Verfahrensgang

LSG Sachsen-Anhalt (Urteil vom 28.06.1994; Aktenzeichen L 2 Ar 50/94)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 28. Juni 1994 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Der Kläger begehrt eine Zugunstenentscheidung (§ 44 Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren) über die Gewährung von höherem Altersübergangsgeld (Alüg) ab 24. September 1991.

Seinen im Juni 1993 gestellten Antrag auf Erhöhung des gezahlten Alüg ua „ohne Berücksichtigung eines Kirchensteuerabzugs” lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 14. Juni 1993; Widerspruchsbescheid vom 8. September 1993). Die Klage blieb in beiden Instanzen erfolglos (Urteil des Sozialgerichts vom 22. Dezember 1993; Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 28. Juni 1994).

 

Entscheidungsgründe

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde, mit der der Kläger die zweitinstanzliche Entscheidung angreift, ist unzulässig, da die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫), der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG idF des Fünften Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht vom 2. August 1993 – BGBl I 1442) und des Verfahrensmangels, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), nicht in der erforderlichen Weise dargelegt bzw bezeichnet sind.

Der Kläger rügt vorrangig, das LSG sei mit seiner Entscheidung von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 23. März 1994 (1 BvL 8/85) abgewichen. Seine Ausführungen genügen insoweit jedoch nicht den Anforderungen an die Zulässigkeit einer Beschwerdebegründung.

Von einer Abweichung kann nur bei einem Widerspruch im Rechtssatz gesprochen werden. Es müssen deshalb der Rechtssatz des angefochtenen Urteils und der der anderen Entscheidung, von der angeblich abgewichen wird, herausgearbeitet und deren Unvereinbarkeit dargelegt werden (BSG SozR 1500 § 160a Nr 14). Der Rechtssatz der anderen obergerichtlichen Entscheidung, die genau zu bezeichnen ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 14), muß rechtserheblich gewesen sein (BSG SozR 1500 § 160 Nr 61). Schließlich verlangt der Zulassungsgrund der Divergenz, da das angefochtene Urteil auf der Abweichung beruhen muß, eine Darlegung, daß das Urteil der Vorinstanz bei Zugrundelegung der Auffassung in der Entscheidung, von der abgewichen worden sein soll, anders hätte ausfallen müssen und der divergierende Rechtssatz des angefochtenen Urteils entscheidungserheblich ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 54).

Es fehlt bereits an der erforderlichen Herausarbeitung der gegenüberzustellenden Rechtssätze. Hierzu führt der Kläger aus, das BVerfG habe entschieden, der Gesetzgeber habe für die Entscheidung über die im Ausgangsverfahren maßgebliche Zeit noch davon ausgehen dürfen, daß eine deutliche Mehrheit von Arbeitnehmern einer Kirche zugehörig sei, andererseits jedoch zu einer Überprüfung Anlaß bestehe, ob die Kirchensteuer auch künftig noch als gewöhnlich anfallender Abzug anzusehen sei, nachdem ein großer Teil der Arbeitnehmer in den neuen Bundesländern keiner Kirche angehöre, die Kirchensteuer erhebe. Diesem Rechtssatz wird indes kein angeblich abweichender Rechtssatz des LSG gegenübergestellt. Vielmehr wird lediglich der Inhalt der auf § 249e Arbeitsförderungsgesetz (AFG) gestützten zweitinstanzlichen Entscheidung geschildert und dargestellt, daß diese Vorschrift eine Regelung ausschließlich für die neuen Bundesländer schaffe, in denen die überwiegende Mehrheit der Arbeitnehmer keiner Kirche angehöre. Abgesehen davon, daß das LSG seine Entscheidung inhaltlich sogar auf die Entscheidung des BVerfG stützt, weil derzeit im gesamten Bundesgebiet noch weit über die Hälfte der Bevölkerung einer Kirchensteuer erhebenden Religionsgemeinschaft angehöre, macht der Vortrag des Klägers nicht deutlich, worin überhaupt die Abweichung liegen soll. Im übrigen hat das Bundessozialgericht (BSG) mittlerweile am 15. September 1994 in der Sache 11 RAr 9/94 und am 26. Oktober 1994 in der Sache 11 RAr 87/93 die generelle Berücksichtigung von Kirchensteuer bei der Höhe des Alüg für verfassungsgemäß erklärt.

Soweit der Kläger eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 Grundgesetz) durch das LSG geltend macht, genügt seine Beschwerdebegründung ebenfalls nicht den gesetzlichen Anforderungen.

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde auf § 160 Abs 2 Nr 3 SGG gestützt, so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden (BSG SozR 1500 § 160a Nrn 14, 24, 34 und 36). Darüber hinaus verlangt die Beschwerdebegründung die Darlegung, daß und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht (BSG SozR 1500 § 160a Nrn 14 und 36). Diesen Anforderungen ist nicht dadurch entsprochen, daß der Kläger mit seiner Rüge darauf hinweist, er habe sowohl erstinstanzlich als auch im Berufungsverfahren vorgetragen, daß er noch zwei unterhaltsberechtigte Kinder habe, was zu einer anderen Leistungshöhe hätte führen müssen als bei einem Arbeitslosen ohne unterhaltsberechtigte Kinder; das Urteil des LSG enthalte zu diesem Vortrag keinerlei Rechtsausführungen, so daß er offensichtlich unberücksichtigt geblieben sei.

Zwar umfaßt der Anspruch auf rechtliches Gehör auch, daß der Vortrag eines Beteiligten mit in die Erwägung des Gerichts einbezogen wird; grundsätzlich ist jedoch anzunehmen, daß dies geschehen ist, wenn das Gericht – wie hier – den Vortrag entgegengenommen hat (Meyer-Ladewig, SGG, 5. Aufl 1993, § 62 RdNr 7 mwN). In den Entscheidungsgründen muß dann nicht zu jeder einzelnen vorgetragenen Frage Stellung genommen werden (Meyer-Ladewig aaO mwN). Da sich mithin lediglich aus den Umständen des Einzelfalles ergeben kann, daß der Vortrag nicht zur Kenntnis genommen worden ist (Meyer-Ladewig aaO mwN), hätte es zur schlüssigen Darlegung eines Verfahrensmangels eines näheren Eingehens auf den Inhalt des Berufungsurteils bedurft, zumal das LSG im Tatbestand seiner Entscheidung von der Existenz zweier Kinder ausgeht und in den Entscheidungsgründen unter Hinweis auf den Wortlaut des § 249e AFG einen Leistungssatz von 65 vH annimmt, der unabhängig vom Familienstand des Klägers gilt (vgl Urteil des Senats vom 1. Juni 1994 – 7 RAr 86/93 –, unveröffentlicht).

Es liegt schließlich auch kein hinreichender Vortrag zur Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) vor.

Der Kläger mißt der Frage grundsätzliche Bedeutung bei, ob der Alüg-Bezieher mit dem Arbeitslosengeld-Bezieher gleichzusetzen sei, bei dem die (prozentuale) Höhe des Leistungssatzes im Hinblick auf den Familienstand unterschiedlich sei, ob also auch dem Alüg-Bezieher bei Vorhandensein unterhaltsberechtigter Kinder ein höherer Leistungssatz zustehe.

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, daß die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung habe (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG), muß diese in der Begründung dargelegt werden (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die – über den Einzelfall hinaus – aus Gründen der Rechtseinheit oder -fortbildung einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Es muß daher anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und des Schrifttums angegeben werden, welche Rechtsfrage sich stellt, daß diese Rechtsfrage noch nicht geklärt ist, weshalb ihre Klärung aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts erforderlich ist und daß das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten läßt (BSG SozR 1500 § 160 Nr 17 und § 160a Nrn 7, 11, 13, 31, 39, 59 und 65; SozR 3-1500 § 160 Nr 8; SozR 3-4100 § 111 Nr 1; BVerfG SozR 3-1500 § 160a Nrn 6 und 7). Es muß demnach eine Rechtsfrage klar formuliert und deren Klärungsbedürftigkeit, Klärungsfähigkeit sowie Breitenwirkung aufgezeigt sein. Vorliegend fehlt es zumindest an der Darlegung der Klärungsbedürftigkeit.

Dafür ist unter Auswertung der Rechtsprechung des BSG vorzutragen, daß das BSG hierzu entweder noch keine Entscheidung gefällt oder durch schon vorliegende Urteile die aufgeworfene Frage von grundsätzlicher Bedeutung abstrakt noch nicht beantwortet hat (BSG SozR 1500 § 160a Nr 65), und zwar unter Auseinandersetzung auch mit höchstrichterlichen Entscheidungen, die zur Auslegung vergleichbarer Regelungen anderer Rechtsgebiete ergangen sind (BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 8). Zu berücksichtigen ist außerdem, ob nicht die aufgeworfene Frage bereits ohne weiteres durch das Gesetz selbst beantwortet wird; in diesem Fall bedarf es keiner Klärung mehr durch das BSG (BSG SozR 1500 § 160a Nr 4; SozR 3-1500 § 160 Nr 8).

Bereits dies ist hier zu bejahen, da § 249e AFG, wie bereits ausgeführt, den (prozentualen) Leistungssatz (65 vH des um die gewöhnlichen gesetzlichen Abzüge verminderten Bemessungsentgelts) unabhängig vom Familienstand bestimmt. Zumindest aber hätte es einer Auseinandersetzung des Klägers mit den Entscheidungen des 11. Senats zur Höhe des Alüg vom 10. November 1993 (BSG SozR 3-4100 § 249e Nrn 2 und 3) bedurft. Dem hat der Kläger nicht in der gebotenen Weise Rechnung getragen; jedenfalls genügt nicht die schlichte Behauptung, das BSG habe die aufgeworfene Rechtsfrage noch nicht entschieden.

Entspricht die Begründung somit nicht den gesetzlichen Anforderungen, muß die Beschwerde in entsprechender Anwendung des § 169 SGG als unzulässig verworfen werden (BSG SozR 1500 § 160a Nrn 1 und 5).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1174448

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