Verfahrensgang
LSG für das Saarland (Urteil vom 25.02.1997) |
Tenor
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 25. Februar 1997 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Hinterbliebenenversorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG). Die Kläger sind die Witwe und die Kinder des Dr. F., der 1991 von dem spanischen Staatsangehörigen M. durch einen Messerstich getötet wurde. Zwischen Dr. F. und M. bestand eine homosexuelle Partnerschaft, in der sado-masochistische Sexualpraktiken angewandt wurden. Zur Steigerung des Lustempfindens nahmen beide auch Drogen zu sich. Aufgrund eingenommener Drogen geriet M. beim Sexualverkehr mit dem mit Handschellen an das Bett gefesselten Dr. F., den er zur Steigerung des Lustgewinns mit einem Messer leichte Schnittverletzungen im Rücken beigebracht hatte, auf ihm sitzend in einen halluzinatorischen Zustand, in dem er den unter ihm liegenden Dr. F. als Kröte ansah. M. nahm das bei dem Liebesspiel benutzte Messer und stieß es mit äußerster Kraft in den Rücken des Dr. F., um diesen zu töten. Dr. F. starb infolge Verblutungen. M. wurde vom Landgericht S. wegen vorsätzlichen Vollrausches zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Außerdem wurde seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Beklagte lehnte die Anträge der Kläger auf Hinterbliebenenversorgung nach dem OEG ab. Das Sozialgericht hat die dagegen gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 4. Dezember 1995). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen. Die Revision hat es nicht zugelassen.
Entscheidungsgründe
II
Die ausschließlich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG) gestützte Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, da der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung nicht in der erforderlichen Weise aufgezeigt ist.
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, daß die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung habe, muß diese in der Begründung dargelegt werden (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die – über den Einzelfall hinaus – aus Gründen der Rechtseinheit oder -fortbildung einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Es muß daher anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und des Schrifttums angegeben werden, welche Rechtsfragen sich stellen, daß diese Rechtsfragen noch nicht geklärt sind, weshalb ihre Klärung aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts erforderlich ist und daß das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten läßt (BSG in ständiger Rechtsprechung, vgl zB SozR 1500 § 160 Nr 17, § 160a Nr 65; SozR 3-4100 § 111 Nr 1 sowie BVerfG SozR 3-1500 § 160a Nrn 6 und 7). Diesen Anforderungen ist hier nicht genügt.
Die Kläger halten die Frage, ob den Hinterbliebenen eines Opfers, welches anläßlich seiner Betätigung im Rahmen einer sado-masochistischen Liebesbeziehung zu Tode gekommen ist, eine Entschädigung nach dem OEG zusteht oder aber zu versagen ist, weil das Opfer aufgrund seiner sexuellen Veranlagung und den damit verbundenen sexuellen Praktiken mitursächlich zu seinem Tode beigetragen hat, für klärungsbedürftig. An der Klärung dieser Fragen bestehe ein Allgemeininteresse, da sich eine zunehmende Zahl von Personen öffentlich zu ihrer Neigung zu andersartigen, auch sado-masochistischen Liebesbeziehungen bekenne. Deshalb müsse sich auch die Rechtsprechung mit diesen Themenkreisen beschäftigen. Obwohl es keine Statistiken gebe, sei davon auszugehen, daß solche Beziehungen zu Zeiten immer größer werdender gesellschaftlicher Akzeptanz und zunehmender Liberalisierung in diesem Bereich entsprechend hoch bzw im Ansteigen begriffen seien. Es sei nicht auszuschließen, daß bei den angewandten Praktiken einer der Beteiligten verletzt werde oder sogar zu Tode komme.
Dieses Vorbringen der Kläger läßt bereits die klare Bezeichnung der konkreten Rechtsfrage(n) vermissen, über die im Revisionsverfahren zu entscheiden wäre (vgl zu dieser Voraussetzung: BVerwG, Buchholz, 310 § 132 VwGO Nr 62; BSG, Beschluß vom 18. April 1983 – 6 BKa 18/82 –; Beschluß vom 23. Februar 1993 – 7/9b BAr 22/92; Beschluß vom 30. März 1994 – 7 BAr 144/93 – alle unveröffentlicht, sowie Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 1990, RdNr 108). In der vorliegenden Form haben die Kläger im Grunde nur eine allgemeine Kritik an der Richtigkeit der zweitinstanzlichen Entscheidung wiedergegeben. Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde ist indes nicht, ob das Berufungsgericht in der Sache richtig entschieden hat (BSG SozR 1500 § 160a Nr 7). Jedenfalls aber fehlt es an der Darlegung der Klärungsbedürftigkeit. Dafür ist unter Auswertung der Rechtsprechung des BSG, entweder darzulegen, daß das BSG zu dem Fragenkreis noch keine Entscheidung gefällt hat oder aber durch schon vorliegende Urteile die aufgeworfene Frage von grundsätzlicher Bedeutung abstrakt noch nicht beantwortet ist (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 65), und zwar auch unter Auseinandersetzung mit Entscheidungen des BSG, die zur Auslegung vergleichbarer Regelungen anderer Rechtsgebiete ergangen sind (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 8). Insoweit haben die Kläger sich überhaupt nicht mit der Rechtsprechung zu § 2 OEG, die die Maßstäbe für die Anwendung dieser Vorschrift konkretisiert, auseinandergesetzt. Sie hätten aufzeigen müssen, daß die zu § 2 OEG entwickelten Maßstäbe nicht ausreichten, dem hier zu beurteilenden Sachverhalt gerecht zu werden.
Darüber hinaus fehlt es an der erforderlichen Darlegung der über den Einzelfall hinausgehenden Bedeutung. Nicht jedes höchstrichterlich unentschiedene Problem rechtfertigt die Zulassung der Revision. Die Entscheidung in einem Revisionsverfahren kann in einer die Allgemeinheit berührenden Weise das Recht nur dann fortentwickeln und vereinheitlichen, wenn sich die Rechtsfrage als solche in der Rechtspraxis in einer Vielzahl von Fällen stellt. Daß der Ausgang des Rechtsstreits auch für andere Personen von Interesse ist, genügt nicht (vgl BVerwG Buchholz, 335.16 § 5 LBesG Nr 1 und 430.0 § 40 BSHG Nr 9; BSG AP Nr 31 zu § 72 ArbGG 1979; BSG Beschluß vom 30. März 1994 – 7 BAr 144/93, unveröffentlicht). Einzelfälle oder nur gelegentlich auftauchende Vergleichsfälle rechtfertigen die Zulassung der Revision nicht. Die Darlegung der Kläger, daß bei den Praktiken, die der verstorbene Dr. F und M. angewandt haben, Verletzungen vorkommen könnten, auch eine Tötung nicht auszuschließen und auch nicht unwahrscheinlich sei, enthält nicht die Darlegung, welche exakte Rechtsfrage sich in einer Vielzahl von Fällen stellt.
Schließlich fehlt es an der Darlegung der Klärungsfähigkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage. Klärungsfähig ist eine Rechtsfrage nämlich nur, wenn sie für den zu entscheidenden Fall rechtserheblich ist (vgl Kummer, aaO RdNr 128). Über die betreffende Frage müßte das Revisionsgericht also konkret – individuell sachlich entscheiden können. Dazu wären Ausführungen der Kläger zu allen Umständen des Falles, die für und gegen eine Mitverursachung sprechen, erforderlich gewesen, denn ob eine Entschädigung nach dem OEG zu gewähren ist, insbesondere wenn ein Fall der Mitverursachung vorliegt (§ 2 Abs 1 Satz 1 OEG), hängt in aller Regel von den Umständen des Einzelfalles ab.
Soweit die Kläger schließlich meinen, das Urteil des LSG verstoße in eklatanter Weise gegen das grundgesetzlich geschützte Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, haben sie ebenfalls keine Rechtsfrage klar und deutlich bezeichnet, vor allem aber die Klärungsbedürftigkeit dieser Frage nicht dargelegt, denn sie haben sich auch insoweit nicht mit der einschlägigen Rechtsprechung, insbesondere der des Bundesverfassungsgerichts, auseinandergesetzt.
Nach alledem ist die Beschwerde in entsprechender Anwendung des § 169 SGG als unzulässig zu verwerfen.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen