Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Urteil vom 05.12.2022; Aktenzeichen L 9 AL 136/21)

SG München (Entscheidung vom 13.08.2021; Aktenzeichen S 36 AL 276/20)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 5. Dezember 2022 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil der allein geltend gemachte Zulassungsgrund eines Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht in der erforderlichen Weise bezeichnet worden ist (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Die Beschwerde ist daher ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2, § 169 SGG).

Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der § 109 SGG (Anhörung eines bestimmten Arztes) und § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (freie richterliche Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Wer eine Nichtzulassungsbeschwerde auf diesen Zulassungsgrund stützt, muss zu seiner Bezeichnung (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) die diesen Verfahrensmangel des LSG (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dartun, also die Umstände schlüssig darlegen, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (stRspr; siehe bereits BSG vom 29.9.1975 - 8 BU 64/75 - SozR 1500 § 160a Nr 14; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 160a RdNr 16 mwN). Darüber hinaus ist aufzuzeigen, dass und warum die Entscheidung - ausgehend von der Rechtsansicht des LSG - auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit der Beeinflussung des Urteils besteht (stRspr; vgl bereits BSG vom 18.2.1980 - 10 BV 109/79 - SozR 1500 § 160a Nr 36).

Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Der Kläger rügt ausdrücklich eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) und seines Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz (Art 19 Abs 4 Satz 1 GG), weil das LSG überraschend und ohne eigene Sachkunde eine Würdigung der Einnahmen- und Ausgabensituation der ersten sechs Monate seiner Existenzgründung und der Tragfähigkeit der Kanzleigründung vorgenommen habe, sodass er keine Gelegenheit gehabt habe, zur Widerlegung dieser Annahme eine Stellungnahme der Rechtsanwaltskammer München einzuholen.

Damit ist ein Verfahrensmangel schon deswegen nicht hinreichend bezeichnet, weil das LSG gemäß § 153 Abs 2 SGG selbständig tragend auf die Entscheidungsgründe des SG Bezug genommen hat; eigene Ausführungen des LSG waren nur "ergänzend". Eine Überraschungsentscheidung liegt aber nur vor, wenn das Gericht ohne vorherigen Hinweis Anforderungen an den Sachvortrag stellt oder auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abstellt, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (stRspr; siehe nur BVerfG vom 7.10.2003 - 1 BvR 10/99 - BVerfGE 108, 341 [345 f] mwN; BSG vom 4.7.2018 - B 11 AL 22/18 B - juris RdNr 4 mwN; zuletzt BSG vom 1.7.2022 - B 4 AS 14/22 BH - juris RdNr 6 mwN). Dies ist aber ausgeschlossen, wenn das LSG seine Entscheidung auf die Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung stützt (BSG vom 14.12.2020 - B 11 AL 11/20 BH - juris RdNr 5; BSG vom 1.7.2022 - B 4 AS 14/22 BH - juris RdNr 6). Der Kläger trägt nicht vor, wieso hier gleichwohl eine Überraschungsentscheidung vorliegen soll.

Soweit sich das Beschwerdevorbringen als Rüge einer Verletzung des § 103 SGG verstehen lässt, da das LSG keine weiteren Ermittlungen durchgeführt und insbesondere eine Stellungnahme der Rechtsanwaltskammer nicht eingeholt habe, ist insofern ein Verfahrensmangel ebenfalls nicht hinreichend bezeichnet, da der Kläger nicht einmal behauptet, in der mündlichen Verhandlung einen Beweisantrag aufrechterhalten zu haben; dies aber ist erforderlich (stRspr; etwa BSG vom 1.7.2022 - B 4 AS 14/22 BH - juris RdNr 10 mwN).

Im Übrigen erschöpft sich das Beschwerdevorbringen der Sache nach darin, die Entscheidung des LSG für materiell unzutreffend zu erachten. Hierauf kann eine Nichtzulassungsbeschwerde aber nicht erfolgreich gestützt werden. Die Prüfung der inhaltlichen Richtigkeit der Entscheidung im Einzelfall ist nicht Gegenstand des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde (stRspr; zuletzt etwa BSG vom 29.9.2022 - B 4 AS 96/22 B - juris RdNr 3). Dies kann durch die Rüge, das Berufungsgericht habe den Anspruch auf effektiven Rechtsschutz verletzt, schon deswegen nicht unterlaufen werden, weil Art 19 Abs 4 Satz 1 GG kein Recht auf eine materiell richtige Entscheidung gewährt (vgl BVerfG [Kammer] vom 6.2.2013 - 1 BvR 2366/12 - BVerfGK 20, 196 [198]; BVerfG [Kammer] vom 10.3.2022 - 1 BvR 484/22 - juris RdNr 4).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 Satz 1, Abs 4 SGG.

Meßling

Söhngen

Burkiczak

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15718876

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge