, wenn die tragenden abstrakten Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zugrunde gelegt worden sind, nicht übereinstimmen. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG aufgestellt hat. Eine Abweichung liegt nicht schon dann vor, wenn die Entscheidung des LSG nicht den Kriterien entspricht, die das BSG aufgestellt hat, sondern erst, wenn das LSG diesen Kriterien widersprochen, also eigene rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Bezogen auf die Darlegungspflicht bedeutet dies, dass die Beschwerdebegründung erkennen lassen muss, welcher abstrakte Rechtssatz in der höchstrichterlichen Entscheidung enthalten ist und welcher dem Urteil des LSG zugrunde liegende Rechtssatz dazu im Widerspruch steht (vgl BSG Beschluss vom 6.6.2023 - B 5 R 214/22 B - juris RdNr 11 mwN).
Diesen Erfordernissen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Sie gibt zwar Inhalte des BSG-Urteils vom 5.5.2009 (B 13 R 55/08 R - BSGE 103, 99 = SozR 4-2600 § 46 Nr 6, RdNr 19-24) in komprimierter Zusammenfassung wieder und zitiert wörtlich längere Passagen aus dem erstinstanzlichen Urteil vom 29.10.2021. Zum Beleg für eine Abweichung führt sie aus dem LSG-Urteil (Umdruck S 11 Abs 2) den Satz an: "Hochzeitspläne können nur dann die Vermutung einer Versorgungsehe widerlegen, wenn sie hinreichend konkret waren und sich als konsequente Verwirklichung einer schon vor Bekanntwerden der Erkrankung befassten Heiratsabsicht darstellen." Dem stellt sie aus der genannten BSG-Entscheidung folgenden Satz gegenüber: "Jedoch ist auch bei einer nach objektiven Maßstäben schweren Erkrankung mit einer ungünstigen Verlaufsprognose und entsprechender Kenntnis der Ehegatten der Nachweis nicht ausgeschlossen, dass dessen ungeachtet (überwiegend oder zumindest leichtfertig ≪richtig: gleichwertig≫) aus anderen als aus Versagungsgründen (richtig: Versorgungsgründen) geheiratet wurde" (vgl BSG Urteil vom 5.5.2009 - B 13 R 55/08 R - aaO RdNr 27 ≪nicht RdNr 29, wie von der Klägerin angegeben≫). Weshalb diese beiden Rechtssätze miteinander unvereinbar sein sollen, zeigt die Klägerin jedoch nicht in nachvollziehbarer Weise auf. Auch das LSG ist nach dem Inhalt des wiedergegebenen Rechtssatzes offenkundig davon ausgegangen, dass hinreichend konkrete Hochzeitspläne, die bereits vor der Kenntnis von der lebensbedrohlichen Erkrankung eines der Ehegatten verfolgt wurden, im Grundsatz geeignet sein können, die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe zu widerlegen. Das korrespondiert mit den Ausführungen in dem genannten BSG-Urteil (aaO), dass in einer solchen Konstellation bei der abschließenden Gesamtbewertung diejenigen Umstände, die gegen eine Versorgungsehe sprechen, "umso gewichtiger sein" müssen, je offenkundiger und je lebensbedrohlicher die Krankheit eines Versicherten zum Zeitpunkt der Eheschließung gewesen ist. Es wird nicht deutlich, weshalb die Forderung des LSG, Hochzeitspläne müssten "hinreichend konkret" gewesen sein, damit im Rechtsgrundsätzlichen unvereinbar sein soll. Die Subsumtion des LSG im Einzelfall kann mit der Divergenzrüge, die sich auf eine Abweichung im Rechtssatz bezieht, nicht angegriffen werden (vgl BSG Beschluss vom 6.1.2022 - B 5 LW 1/21 B - juris RdNr 17).
b) Die Klägerin hat auch Verfahrensmängel nicht ausreichend dargetan.
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde damit begründet, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), so müssen zur Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) zunächst die Umstände, aus denen sich der Verfahrensfehler ergeben soll, substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist es erforderlich darzulegen, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
Das Vorbringen der Klägerin entspricht diesen Anforderungen nicht. Sie beanstandet zunächst, das LSG habe "völlig unzureichende Feststellungen getroffen" und die gebotene Sachaufklärung unterlassen. Einen von ihr bzw ihrem Prozessbevollmächtigten im Berufungsverfahren gegenüber dem LSG angebrachten und bis zuletzt aufrechterhaltenen Beweisantrag zu einem konkret bezeichneten Beweisthema trägt sie jedoch nicht vor. Damit ist die grundlegende Voraussetzung für eine Rüge unzureichender gerichtlicher Sachaufklärung (§ 103 Satz 1 Halbsatz 1 SGG) nicht erfüllt.
Die Klägerin hat aber auch eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG) durch das Berufungsgericht nicht schlüssig aufgezeigt. Hierzu trägt sie vor, das LSG sei "offensichtlich zu einer abweichenden Wertung der Angaben der Klägerin sowie der Bekundungen dieser Zeugen" gelangt, die in erster Instanz vernommen worden waren. In Ermangelung näherer Ausführungen könne "nur vermutet werden", dass das LSG die Aussagen abweichend gewürdigt habe oder es aus seiner Sicht auf diese nicht angekommen sei. Diese Darstellung lässt nicht in nachvollziehbarer Weise erkennen, inwiefern das LSG die Aussagen der vom SG befragten Zeugen oder die Angaben der Klägerin zu den Beweggründen für die Eheschließung in ihrem Inhalt anders (abweichend) festgestellt hat als das erstinstanzliche Gericht. Ebenso wenig zeigt dieser Vortrag auf, dass das LSG die Glaubhaftigkeit der Angaben der Zeugen bzw der Klägerin anders beurteilt hat. Die Beschwerdebegründung setzt sich nicht damit auseinander, dass das LSG ausdrücklich ausgeführt hat, es gehe bei seiner Entscheidung "von dem von der Klägerin behaupteten und von der Beklagten nicht in Abrede gestellten Geschehensablauf" aus (vgl Urteilsumdruck S 8 unten). Das LSG hat damit die "im sozialgerichtlichen Verfahren ermittelten" tatsächlichen Umstände im Rahmen der von ihm vorzunehmenden Gesamtabwägung offenkundig lediglich anders bewertet als die erste Instanz.
Soweit die Klägerin ausführt, das Berufungsgericht hätte ihr in diesem Fall "einen entsprechenden rechtlichen Hinweis nach § 106 Abs. 1 SGG erteilen müssen", rügt sie in der Sache eine unzulässige Überraschungsentscheidung. Sie liegt vor, wenn das Gericht einen Sachverhalt oder ein Vorbringen in einer Weise würdigt, mit der ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter auch unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nach dem bisherigen Verfahrensverlauf nicht rechnen musste (vgl BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 1.8.2017 - 2 BvR 3068/14 - juris RdNr 51; BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 13.10.2022 - 1 BvR 1019/22 - juris RdNr 23). Eine allgemeine Verpflichtung des Gerichts, die Beteiligten vor einer Entscheidung auf eine in Aussicht genommene Tatsachen- und Beweiswürdigung hinzuweisen oder die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gründe zuvor mit den Beteiligten zu erörtern, besteht nicht. Sie wird weder durch den allgemeinen Anspruch auf rechtliches Gehör noch durch die Regelungen zu richterlichen Hinweispflichten begründet, denn die tatsächliche und rechtliche Würdigung ergibt sich regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Beratung (vgl zB BSG Beschluss vom 23.12.2022 - B 5 R 170/22 B - juris RdNr 7 mwN). Die Beschwerdebegründung zeigt nicht auf, dass nach dem Verfahrensgang oder auch nach dem konkreten Verlauf der mündlichen Verhandlung vor dem LSG die Rechtsansicht des dort erkennenden Senats für sie bzw ihren Prozessbevollmächtigten völlig unvorhersehbar und damit letztlich überraschend war. Im Übrigen lässt die Niederschrift erkennen, dass die mündliche Verhandlung vor dem LSG am 31.1.2023 mit 105 Minuten überdurchschnittlich lange gedauert hat und dabei zweimal für Zwischenberatungen des Senats unterbrochen worden ist. Die persönlich anwesende Klägerin ist vom Vorsitzenden befragt und eine ursprünglich geladene Zeugin ist bereits nach 45 Minuten entlassen worden, ohne dass sie vernommen worden wäre. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs der Klägerin aufgrund einer Überraschungsentscheidung ergibt sich auch hieraus nicht.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
2. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 183 Satz 1 iVm § 193 Abs 1 und 4 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI15912584 |