Leitsatz (amtlich)

Urteile der Oberversicherungsämter (mit Ausnahme derjenigen im Land Bayern und dem früheren Land Württemberg-Baden), die vor Inkrafttreten des SGG verkündet, aber erst nach diesem Zeitpunkt zugestellt wurden, sind nur nach SGG § 214 anfechtbar. In Angelegenheiten der Rentenversicherung können solche Urteile daher nur beim Landessozialgericht mit der Revision entsprechend den früheren RVO §§ 1696, 1697 Nr 1 angefochten werden. Die Vorschrift des SGG § 215 Abs 2 ist in solchen Fällen nicht anwendbar.

 

Normenkette

SGG § 214 Fassung: 1953-09-03, § 215 Abs. 2 Fassung: 1953-09-03; RVO §§ 1696, 1697 Nr. 1 Fassung: 1924-12-15

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts in Darmstadt vom 11. November 1954 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Das Hessische Landessozialgericht hat mit Urteil vom 11. November 1954 in einer Streitigkeit aus der Invalidenversicherung die Revision der Klägerin gegen das am 4. Dezember 1953 verkündete Urteil des Oberversicherungsamts Kassel zurückgewiesen. Dieses Urteil ist, wie das Landessozialgericht in den Entscheidungsgründen zutreffend ausgeführt hat, nach § 214 Abs. 5 SGG endgültig. Nach dieser Vorschrift entscheidet das Landessozialgericht - abgesehen von hier nicht in Betracht kommenden Streitigkeiten aus der Unfallversicherung und der Kriegsopferversorgung - endgültig, sofern die Entscheidung des Oberversicherungsamts in der Zeit vom 8.5.1945 bis zum Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes, d. h. vor dem 1. Januar 1954, ergangen ist.

Das vor Inkrafttreten des SGG verkündete Urteil des Oberversicherungsamts Kassel ist der Klägerin zwar erst nach Inkrafttreten des Gesetzes zugestellt worden. Trotzdem handelt es sich um eine vor Inkrafttreten des Gesetzes "ergangene Entscheidung" im Sinne des § 214 Abs. 1 SGG, da für die Anwendung dieser Vorschrift nicht der Zeitpunkt der Zustellung, sondern der Verkündung der Entscheidung maßgebend ist. Der in dem Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit von Peters-Sautter-Wolff in der Anm. 2 Abs. 3 zu § 214 SGG vertretenen gegenteiligen Auffassung vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Würde man in Fällen der vorliegenden Art den § 215 Abs. 2 SGG für anwendbar ansehen, so wäre die Sache, obgleich das Urteil des Oberversicherungsamts mit seiner Verkündung - also schon vor Inkrafttreten des SGG - bereits vorlag, auf das Sozialgericht übergegangen mit dem Ergebnis, daß derselbe Streitfall durch ein Gericht gleicher Ordnung nochmals entschieden werden müßte. Dies entspricht aber weder dem Wortlaut noch dem Sinn und Zweck des § 214 SGG, der eine beschleunigte Erledigung der sog. Altfälle herbeiführen wollte. Hätte der Gesetzgeber beabsichtigt, die Übergangsregelung des § 214 SGG nur auf rechtskräftig entschiedene Fälle zu erstrecken, so hätte es nahegelegen, dies durch Einfügung des Wortes "rechtskräftig" in § 214 Abs. 1 SGG gegenüber dem in § 215 SGG verwendeten Begriff "rechtshängig" zum Ausdruck zu bringen. Da § 214 und § 215 SGG einander ausschließen, muß § 215 Abs. 2 SGG auf Verfahren, in denen bei Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes noch keine den Rechtszug abschließende Entscheidung ergangen ist, und § 214 SGG auf die Fälle bezogen werden, in denen eine solche Entscheidung bereits gefällt worden ist.

Da die Entscheidung des Oberversicherungsamts Kassel im vorliegenden Falle vor Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes verkündet wurde, betrifft das angefochtene Urteil einen vom Landessozialgericht in letzter Instanz zu entscheidenden Streitfall (§ 214 Abs. 5 i. V. mit § 214 Abs. 1 Nr. 2 des Sozialgerichtsgesetzes).

Die Revision der Klägerin vom 25.1.1955 war daher aus den angeführten Erwägungen zu verwerfen, ohne daß es einer Prüfung bedurfte, ob sie auch noch aus anderen Gründen unzulässig ist (§ 169 des Sozialgerichtsgesetzes).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2324095

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