Verfahrensgang
SG München (Entscheidung vom 30.07.2021; Aktenzeichen S 22 SO 191/20) |
Bayerisches LSG (Urteil vom 14.12.2022; Aktenzeichen L 8 SO 143/21) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 14. Dezember 2022 wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Im Streit ist eine Kostenbeteiligung für die in den Monaten August 2018 bis Dezember 2019 erhaltenen Leistungen der Eingliederungshilfe und Hilfe zur Pflege.
Der 1982 geborene Kläger ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 100 und schwerstpflegebedürftig (Pflegegrad 5). Er leidet unter einer Muskeldystrophie und einer schweren Skoliose der Wirbelsäule und kann nicht gehen, stehen oder Hände und Arme anheben. Er ist auf einen Elektrorollstuhl angewiesen und wird zeitweise maschinell beatmet. Er arbeitet als angestellter Informatiker und lebt mit seiner ebenfalls behinderten und erwerbstätigen Ehefrau in einer Wohnung. Er wird vom Pflegedienst des Beigeladenen rund um die Uhr betreut und erhält hierfür neben Leistungen der Kranken- und Pflegekasse vom Beklagten Leistungen der Hilfe zur Pflege und Leistungen der ambulanten Eingliederungshilfe in Form der individuellen Schwerstbehindertenbetreuung. Dabei berücksichtigte der Beklagte das Einkommen des Klägers und dessen Ehefrau in unterschiedlicher Höhe(Verlängerung der Kostenübernahme für die Zeit ab Juli 2018 ,Bescheid vom 30.1.2019; Änderungsbescheid vom 14.11.2019; Widerspruchsbescheid vom 24.3.2020) . Die Klage hat nach Erlass des Änderungsbescheids des Beklagten vom 11.6.2021 (Neuberechnung ua wegen Einkommensnachweisen) teilweise Erfolg gehabt(Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ München vom 30.7.2021) . Das SG hat der Klage bezüglich der Berechnung des Einkommensersatzes für die Monate November 2018 sowie November und Dezember 2019 stattgegeben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Die Berufung hat nach Abgabe eines Teilanerkenntnisses des Beklagten (Berücksichtigung von Heizkosten bei der Berechnung des einzusetzenden Einkommens) keinen Erfolg gehabt(Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 14.12.2022) . Zur Begründung hat das LSG ua ausgeführt, im streitgegenständlichen Zeitraum bis 31.12.2019 richte sich der Einkommenseinsatz noch nach den §§ 85 ff Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch- Sozialhilfe - (SGB XII), da Eingliederungshilfe für behinderte Menschen und Hilfe zur Pflege nur geleistet werden, soweit den Leistungsberechtigten und ihren nicht getrennt lebenden Ehegatten die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nicht zuzumuten sei( § 19 Abs 3 SGB XII). Ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des Art 3 Abs 3 Satz 2 Grundgesetz ≪GG≫, gegen Normen der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) und gegen Art 6 Abs 1 GG liege nicht vor.
Der Kläger macht mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde eine grundsätzliche Bedeutung der Sache geltend und wirft die Frage auf, ob die Berücksichtigung des sozialversicherungspflichtigen Einkommens eines Menschen mit Pflegegrad 5 aufgrund einer lebenslangen und stets fortschreitenden Behinderung, der Leistungen der Hilfe zur Pflege und der Eingliederungshilfe bezieht, mit der Folge, dass dem Einkommensbezieher die Aufbringung von Mitteln aus dem Einkommen nach § 19 Abs 3, § 87 Abs 1 SGB XII zugemutet werden, mit Blick auf § 18 Abs 2 Conterganstiftungsgesetz(ContStiftG vom 13.10.2005, BGBl I 2967) einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art 3 Abs 1 GG darstellt. Diese Frage stelle sich entsprechend hinsichtlich der Berücksichtigung des Einkommens der Ehefrau des Klägers.
II
Die Beschwerde ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung des allein geltend gemachten Revisionszulassungsgrunds der grundsätzlichen Bedeutung.
Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung - ggf sogar des Schrifttums - angeben, welche Rechtsfrage sich stellt, dass diese noch nicht geklärt ist, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfrage aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt(Bundessozialgericht ≪BSG≫ vom 2.3.1976 - 12/11 BA 116/75 - SozR 1500 § 160 Nr 17 und BSG vom 26.6.1975 - 12 BJ 12/75- SozR 1500 § 160a Nr 7; BSG vom 22.8.1975 - 11 BA 8/75-BSGE 40, 158= SozR 1500 § 160a Nr 11; BSG vom 25.9.1975 - 12 BJ 94/75- SozR 1500 § 160a Nr 13; BSG vom 25.10.1978 - 8/3 BK 28/77- SozR 1500 § 160a Nr 31; BSG vom 19.1.1981 - 7 BAr 69/80- SozR 1500 § 160a Nr 39; BSG vom 9.10.1986 - 5b BJ 174/86- SozR 1500 § 160a Nr 59 und BSG vom 22.7.1988 - 7 BAr 104/87- SozR 1500 § 160a Nr 65) . Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss der Beschwerdeführer eine konkrete Frage formulieren, deren (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit und (konkrete) Klärungsfähigkeit (= Entscheidungserheblichkeit) sowie deren über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung (Breitenwirkung) darlegen(vgl nur BSG vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B- SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN) .
Die (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Frage ist nicht ausreichend dargelegt. Der Beschwerdeführer misst der Frage der Aufbringung von Mitteln aus dem Einkommen nach § 19 Abs 3, § 87 Abs 1 SGB XII trotz der zwischenzeitlichen Rechtsänderungen mWv 1.1.2020 durch das Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen(Bundesteilhabegesetz ≪BTHG≫ vom 23.12.2016, BGBl I 3234) grundsätzliche Bedeutung zu. Betrifft die vom Beschwerdeführer aufgeworfene Rechtsfrage aber ausgelaufenes oder auslaufendes Recht, besteht in aller Regel kein Bedürfnis mehr, diese Frage höchstrichterlich zu klären(vgl BSG vom 21.6.2011 - B 4 AS 14/11 B- juris RdNr 5; BSG vom 26.4.2007 - B 12 R 15/06 B- juris RdNr 9; BSG vom 28.11.1975 - 12 BJ 150/75- SozR 1500 § 160a Nr 19) . Im Falle ausgelaufenen bzw auslaufenden Rechts ist eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache allenfalls dann gegeben, wenn noch eine erhebliche Zahl von Fällen auf der Grundlage des alten Rechts zu entscheiden ist oder wenn die Überprüfung der Rechtsnorm bzw ihre Auslegung aus anderen Gründen fortwirkende allgemeine Bedeutung hat, namentlich wegen einer weitgehenden Übereinstimmung mit dem neuen Recht( BSG vom 17.3.2010 - B 6 K/A 23/09 B- juris RdNr 32; BSG vom 16.12.2009 - B 6 KA 13/09 B- juris RdNr 7; BSG vom 22.3.2006 - B 6 KA 46/05 B- juris RdNr 7; BSG vom 20.6.2001 - B 10/14 KG 1/00 B- juris RdNr 1; BSG vom 31.3.1999 - B 7 AL 170/98 B- juris RdNr 8) . Diese Voraussetzungen hat die Beschwerde nicht hinreichend dargelegt. Der Beschwerdeführer bringt lediglich vor, dass auch die neue Eingliederungshilfe Anrechnungsvorschriften aufweise und dass Übergangsregelungen bestünden, die nachteilige Folgen bis in die Gegenwart zeigten. Dies reicht für die Darstellung der Breitenwirkung einer Grundsatzrevision bei ausgelaufenem Recht nicht; vor dem Hintergrund der Rechtsänderung ab dem 1.1.2020 hätte der Kläger im Einzelnen darstellen müssen, weshalb sich die von ihm aufgeworfenen Fragen noch stellen sollten(vgl BSG vom 8.7.2021 - B 8 SO 97/20 B) . Er trägt sogar selbst vor, dass der Einsatz von Einkommen nach neuem Recht im Detail und den Berechnungsweisen anders geregelt sei, aber ohne dies näher auszuführen.
Die Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Fragen ist auch nicht ausreichend dargelegt, soweit die Frage nach einem Verstoß gegen Art 3 Abs 1 GG aufgeworfen wird.
Im Rahmen einer Grundsatzrüge, mit der ein Verstoß einer Norm gegen Verfassungsrecht geltend gemacht wird, muss die Beschwerde unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des BSG darlegen, woraus sich im konkreten Fall die Verfassungswidrigkeit der Norm ergeben soll(vgl BSG vom 4.5.2023 - B 5 R 30/23 B-RdNr 16; BSG vom 17.8.2022 - B 6 KA 36/21 B-RdNr 10; BSG vom 29.8.2003 - B 8 KN 7/03 B- juris RdNr 5; BSG vom 19.8.1999 - B 2 U 57/99 B- juris RdNr 3) . Hierzu muss sie den Bedeutungsgehalt der in Frage stehenden einfachgesetzlichen Norm aufzeigen, die Sachgründe ihrer jeweiligen Ausgestaltung erörtern und die Verletzung der konkreten Regelung des Grundgesetzes darlegen(vgl BSG vom 3.2.2022 - B 12 KR 37/21 B-RdNr 8; BSG vom 18.11.2021 - B 9 V 17/21 B-RdNr 9; BSG vom 7.10.2020 - B 14 AS 418/19 B-RdNr 6; BSG vom 8.4.2020 - B 10 EG 13/19 B-RdNr 8) . Wird eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes geltend gemacht, muss insbesondere dargelegt werden, worin die für eine Gleich- bzw Ungleichbehandlung wesentlichen Sachverhaltsmerkmale bestehen(stRspr; zuletzt etwa BSG vom 29.5.2024 - B 11 AL 6/24 B-RdNr 4; BSG vom 19.2.2024 - B 3 P 9/23 B-RdNr 7; BSG vom 3.2.2022 - B 12 KR 37/21 B-RdNr 8; BSG vom 19.9.2017 - B 3 KR 32/17 B-RdNr 11) und dass der Gesetzgeber die je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedlichen verfassungsrechtlichen Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit überschritten hat(vgl BSG vom 4.9.2023 - B 10 KG 1/23 B-RdNr 9; BSG vom 8.9.2022 - B 5 R 44/22 B-RdNr 10; BSG vom 18.11.2021 - B 9 V 17/21 B- juris RdNr 9) . Diesen Maßgaben genügt die Beschwerdebegründung nicht. Weder wird im Einzelnen aufgezeigt, welche Auslegung Art 3 Abs 1 GG durch die Rechtsprechung - insbesondere des Bundesverfassungsgerichts - erfahren hat noch erfolgt eine Auseinandersetzung mit Entstehungsgeschichte oder Sinn und Zweck der angeführten Norm des § 18 Abs 2 ContStifG; es wird auch nicht deutlich, inwieweit trotz des Mischcharakters der Ansprüche Contergangeschädigter als Mitglieder einer Schicksalsgemeinschaft von Geschädigten, der sich aus dem Ineinandergreifen von haftungsrechtlicher und sozialstaatlicher Fundierung ergibt(vgl bereits BVerfG vom 8.7.1976 - 1 BvL 19/75-BVerfGE 42, 263 RdNr 130 ff; 135; zuletzt BVerfG vom 21.11.2023 - 1 BvL 6/21-NJW 2024, 2014 RdNr 134), eine Vergleichbarkeit der Sachverhalte mit dem Kläger gegeben sein soll.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI16638448 |