Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. Sachaufklärungspflicht Beweisantrag. Klärungsbedürftigkeit. Erwerbsminderung. Tatsache. Rechtliche Bewertung
Leitsatz (redaktionell)
1. Wird ein Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht geltend gemacht, muss die Beschwerdebegründung hierzu jeweils folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren, bis zum Schluss aufrechterhaltenen Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, (3) Darlegung der von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, (4) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (5) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterlassenen Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können.
2. Die Frage, ob eine Erwerbsminderung vorliegt, betrifft keine Tatsache, sondern die rechtliche Bewertung einer Mehrzahl unterschiedlicher tatsächlicher Umstände.
3. Die pauschale Angabe, es habe sich ein der Art nach nicht näher benanntes psychisches Leiden eingestellt, das den Grad einer Erwerbsminderung erreiche, ist zur Darlegung des mutmaßlichen Ergebnisses der geforderten Beweisaufnahme nicht ausreichend.
4. Vielmehr wäre es erforderlich gewesen, den negativen Einfluss weiterer dauerhafter Gesundheitsbeeinträchtigungen auf das verbliebene berufliche Restleistungsvermögen konkret zu beschreiben.
Normenkette
SGG §§ 103, 109, 118 Abs. 1 S. 1, § 128 Abs. 1 S. 1, § 160 Abs. 2, § 160a Abs. 2 S. 3, Abs. 4 S. 1, § 169 Sätze 2-3; ZPO § 403; SGB VI § 43 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 2
Verfahrensgang
SG Frankfurt (Oder) (Entscheidung vom 13.06.2018; Aktenzeichen S 1 R 492/14) |
LSG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 25.05.2020; Aktenzeichen L 4 R 542/18) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 25. Juni 2020 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.
Gründe
I
Die Klägerin begehrt eine Rente wegen Erwerbsminderung. Ihre Klage gegen den ablehnenden Bescheid der Beklagten vom 16.12.2013 und den Widerspruchsbescheid vom 21.7.2014 hat vor dem SG keinen Erfolg gehabt (Urteil vom 13.6.2018). Das LSG hat die Berufung gegen diese Entscheidung nach Einholung eines Gutachtens auf psychiatrischem Fachgebiet mit Urteil vom 25.6.2020 zurückgewiesen. Die Klägerin verfüge unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts noch über ein Leistungsvermögen von täglich mindestens sechs Stunden. Auch ihre Wegefähigkeit sei nicht eingeschränkt.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin Beschwerde beim BSG eingelegt. Sie macht einen Verfahrensmangel geltend.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig, weil sie nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG formgerecht begründet wurde. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde damit begründet, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist es erforderlich darzulegen, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung der Klägerin nicht gerecht. Sie rügt eine Verletzung der richterlichen Sachaufklärungspflicht gemäß § 103 SGG. Das LSG sei dem im Schriftsatz vom 11.5.2020 gestellten Beweisantrag, "zum Beweis des Vorliegens einer Erwerbsminderung die Begutachtung durch eine Fachärztin oder einen Facharzt auf dem Gebiete der Psychiatrie" durchzuführen, nicht gefolgt. Das LSG habe diesen Beweisantrag in seinem Urteil nicht einmal erwähnt, sondern lediglich ausgeführt, dass ihre - der Klägerin - Kritik an dem bereits vorhandenen psychiatrischen Gutachten in einer ergänzenden Stellungnahme jener Gutachterin widerlegt worden sei. Die Klägerin habe sich bei der Gutachterin jedoch nicht hinreichend für eine psychiatrische Untersuchung öffnen können, weil sie sich durch deren Bitte, im Hinblick auf ihre Schwerhörigkeit lauter zu sprechen, gemaßregelt gefühlt und deshalb "unbewusst 'zu' gemacht" habe. Bei einer erneuten psychiatrischen Begutachtung durch einen anderen Facharzt hätte sich ergeben, dass sich bei der Klägerin "ein psychisches Leiden eingestellt hatte, welches sich durch das permanente Erschöpfungs- und Überforderungsgefühl und durch Schlafstörungen ausdrückt" und im Zusammenhang mit den körperlichen Leiden "den Grad einer Erwerbsminderung" erreicht.
Wird ein Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht geltend gemacht, muss die Beschwerdebegründung hierzu jeweils folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren, bis zum Schluss aufrechterhaltenen Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, (3) Darlegung der von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, (4) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (5) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterlassenen Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (stRspr, vgl BSG Beschluss vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 5 mwN; BSG Beschluss vom 3.4.2020 - B 9 SB 71/19 B - juris RdNr 8; BSG Beschluss vom 22.9.2020 - B 5 R 161/20 B - juris RdNr 6; Fichte in Fichte/Jüttner, SGG, 3. Aufl 2020, § 160a RdNr 56).
Die Klägerin hat in ihrer Beschwerdebegründung bereits keinen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag wiedergegeben. Ein solcher Beweisantrag muss die zu begutachtenden Punkte (Tatsachen) angeben (vgl § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 403 ZPO) und sich im Rentenverfahren gerade mit den Auswirkungen dauerhafter Gesundheitsbeeinträchtigungen auf das berufliche Leistungsvermögen befassen (vgl zB BSG Beschluss vom 20.7.2020 - B 13 R 267/19 B - juris RdNr 10; BSG Beschluss vom 13.8.2020 - B 5 R 121/20 B - juris RdNr 6 mwN). Die Frage, ob "eine Erwerbsminderung vorliegt", betrifft jedoch keine Tatsache, sondern die rechtliche Bewertung einer Mehrzahl unterschiedlicher tatsächlicher Umstände (vgl § 43 Abs 1 Satz 2, Abs 2 Satz 2 SGB VI). Weiterhin ist die pauschale Angabe, es habe sich bei der Klägerin ein der Art nach nicht näher benanntes "psychisches Leiden" eingestellt, das "den Grad einer Erwerbsminderung" erreiche, zur Darlegung des mutmaßlichen Ergebnisses der geforderten Beweisaufnahme nicht ausreichend. Vielmehr wäre es erforderlich gewesen, den negativen Einfluss weiterer dauerhafter Gesundheitsbeeinträchtigungen auf das verbliebene berufliche Restleistungsvermögen der Klägerin konkret zu beschreiben (vgl BSG Beschluss vom 13.8.2020 - B 5 R 121/20 B - juris RdNr 6). Schließlich enthält die Beschwerdebegründung keine Ausführungen dazu, dass die Klägerin den nach eigener Darstellung im Urteil nicht erwähnten Beweisantrag bis zum Schluss aufrechterhalten hat (zu diesem Erfordernis vgl BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN; BSG Beschluss vom 3.4.2020 - B 9 SB 71/19 B - juris RdNr 11 mwN).
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI14297483 |