Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Antrag auf Prozesskostenhilfe für eine Nichtzulassungsbeschwerde. spätere Begründung der Beschwerde mit ausdrücklichem Antrag der Revisionszulassung. Auslegung als unbedingte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde unabhängig vom PKH-Antrag. Divergenz. Darlegungsanforderungen
Orientierungssatz
1. Auch wenn der Antragsteller anfangs noch mitteilt, dass die "zunächst rein fristwahrend" eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde von der Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) abhängig gemacht werde, kann es in der Folge dennoch zu einer unbedingten und vom PKH-Antrag unabhängigen Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde kommen, wenn der Antragsteller mit weiterem Schriftsatz die Beschwerde begründet und dies mit dem ausdrücklichen Antrag verbindet, die Revision zuzulassen.
2. Zu den Anforderungen an die Darlegung einer Divergenz iS von §§ 160a, 160 Abs 2 Nr 2 SGG im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde.
Normenkette
SGG § 160a Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 3, § 160 Abs. 2 Nr. 2, § 73a Abs. 1 S. 1; ZPO § 114 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
Tenor
Der Antrag der Klägerin, ihr für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 29. November 2022 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin N aus V zu bewilligen, wird abgelehnt.
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im vorbezeichneten Urteil wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I. Die Klägerin begehrt in der Hauptsache noch die Feststellung des Merkzeichens aG (außergewöhnliche Gehbehinderung).
Das LSG hat den geltend gemachten Anspruch unter Bezugnahme auf den vorangegangenen Gerichtsbescheid des SG vom 26.4.2022 verneint, weil die ursprüngliche Klage nach dem Teilanerkenntnis des Beklagten vom 15.1.2021 hinsichtlich des auch begehrten Merkzeichens G in Bezug auf das Merkzeichen aG unzulässig gewesen sei. Insoweit fehle es an einer gerichtlich überprüfbaren Verwaltungsentscheidung. Zwar habe die Klägerin das Merkzeichen aG im Widerspruchsverfahren ergänzend beantragt. Der Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 11.8.2020 sei aber allein zum Merkzeichen G ergangen. Für das ergänzend beantragte Merkzeichen aG, das einen eigenständigen Streitgegenstand darstelle, wäre zunächst ein rechtsmittelfähiger Ausgangsbescheid erforderlich gewesen (Urteil vom 29.11.2022).
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat die Klägerin durch ihre Prozessbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 2.1.2023 Beschwerde zum BSG eingelegt. Die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde erfolge zunächst rein fristwahrend und werde abhängig gemacht von der Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH). Mit Schriftsatz vom 12.1.2023 hat sie PKH unter Beiordnung ihrer Prozessbevollmächtigten beantragt und mit weiterem Schriftsatz vom 1.2.2023 ihre Beschwerde verbunden mit dem Antrag, die Revision zuzulassen, damit begründet, dass das LSG von der Rechtsprechung des BSG im Urteil vom 17.4.2013 (B 9 SB 6/12 R - SozR 4-1300 § 48 Nr 26) abgewichen sei.
II. 1. Der Antrag der Klägerin auf PKH ist abzulehnen.
Gemäß § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Abs 1 Satz 1 ZPO kann einem bedürftigen Beteiligten, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, für das Verfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Daran fehlt es hier (dazu unter 3.). Schon aus diesem Grund kommt die Beiordnung ihrer Prozessbevollmächtigen nicht in Betracht (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO).
2. Der Senat geht nicht davon aus, dass von der Klägerin ausschließlich eine Prüfung von PKH für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren beabsichtigt war mit dem Ziel, nur im Falle ihrer Bewilligung eine Nichtzulassungsbeschwerde einlegen zu wollen. Zwar hat sie mit Schriftsatz vom 2.1.2023 noch mitgeteilt, dass die "zunächst rein fristwahrend" eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde abhängig gemacht werde von der Bewilligung von PKH. Im Folgenden hat die Klägerin aber über ihre Prozessbevollmächtigte nach der mit Schriftsatz vom 12.1.2023 erfolgten PKH-Antragstellung mit weiterem Schriftsatz vom 1.2.2023 die Beschwerde verbunden mit dem ausdrücklichen Antrag, die Revision zuzulassen, begründet.
3. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung verfehlt die gesetzlichen Anforderungen, weil der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) nicht ordnungsgemäß bezeichnet worden ist (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).
a) Die Beschwerde lässt bereits die geordnete aus sich heraus verständliche Wiedergabe des entscheidungserheblichen Sachverhalts als unverzichtbare Grundlage für die rechtliche Beurteilung des Vorliegens des geltend gemachten Zulassungsgrundes durch das BSG als Beschwerdegericht vermissen (vgl stRspr; zB BSG Beschluss vom 18.1.2023 - B 9 V 29/22 B - juris RdNr 7; BSG Beschluss vom 15.6.2022 - B 9 SB 10/22 B - juris RdNr 5; BSG Beschluss vom 4.5.2022 - B 9 V 30/21 B - juris RdNr 7). Die Sachverhaltsdarstellung in der Beschwerdebegründung muss das BSG in die Lage versetzen, sich ohne Studium der Gerichts- und Verwaltungsakten allein aufgrund des Beschwerdevortrags ein Bild über den Streitgegenstand sowie seine tatsächlichen und rechtlichen Streitpunkte zu machen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 30.11.2017 - B 9 V 36/17 B - juris RdNr 10 mwN). Es ist nicht Aufgabe des BSG, sich im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren selbst die maßgeblichen Tatsachen aus dem angegriffenen Urteil oder den Akten herauszusuchen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 6.8.2019 - B 9 V 14/19 B - juris RdNr 4 f mwN).
Eine solche als alleinige Beurteilungsgrundlage für den Senat geeignete Wiedergabe des Sachverhalts fehlt in der Beschwerdebegründung. Die Klägerin beschränkt sich auf eine bruchstückhafte und erkennbar selektive Darstellung des Sachverhalts im Zusammenhang mit ihren Rechtsausführungen zum Vorliegen des Merkzeichens aG. Ohne die notwendige Schilderung des der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalts kann der Senat aber von vornherein schon nicht beurteilen, ob die von der Klägerin gerügte Argumentation des LSG zur Zulässigkeit der Klage auf Feststellung der Voraussetzungen für das Merkzeichen aG überhaupt entscheidungserheblich im Sinne von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG von dem zitierten Urteil des BSG abgewichen sein könnte. Soweit die Klägerin mit ihrem Vorbringen zum Ausdruck bringen will, dass die Entscheidung des LSG fehlerhaft sei, übersieht sie, dass das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde keine allgemeine Überprüfung des Rechtsstreits in dem Sinne erlaubt, ob das LSG in der Sache richtig entschieden hat (vgl stRspr; zB BSG Beschluss vom 18.1.2023 - B 9 V 29/22 B - juris RdNr 13; BSG Beschluss vom 27.8.2018 - B 9 SB 24/18 B - juris RdNr 7).
b) Unabhängig davon hat die Klägerin aber auch keine divergierenden tragenden Rechtssätze aus dem angefochtenen Urteil des LSG und der benannten Entscheidung des BSG bezeichnet (vgl allgemein zu den Darlegungsanforderungen an eine Divergenzrüge zB BSG Beschluss vom 25.10.2018 - B 9 V 27/18 B - juris RdNr 8 mwN). Überdies verkennt sie auch den Inhalt und den Kontext der in dem genannten Urteil des BSG getroffenen Aussagen. Denn das BSG hat sich dort im Wesentlichen mit Rechtsfragen zur bestandskräftigen Feststellung eines überhöhten Grades der Behinderung befasst, nicht aber mit solchen zu der von der Klägerin begehrten Feststellung des Merkzeichens aG.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
4. Die nicht formgerecht begründete Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG).
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5. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG. |
Kaltenstein |
Ch. Mecke |
Othmer |
Fundstellen
Dokument-Index HI15702585 |