Entscheidungsstichwort (Thema)
Kassenärztliche Vereinigung. Rückforderung von überhöhten Abschlagszahlungen gegenüber Vertragsarzt. keine vorherige sachlich-rechnerische Richtigstellung
Orientierungssatz
1. Stellt sich im Nachhinein heraus, dass höhere Abschlagzahlungen gezahlt wurden als dem Vertragsarzt nach dem Honorarbescheid zugestanden haben, ist nichts "richtigzustellen", weil vor Erlass des Honorarbescheides für das betreffende Quartal überhaupt noch nichts "festgestellt" bzw "festgesetzt" worden war (vgl BSG vom 17.8.2011 - B 6 KA 24/10 R = SozR 4-2500 § 85 Nr 64 RdNr 13).
2. Es kann dahingestellt bleiben, ob eine Abschlagzahlung überhaupt "mit Rechtsgrund" iS des § 812 BGB (analog) erfolgt, denn selbst dann, wenn man dies annähme, gälte dies nur insoweit, wie sich die Höhe der Abschlagzahlungen innerhalb der Höhe des durch Honorarbescheid festgesetzten Anspruchs hält.
3. Setzt die Rückzahlungsverpflichtung weder eine sachlich-rechnerische Richtigstellung iS des § 106a SGB 5 noch überhaupt eine Korrektur bescheidmäßig festgestellter Ansprüche voraus, stellt sich auch die Frage nicht, ob bzw welche rechtlichen Anforderungen an eine Rückforderung der Überzahlung zu stellen sind.
Normenkette
SGB V § 85 Abs. 1, § 106a Abs. 2; SGB X § 31; BGB § 812
Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Hessischen Landessozialgerichts vom 26. Mai 2014 wird verworfen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 6921 Euro festgesetzt.
Gründe
I. Im Streit steht eine Honorarrückforderung wegen Überzahlung.
Mit Bescheid vom 21.6.2007 forderte die beklagte Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) von dem in ihrem Bezirk zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Kläger 6920,71 Euro mit der Begründung zurück, das Honorarkonto im Quartal IV/2006 weise eine Überzahlung in entsprechender Höhe auf; der Rückforderungsbetrag ergebe sich unter Berücksichtigung der Sollpositionen aus Überzahlungen in den Quartalen II/2005 bis III/2006. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 5.10.2011 zurück, in dem sie die Überzahlungen quartalsbezogen erläuterte und darauf hinwies, dass die Überzahlung zwischenzeitlich durch Verrechnung ausgeglichen worden sei. Klage und Berufung sind erfolglos geblieben (Urteil des SG vom 15.5.2013, Beschluss des LSG vom 26.5.2014). Das LSG hat ausgeführt, die erhobene Anfechtungsklage sei bereits unzulässig, weil zum Zeitpunkt der Klageerhebung kein Rechtsschutzbedürfnis bestanden habe. Der Rückforderungsbescheid habe sich bereits vor Erlass des Widerspruchsbescheides erledigt, da der zurückgeforderte Betrag von der Beklagten mit Honorarzahlungen verrechnet worden sei, letztmalig im Quartal I/2008. Auch bei Umstellung des Antrags auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage wäre die Klage nicht erfolgreich gewesen, weil die angefochtenen Bescheide nicht rechtswidrig gewesen seien. Der Rückforderungsbescheid sei hinreichend bestimmt und begründet gewesen; konkrete Einwände gegen die Höhe der Erstattungsforderung habe der Kläger nicht vorgebracht.
Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil macht der Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG) geltend.
II. 1. Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig, denn ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Darlegungsanforderungen.
Für die Geltendmachung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache muss danach in der Beschwerdebegründung eine konkrete Rechtsfrage in klarer Formulierung bezeichnet (vgl BVerfGE 91, 93, 107 = SozR 3-5870 § 10 Nr 5 S 31; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 37 f) und ausgeführt werden, inwiefern diese Rechtsfrage in dem mit der Beschwerde angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich (klärungsfähig) sowie klärungsbedürftig ist. Es muss ersichtlich sein, dass sich die Antwort nicht ohne Weiteres aus der bisherigen Rechtsprechung ergibt. Bei einer Revisions-Nichtzulassungsbeschwerde ist es Aufgabe des Prozessbevollmächtigten, die einschlägige Rechtsprechung aufzuführen und sich damit zu befassen; eine Beschwerdebegründung, die es dem Gericht überlässt, die relevanten Entscheidungen zusammenzusuchen, wird den Darlegungserfordernissen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG nicht gerecht. Auch lediglich kursorische Hinweise ohne Durchdringung des Prozessstoffs reichen nicht aus (vgl BVerfG ≪Kammer≫, DVBl 1995, 35). Diese Anforderungen sind verfassungsrechtlich unbedenklich (s die zitierte BVerfG-Rspr und zB BVerfG ≪Kammer≫, SozR 3-1500 § 160a Nr 7 S 14).
Dem wird die Beschwerde nicht gerecht. Der Kläger sieht es zum einen als klärungsbedürftig an, "unter welchen Voraussetzungen eine KÄV von einem Vertragsarzt eine Honorarrückforderung wegen (angeblicher) Überzahlung des Honorarkontos vornehmen (kann), wenn die Leistungen mit Rechtsgrund erfolgten und die Rückforderung nicht auf einen Honorarberichtigungsbescheid zurückgeht" bzw "ob in dieser Konstellation die Voraussetzungen des § 45 SGB X berücksichtigt werden" müssen. Zum anderen wirft er die Frage auf, ob "die Begründung des angefochtenen Rückforderungsbescheides den Anforderungen des § 35 Abs 1 SGB X (genügt), wenn die Begründung der angeblichen Überzahlungen weder im Ausgangsbescheid noch im Widerspruchsbescheid anhand der beigefügten Kontoauszüge nicht nachvollziehbar ist".
Es fehlt jedoch bereits an der Darlegung der Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) der aufgeworfenen Fragen. Dessen hätte es bedurft, weil das Berufungsgericht seine Entscheidung darauf gestützt hat, dass die Klage mangels Rechtschutzbedürfnis bereits unzulässig war. Ist eine Klage aber bereits aus prozessualen Gründen abzuweisen, kommt eine Klärung der aufgeworfenen Rechtsfragen schon allein deswegen nicht in Betracht. Soweit das LSG ergänzend ausgeführt hat, dass die Klage auch im Falle der Umstellung des Antrags auf einen Feststellungsantrag nicht erfolgreich gewesen wäre, kann offen bleiben, ob es sich hierbei ("Unabhängig davon wäre….") überhaupt um tragende Gründe der Entscheidung oder lediglich um ergänzende Anmerkungen des Berufungsgerichts handelt. Denn auch dann, wenn man Ersteres annähme, stünde dies dem Erfolg der Beschwerde entgegen: Ist ein Berufungsurteil auf mehrere Begründungen gestützt, kann sich aus einer Grundsatzrüge eine Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) nur ergeben, wenn alle Begründungen mit einer Grundsatz-, Divergenz- oder Verfahrensrüge angegriffen werden (vgl BSG, Beschluss vom 29.8.2005 - B 6 KA 38/05 B - Juris RdNr 9 mwN; BSG, Beschluss vom 2.4.2014 - B 6 KA 57/13 B - RdNr 20). Dies ist jedoch nicht der Fall, weil der Beschwerdeführer den Begründungsstrang „unzulässige Klage“ nicht mit durchgreifenden Rügen angegriffen hat.
Nicht den Begründungsanforderungen genügt die Beschwerde auch hinsichtlich der aufgeworfenen Frage nach den an die Begründung des Rückforderungsbescheides zu stellenden Anforderungen: Sie ist zum einen zu allgemein gehalten, um den Anforderungen an eine konkrete Rechtsfrage zu genügen; zum anderen ist die Frage einer abstrakten Beantwortung nicht zugänglich, weil die Fragestellung Wertungen ("nicht nachvollziehbar") beinhaltet. Dass eine Bescheidbegründung „nachvollziehbar“ sein muss, bedarf wiederum keiner gerichtlichen Klärung, sondern versteht sich von selbst.
2. Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass es - entgegen der Auffassung des Klägers - keiner vorherigen sachlich-rechnerischen Richtigstellung bedarf, wenn auf überhöhten Abschlagzahlungen beruhende Überzahlungen des Honorarkontos zurück gefordert werden sollen. Eine (nachgehende) sachlich-rechnerische Richtigstellung nach § 106a SGB V, die zugleich eine teilweise Rücknahme des ursprünglich erteilten Honorarbescheides beinhaltet (vgl BSG SozR 4-2500 § 106a Nr 3 RdNr 18), ist dann erforderlich, wenn die Honorarfestsetzung - also die Konkretisierung des Teilhabeanspruchs des Vertragsarztes durch den Honorarbescheid (vgl BSGE 105, 224 = SozR 4-2500 § 85 Nr 52, RdNr 33 f mwN) - fehlerhaft ist.
Dies trifft bei überhöhten Abschlagzahlungen jedoch nicht zu, weil ihnen (noch) keine Honorarfestsetzung zugrunde liegt, sondern sie dieser vorangehen. Ob Abschlagzahlungen überhöht waren - und insbesondere in welcher Höhe dies der Fall ist -, steht (erst) in dem Moment fest, in dem die Höhe des dem Vertragsarzt tatsächlich zustehenden Honorars festgestellt ist (BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 64 RdNr 13). Stellt sich im Nachhinein heraus, dass höhere Abschlagzahlungen gezahlt wurden als dem Vertragsarzt nach dem Honorarbescheid zugestanden haben, ist nichts "richtigzustellen", weil vor Erlass des Honorarbescheides für das betreffende Quartal überhaupt noch nichts "festgestellt" bzw "festgesetzt" worden war.
Es kann dahingestellt bleiben, ob eine Abschlagzahlung überhaupt "mit Rechtsgrund" im Sinne des § 812 BGB (analog) erfolgt, denn selbst dann, wenn man dies annähme, gälte dies nur insoweit, wie sich die Höhe der Abschlagzahlungen innerhalb der Höhe des durch Honorarbescheid festgesetzten Anspruchs hält. Daraus folgt, dass zumindest einer Abschlagzahlung, soweit sie den durch Honorarbescheid festgesetzten Honoraranspruch übersteigt, insoweit der Rechtsgrund fehlt. Dem steht nicht entgegen, dass Abschlagzahlungen regelmäßig auf rechtlicher Grundlage - Satzungen, Honorarverteilungsmaßstäben, Abrechnungsbestimmungen o.ä. - erfolgen. Diese Regelungen bilden (allein) eine rechtliche Grundlage für die - vorläufige - Zahlung dem Grunde nach, nicht aber hinsichtlich ihrer Höhe.
Es bedarf mithin keiner Richtigstellung und (teilweiser) Aufhebung des Honorarbescheides, weil dieser „richtig“ ist, sondern allein eines tatsächlichen Ausgleichs der in unrichtiger Höhe geleisteten Abschlagzahlung. Setzt die Rückzahlungsverpflichtung aber weder eine sachlich-rechnerische Richtigstellung im Sinne des § 106a SGB V noch überhaupt eine Korrektur bescheidmäßig festgestellter Ansprüche voraus, stellt sich auch die Frage nicht, ob bzw welche rechtlichen Anforderungen an eine Rückforderung der Überzahlung zu stellen sind.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm §§ 154 ff Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Danach hat der Kläger auch die Kosten des von ihm ohne Erfolg durchgeführten Rechtsmittels zu tragen (§ 154 Abs 2 VwGO).
Die Festsetzung des Streitwerts entspricht den Festsetzungen der Vorinstanz vom 26.5.2014, die von keinem der Beteiligten in Frage gestellt worden ist (§ 197a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 1, § 47 Abs 1 und 3 Gerichtskostengesetz).
Fundstellen
Dokument-Index HI13397668 |