Verfahrensgang
SG Freiburg i. Br. (Entscheidung vom 30.04.2021; Aktenzeichen S 11 R 4241/20) |
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 28.07.2021; Aktenzeichen L 5 R 1743/21) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 28. Juli 2021 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten über die Beachtung einer an einen Rentenberater zur Vertretung im Verwaltungsverfahren erteilten Vollmacht.
Der Kläger begehrte mit Schreiben seines Rentenberaters unter Vorlage einer Vollmacht am 23.10.2020 "formlos" Maßnahmen einer medizinischen Rehabilitation, woraufhin die Beklagte die angeforderten Antragsformulare an den Bevollmächtigten übersandte. Eine Antwort darauf erfolgte nicht. Nach Aufforderung durch die Bundesagentur für Arbeit, einen Anspruch auf Leistungen zur Rehabilitation bzw auf eine Erwerbsminderungsrente zu prüfen, bewilligte die Beklagte eine stationäre Heilbehandlung. Der Bescheid vom 20.11.2020 wurde unmittelbar an den Kläger übersandt. Dagegen erhob er mit Schreiben seines Rentenberaters Widerspruch und machte geltend, der Bescheid sei ohne Antragsunterlagen und unter Missachtung der Vollmacht bekannt gegeben worden. Mit Widerspruchsbescheid vom 2.2.2021 wies die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, der Kläger sei durch die Bewilligung einer Rehabilitationsmaßnahme nicht beschwert. Er sei nicht gezwungen, diese anzutreten. Der Widerspruchsbescheid wurde an den Bevollmächtigten übersandt.
Bereits am 3.12.2020 hat der Kläger Unterlassungsklage erhoben mit dem Antrag, die Beklagte zu verpflichten, unter Androhung eines Zwangsgeldes die vorgelegte Vollmacht "nicht weiterhin zu missachten". Es finde eine "systematische Vollmachtsmissachtung" statt. Das SG hat die Unterlassungsklage mit der Begründung als unzulässig abgewiesen, der Rechtsstreit betreffe die Art und Weise der Bekanntgabe von Verwaltungsentscheidungen. Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen könnten aber nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden (Gerichtsbescheid vom 30.4.2021). Das LSG hat die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückgewiesen. Ergänzend hat es ausgeführt, eine vom Kläger in Bezug genommene Entscheidung des SG Freiburg vom 30.4.2021 sei als "Anerkenntnis-Gerichtsbescheid" nach einer Unterlassungserklärung der Beklagten und ohne Sachprüfung durch das Gericht ergangen. Daraus lasse sich keine abweichende Rechtsauffassung ableiten (Urteil vom 28.7.2021).
Gegen die Nichtzulassung der Revision hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt. Er macht als Zulassungsgrund eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG).
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist. Die Beschwerdebegründung legt keinen Zulassungsgrund iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Weise dar. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.
1. Der Kläger hat eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht hinreichend dargelegt.
Eine Rechtssache hat nur dann iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage zu revisiblem Recht (§ 162 SGG) aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Zur ordnungsgemäßen Bezeichnung des Revisionszulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung muss der Beschwerdeführer daher eine Rechtsfrage benennen und zudem deren (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 4 mwN; s auch Fichte in Fichte/Jüttner, SGG, 3. Aufl 2020, § 160a RdNr 32 ff).
Der Kläger formuliert als Frage von grundsätzlicher Bedeutung:
"Ist im Zuge eines Verwaltungsverfahrens, welches mit der DRV Baden-Württemberg geführt wird, auf die systematische Nichtbeachtung der Vollmacht, die gemäß § 13 SGB X zu beachten ist, § 56a SGG anwendbar im Falle des gewählten Rechtsbehelfs einer Unterlassungsklage mit der Folge, dass der Rechtsbehelf unzulässig ist?"
a) Es kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger damit eine aus sich heraus verständliche abstraktgenerelle Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (vgl § 162 SGG) mit höherrangigem Recht formuliert. Die Bezeichnung einer solchen Rechtsfrage ist unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann (vgl BSG Beschluss vom 22.4.2020 - B 5 R 266/19 B - juris RdNr 5 mwN). Der Frage lässt sich zwar entnehmen, dass es dem Kläger um die Anwendbarkeit des § 56a Satz 1 SGG auf Unterlassungsklagen geht. Was er aber unter "systematischer Nichtbeachtung der Vollmacht, die gemäß § 13 SGB X zu beachten ist" versteht, erschließt sich aus seiner Frage jedoch nicht ohne Weiteres. Zur Rechtsstellung des Bevollmächtigten im Verwaltungsverfahren enthält § 13 Abs 1 bis 3 SGB X verschiedene Regelungen und differenziert insbesondere danach, ob der Bevollmächtigte im Verwaltungsverfahren Erklärungen abgibt oder entgegennimmt (vgl dazu im einzelnen Roller in Schütze, SGB X, 9. Aufl 2020, § 13 RdNr 9 f). Dem Gesamtzusammenhang des Vortrags nach wendet sich der Kläger dagegen, dass Verfahrenshandlungen nicht gegenüber seinem Bevollmächtigten vorgenommen worden seien.
b) Jedenfalls zeigt der Kläger einen bestehenden (abstrakten) Klärungsbedarf nicht hinreichend auf. Eine Rechtsfrage ist nicht klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder bereits höchstrichterlich geklärt ist. Als geklärt ist eine Rechtsfrage auch dann anzusehen, wenn das Revisionsgericht diese zwar noch nicht ausdrücklich beantwortet hat, jedoch bereits Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beantwortung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (stRspr; vgl BSG Beschluss vom 21.1.1993 - 13 BJ 207/92 - SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17; aus jüngerer Zeit BSG Beschluss vom 28.10.2020 - B 12 KR 65/20 B - juris RdNr 9 mwN). Dazu führt der Kläger ua aus, in der Sozialgerichtsbarkeit gebe es "selbstverständlich" zu § 56a SGG noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung und schon gar nicht im Zusammenhang mit "kollektiv, systematischen Vollmachtsmissachtungen". Das Rechtsgeschäft der Bevollmächtigung gehöre hinsichtlich seiner Beurteilung und Qualität nicht zum Aufgabenbereich der Sozialverwaltung. Auch zu § 44a VwGO habe seine Rechtsprechungsrecherche kein Ergebnis erbracht.
Die Vorschrift des § 56a SGG war bereits mehrfach Gegenstand höchstrichterlicher Rechtsprechung. Danach können Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen grundsätzlich nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden. Dieser zunächst nur für das verwaltungsgerichtliche Verfahren in § 44a VwGO ausdrücklich geregelte Grundsatz galt auch im sozialgerichtlichen Verfahren schon vor Inkrafttreten des § 56a SGG(vgl BSG Urteil vom 13.8.2014 - B 6 KA 6/14 R - BSGE 116, 280 = SozR 4-2500 § 87a Nr 2, RdNr 27) . Die durch Gesetz vom 19.10.2013 (BGBl I 3836) eingefügte Regelung dient der Vereinfachung und der Beschleunigung des sozialgerichtlichen Verfahrens und soll verhindern, dass durch Rechtsbehelfe gegen Verfahrenshandlungen die Sachentscheidung der Behörde verzögert wird (vgl BSG Urteil vom 10.9.2020 - B 3 KR 11/19 R - SozR 4-2500 § 35a Nr 6 RdNr 48 unter Hinweis auf BT-Drucks 17/12297 S 39). Das BVerwG hat vor diesem Hintergrund ausdrücklich entschieden, dass auch Verpflichtungs-, Feststellungs- und Leistungsklagen zu den ausgeschlossenen Rechtsbehelfen zählen (stRspr; vgl BVerwG Urteil vom 30.1.2002 - 9 A 20/01 - BVerwGE 115, 373 - RdNr 54 mwN; vgl auch Wolf-Rüdiger Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl 2021, § 44a RdNr 4: "allg Leistungs- und Unterlassungsklagen"). Der Kläger nimmt auf keine dieser Entscheidungen Bezug und legt deshalb auch nicht dar, ob oder inwieweit dadurch seine Frage noch nicht beantwortet worden ist.
Mit seinem Vortrag, es bestünden zudem massive verfassungsrechtliche Zweifel an § 44a VwGO und § 56a SGG, zeigt der Kläger ebenfalls keine klärungsbedürftige Rechtsfrage hinreichend auf. Er benennt zwar Verstöße gegen Art 19 Abs 4 GG und Art 2 Abs 1 GG. Eine mögliche Verletzung von Verfassungsrecht wird aber nicht weiter begründet. Dazu wäre unter Einbeziehung der einschlägigen Literatur und Rechtsprechung - insbesondere des BVerfG, aber auch des BSG - im Einzelnen aufzuzeigen gewesen, woraus sich im konkreten Fall die Verfassungswidrigkeit ergeben soll. Dazu müssen der Bedeutungsgehalt der in Frage stehenden einfachgesetzlichen Normen aufgezeigt, die Sachgründe ihrer jeweiligen Ausgestaltung erörtert und die Verfassungsverletzung dargelegt werden. Die bloße Behauptung der Verfassungswidrigkeit und die Nennung der als verletzt angesehenen Normen des Grundgesetzes genügt nicht (vgl BSG Beschluss vom 8.4.2020 - B 12 R 45/19 B - juris RdNr 7 mwN).
c) Schließlich legt der Kläger auch die (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) der von ihm aufgeworfenen Rechtsfrage nicht dar. Eine solche ist gegeben, wenn das Revisionsgericht nach und aufgrund der Zulassung der Revision in der Lage ist, über die klärungsbedürftige Rechtsfrage auch sachlich entscheiden zu können. Zur Darlegung der Klärungsfähigkeit ist daher darzutun, dass das BSG im angestrebten Revisionsverfahren überhaupt über die aufgeworfene Frage entscheiden müsste (vgl zuletzt BSG Beschluss vom 19.1.2022 - B 5 R 199/21 B - juris RdNr 8 mwN).
Der Kläger führt dazu lediglich aus, das Revisionsgericht sei an einer Entscheidung prozessrechtlich nicht gehindert. Betroffen sei "genau die Rechtsfrage" zur Zulässigkeit eines Rechtsbehelfs. Weitere Ausführungen wären aber zur Begründung dafür erforderlich gewesen, dass die Klage nicht auch aus anderen Gründen unzulässig ist. Der Kläger hat eine Unterlassungsklage erhoben, die ein qualifiziertes Rechtsschutzinteresse voraussetzt. Dafür muss eine Wiederholungsgefahr gegeben sein (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 54 RdNr 42a mwN). Der Kläger hat dazu lediglich vorgebracht, es handele sich um eine "systematische Vollmachtsmissachtung", und geltend gemacht, es seien "in 2 Jahren 36 Fälle aufgelaufen". Dabei geht es jedoch um Fälle des vom Kläger in den Vorinstanzen bevollmächtigten Rentenberaters. Ein Rechtsschutzinteresse des Kläger selbst lässt sich daraus nicht entnehmen.
Nähere Ausführungen zur Zulässigkeit seiner Unterlassungsklage wären abgesehen davon auch deshalb angezeigt gewesen, weil der Kläger in seiner Beschwerdebegründung selbst Bezug nimmt auf den "Anerkenntnis-Gerichtsbescheid" des SG Freiburg vom 30.4.2021, mit dem sich das LSG nicht auseinandergesetzt habe. In dieser Entscheidung hat sich das SG Freiburg auf eine bereits ergangene Unterlassungserklärung der Beklagten gestützt. Woraus der Kläger vor diesem Hintergrund noch ein Rechtsschutzinteresse für eine Unterlassungsklage ableitet, legt er nicht dar, zumal die Beklagte bereits den Widerspruchsbescheid vom 2.2.2021 an den Bevollmächtigten adressiert hatte. Soweit es dem Kläger um von ihm befürchtete Bekanntgaben von weiteren Verwaltungsakten an ihn selbst anstelle an den von ihm bevollmächtigten Rentenberater geht, hätte er sich auch mit den sich daraus ergebenen Rechtsfolgen und dabei insbesondere auch mit der Sonderregelung des § 37 Abs 1 Satz 2 SGB X befassen müssen (vgl dazu Engelmann in Schütze, SGB X, 9. Aufl 2020, § 37 RdNr 24).
2. Soweit der Kläger "desweiteren und darüber hinaus" geltend macht, im allgemeinen Verwaltungsrecht werde bei Anwendung der VwGO die Sache anders betrachtet, zumindest was die Frage der Bevollmächtigung angehe, "wenn es um die Zurückweisung von Bevollmächtigten" gehe, legt der Kläger schon nicht den Bezug zum vorliegenden Verfahren dar. Vielmehr trägt er selbst an anderer Stelle in seiner Beschwerdebegründung vor, dass sein Rentenberater nicht nach § 13 Abs 5 SGB X zurückgewiesen wurde.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI15134766 |