Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Revisionsnichtzulassungsbeschwerde. Rüge eines Verfahrensfehlers. Verletzung der Amtsermittlungspflicht. Vorhandensein eines jedenfalls sinngemäß gestellten Beweisantrags. Gerichtliche Hinweispflicht
Leitsatz (redaktionell)
1. Nach § 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Auf eine Verletzung des § 109 (Anhörung eines bestimmten Arztes) und des § 128 Abs. 1 S. 1 SGG (freie richterliche Beweiswürdigung) kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen) nur dann gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
2. § 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG nennt einen Beweisantrag als Voraussetzung für eine Rüge des § 103 SGG ohne Einschränkung. Dementsprechend ist im Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Einzelnen aufzuzeigen, dass und wodurch diese Voraussetzung zumindest im oben genannten Sinn erfüllt ist. Daran mangelt es, wenn sich der Beschwerdeführer damit begnügt, in allgemeiner Form auf die im Berufungsverfahren eingereichten Schriftsätze und darin genannte “Kritikpunkte” hinzuweisen, ohne im Einzelnen anzugeben, in welchem Schriftsatz welcher Vortrag zu welchen zu beweisenden Tatsachen und welchen Beweismitteln zumindest sinngemäß als Beweisantrag anzusehen sein soll.
3. Auch bei einem in der Berufungsinstanz nicht vertretenen Beteiligten kann nicht darauf verzichtet werden, dass er einen konkreten Beweisantrag zumindest sinngemäß gestellt haben muss. Aus seinem Vorbringen im Berufungsverfahren muss sich ergeben, welche konkreten Punkte er am Ende des Verfahrens noch durch welche Beweismittel für aufklärungsbedürftig hält und dass das Gericht entsprechende Ermittlungen anstellen soll.
4. Eine bei nicht gestelltem Beweisantrag unzulässige Rüge der Verletzung der Amtsermittlungspflicht wird nicht über den Umweg der Verletzung von Hinweispflichten (§§ 106 Abs. 1 und 112 Abs. 2 SGG) zulässig (st.Rspr.; vgl. BSG SozR 1500 § 160 Nr 13). Die in § 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG geregelte Beschränkung von Verfahrensrügen kann auch nicht über den Umweg der Vorschriften zum rechtlichen Gehör erweitert werden (st.Rspr.; vgl. BSG, HV-Info 1993, 1406 m.w.N.).
Normenkette
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3, §§ 103, 106 Abs. 1, § 112 Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 22. Januar 2003 wird als unzulässig verworfen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die gegen die Nichtzulassung der Revision im angefochtenen Urteil des Landessozialgerichts (LSG) gerichtete, auf den Zulassungsgrund des Verfahrensmangels gestützte Beschwerde ist unzulässig. Die dazu gegebene Begründung entspricht nicht der in § 160 Abs 2 und § 160a Abs 2 Satz 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) festgelegten Form. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) erfordern diese Vorschriften, dass die Zulassungsgründe schlüssig dargetan werden (BSG SozR 1500 § 160a Nr 34, 47 und 58; vgl hierzu auch Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 3. Aufl, 2002, IX, RdNr 177 und 179 mwN). Diesen Anforderungen an die Begründung hat der Beschwerdeführer nicht Rechnung getragen.
Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Auf eine Verletzung des § 109 (Anhörung eines bestimmten Arztes) und des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (freie richterliche Beweiswürdigung) kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nach der ausdrücklichen Vorschrift des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG nicht und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen) nur dann gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
Der Kläger trägt zunächst vor, er sei in beiden Vorinstanzen nicht anwaltlich vertreten gewesen, habe aber gleichwohl durch das Einreichen einer Vielzahl von Schriftsätzen an diesen Verfahren teilgenommen. Zwar seien „diese Schriftsätze unter Umständen nicht in der üblichen, insbesondere mit Beweisantritten versehenen Form, verfasst” gewesen. Gleichwohl seien „die einzelnen Kritikpunkte des erstinstanzlichen Urteils im Berufungsverfahren durch den Beschwerdeführer explizit aufgezeigt und als Beweismittel die bereits eingereichten vielfältigen Unterlagen nebst namentlicher Nennung der behandelnden bzw begutachtenden Ärzte angeführt”. Dass ein ausdrücklicher Beweisantritt nicht vorgenommen worden sei, müsse unschädlich bleiben, da „die Berufung im Sozialgerichtsverfahren auch ohne Prozessbevollmächtigte möglich” sei und „das Landessozialgericht weitreichenden Aufklärungs- und Hinweispflichten” unterliege. Er habe „in sämtlichen Schriftsätzen die Verwertbarkeit des … Fachgutachtens des Institutes von Prof. Dr. S. … angezweifelt und hierfür weitreichende Begründungen vorgelegt” und mehrfach vorgetragen, dass ihn der Sachverständige nicht untersucht habe. Das LSG habe dies und „die Divergenz zum … Gutachten des Dr. M. … S. …” nicht annähernd berücksichtigt. Das LSG wäre verpflichtet gewesen, „den aufgezeigten Widersprüchen nachzugehen und den Gutachter Prof. Dr. Stresemann von Amts wegen zu hören oder aber den Beschwerdeführer auf die Notwendigkeit der Beantragung zur Anhörung des Gutachters hinzuweisen”.
Mit diesem Vorbringen hat der Kläger einen Verfahrensfehler iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG iVm §§ 103, 106 SGG nicht schlüssig dargelegt. Es fehlt bereits an der Bezeichnung eines berücksichtigungsfähigen Beweisantrages. Der Kläger hätte darlegen müssen, welchem konkreten Beweisantrag das LSG nicht gefolgt sein soll, und er hätte diesen Beweisantrag so genau bezeichnen müssen, dass er für das Revisionsgericht ohne weiteres auffindbar ist (vgl BSGE 40, 40, 41 = SozR 1500 § 160a Nr 4; Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 1990, RdNr 215). Dies hat er versäumt. Es kann dahingestellt bleiben, ob ein Beweisantrag iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG auch bei einem im Berufungsverfahren nicht rechtskundig vertretenen Beteiligten in der mündlichen Verhandlung zur Niederschrift des Gerichts gestellt sein (vgl dazu Beschlüsse des Senats vom 12. Mai 1999 – B 2 U 78/99 B – und vom 2. Januar 2002 – B 2 U 298/01 B – sowie Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Februar 1992 = SozR 3-1500 § 160 Nr 6) und den Anforderungen an einen Beweisantrag iS der Zivilprozessordnung (ZPO) entsprechen muss (BSG SozR 1500 § 160 Nr 45; Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 1990, RdNr 210 mwN). Denn auch bei einem solchen Beteiligten kann nicht darauf verzichtet werden, dass er einen konkreten Beweisantrag zumindest sinngemäß gestellt haben muss; aus seinem Vorbringen im Berufungsverfahren muss sich ergeben, welche konkreten Punkte er am Ende des Verfahrens noch durch welche Beweismittel für aufklärungsbedürftig hält und dass das Gericht entsprechende Ermittlungen anstellen soll. Denn § 160 Abs 2 Nr 3 SGG nennt einen Beweisantrag als Voraussetzung für eine Rüge des § 103 SGG ohne Einschränkung. Dementsprechend ist im Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Einzelnen aufzuzeigen, dass und wodurch diese Voraussetzung zumindest im oben genannten Sinne erfüllt ist. Daran mangelt es. Der Beschwerdeführer hat sich damit begnügt, in allgemeiner Form auf die im Berufungsverfahren eingereichten Schriftsätze und darin genannte „Kritikpunkte” hinzuweisen, ohne im Einzelnen anzugeben, in welchem Schriftsatz welcher Vortrag zu welchen zu beweisenden Tatsachen und welchen Beweismitteln zumindest sinngemäß als Beweisantrag anzusehen sein soll. Dies reicht nicht aus. Im Übrigen hat es der Kläger auch versäumt, darzulegen, aus welchen Gründen im Einzelnen sich das Berufungsgericht hätte gedrängt fühlen müssen, einem solchen sinngemäß gestellten Beweisantrag zu folgen (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 5), und welches für ihn günstige Ergebnis die von ihm für erforderlich gehaltene Beweisaufnahme voraussichtlich erbracht hätte.
Auch mit seinem Vortrag, das LSG hätte ihn auf die Notwendigkeit der Stellung von Beweisanträgen hinweisen müssen, hat der Beschwerdeführer noch keinen Verfahrensmangel in schlüssiger Weise dargelegt. Eine bei nicht gestelltem Beweisantrag unzulässige Rüge der Verletzung der Amtsermittlungspflicht wird nicht über den Umweg der Verletzung von Hinweispflichten (§§ 106 Abs 1 und 112 Abs 2 SGG) zulässig (BSG SozR 1500 § 160 Nr 13). Die in § 160 Abs 2 Nr 3 SGG geregelte Beschränkung von Verfahrensrügen kann auch nicht über den Umweg der Vorschriften zum rechtlichen Gehör erweitert werden (vgl Beschlüsse des Senats vom 28. Juli 1992 – 2 BU 37/97 = HV-Info 1993, 1406 und vom 28. August 2002 – B 2 U 191/02 B –, jeweils mwN).
Auch mit seiner Rüge, das LSG habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 des Grundgesetzes ≪GG≫) dadurch verletzt, dass es den auf den 22. Januar 2003 anberaumten Termin zur mündlichen Verhandlung nicht aufgehoben und verlegt habe, obwohl er mitgeteilt habe, dass die weitere Verschlechterung seines Gesundheitszustands eine Teilnahme am Termin nicht mehr zulasse, legt der Kläger keinen Verfahrensmangel dar. Ein solcher wäre damit nur schlüssig dargetan, wenn das LSG nach seinem Vortrag den Termin gemäß § 202 SGG iVm § 227 Abs 1 ZPO hätte verlegen müssen. Dafür hätte er indes darlegen müssen, dass er gegenüber dem Gericht zumindest sinngemäß zum Ausdruck gebracht habe, an der mündlichen Verhandlung teilnehmen zu wollen und deshalb um eine Verlegung zu bitten (vgl Beschluss des Senats vom 18. August 1999 – B 2 U 313/98 B). Dies hat er jedoch versäumt. Die Erklärung in seinem Schreiben an das LSG vom 15. Januar 2003, er bitte darum, dieses Schreiben vorlesen zu lassen, falls er „aus Gesundheitsgründen weiterhin die Fahrt nach Erfurt nicht antreten” könne, lässt gerade erkennen, dass dies nicht der Fall war; auch in seinem Fax vom 22. Januar 2003 heißt es lediglich, er werde voraussichtlich an der mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen können und bitte dafür um Entschuldigung.
Die Beschwerde war daher als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbs 2 iVm § 169 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen