Verfahrensgang
LSG Niedersachsen-Bremen (Urteil vom 16.11.2017; Aktenzeichen L 10 VE 3/15) |
SG Stade (Entscheidung vom 01.12.2014; Aktenzeichen S 21 VE 15/11) |
Tenor
Der Antrag der Klägerin, ihr für das Beschwerdeverfahren gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 16. November 2017 Prozesskostenhilfe zu gewähren und Rechtsanwältin Winkelmann, Bremen, beizuordnen, wird abgelehnt.
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem genannten Urteil wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I
Die Klägerin begehrt Beschädigtenversorgung wegen sexuellen Missbrauchs sowie Vergewaltigung und körperlicher Misshandlung.
Der Beklagte lehnte die darauf gerichteten Anträge der Klägerin ab, weil sich der Erlebnisbezug der behaupteten Angriffe aufgrund des von ihm eingeholten aussagepsychologischen Gutachtens nicht belegen ließe (Bescheide vom 18.8.2010; Widerspruchsbescheid vom 14.4.2011).
Die dagegen erhobene Klage hat das SG abgewiesen und sich zur Begründung ebenfalls auf das vom Beklagten eingeholte aussagepsychologische Gutachten bezogen, soweit es die Klage nicht mangels Widerspruch gegen die Ablehnung von Leistungen wegen Missbrauchs ua durch den Vater als unzulässig angesehen hat (Urteil vom 1.12.2014).
Die Berufung hat das LSG zurückgewiesen. Auch unter Einbeziehung des Vorwurfs sexuellen Missbrauchs in Kindheit und Jugend sowie unter Zugrundelegung des erleichterten Beweismaßstabs des § 15 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) könne nicht festgestellt werden, dass die Klägerin Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs geworden sei (Urteil vom 16.11.2017).
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat die Klägerin Beschwerde zum BSG eingelegt und Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) für das Beschwerdeverfahren beantragt. Das LSG habe seine Pflicht zur Amtsaufklärung verletzt, die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache verkannt und sei von der Rechtsprechung des BSG abgewichen.
II
Der PKH-Antrag der Klägerin ist unbegründet. PKH ist nur zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 73a Abs 1 S 1 SGG iVm § 114 ZPO). An der erforderlichen Erfolgsaussicht fehlt es hier. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil weder die behauptete Divergenz (1.), noch die vermeintlichen Verfahrensfehler (2.), oder eine grundsätzliche Bedeutung (3.) ordnungsgemäß dargetan worden ist (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG).
1. Die für eine Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) notwendigen Voraussetzungen hat die Klägerin innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist des § 160a Abs 2 S 1 SGG nicht in der gesetzlich gebotenen Weise dargelegt. Wer eine Rechtsprechungsdivergenz darlegen will, muss entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze in der Entscheidung des Berufungsgerichts einerseits und in der herangezogenen höchstrichterlichen Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG andererseits gegenüberstellen und dazu ausführen, weshalb beide miteinander unvereinbar sein sollen (vgl zB BSG Beschluss vom 28.7.2009 - B 1 KR 31/09 B - RdNr 4; BSG Beschluss vom 28.6.2010 - B 1 KR 26/10 B - RdNr 4; BSG Beschluss vom 22.12.2010 - B 1 KR 100/10 B - Juris RdNr 4 mwN). Heranzuziehen ist jeweils der aktuelle Stand der bundesgerichtlichen Rechtsprechung im Zeitpunkt der Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde (BSG Beschluss vom 7.2.2007 - B 6 KA 56/06 B - Juris RdNr 10 mwN).
Dies hat die Beschwerde versäumt. Sie wirft dem LSG vor, es sei von den Grundsätzen der Senatsurteile vom 17.4.2013 (B 9 V 3/12 R und B 9 V 1/12 R) zu den speziellen Anforderungen an die Erstellung aussagepsychologischer Gutachten im Opferentschädigungsrecht abgewichen. Insbesondere sei die aussagepsychologische Sachverständige nicht vorab auf den im Sozialrecht maßgeblichen Beweismaßstab der relativen Wahrscheinlichkeit hingewiesen worden. Damit übergeht die Beschwerde indes die neuere Fortentwicklung der Senatsrechtsprechung. Nach nochmaliger Überprüfung hat der Senat an dem Erfordernis der Berücksichtigung des Beweismaßstabes nach § 15 S 1 KOVVfG bei der Erstellung eines aussagepsychologischen Gutachtens nicht mehr festgehalten (zur Begründung siehe BSG Urteil vom 15.12.2016 - B 9 V 3/15 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 23 RdNr 45 ff). Darauf geht die Beschwerde nicht ein und legt schon deshalb keine Divergenz zur aktuellen Rechtsprechung des BSG dar.
2. Ebenso wenig substantiiert dargetan hat die Beschwerde Verfahrensfehler (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) des LSG. Auf die von ihr geltend gemachte Verletzung von § 103 SGG kann ein Verfahrensmangel gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Will die Beschwerde demnach einen Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht rügen (§ 103 SGG), so muss sie einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren, bis zum Schluss der Tatsacheninstanz aufrechterhaltenen Beweisantrag bezeichnen, dem das LSG nicht gefolgt ist. Das hat die Beschwerde versäumt. Unabhängig davon hat sie auch nicht darlegen können, warum das LSG sich zur Einholung eines weiteren aussagepsychologischen Gutachtens hätte gedrängt sehen sollen auf dem Boden der aktuellen Senatsrechtsprechung.
Die Beschwerde rügt darüber hinaus, das LSG habe Zeugenaussagen falsch bewertet und sei zu Unrecht davon ausgegangen, diese widersprächen den Angaben der Klägerin. Mit dem von ihr zusammenfassend formulierten Vorwurf einer angreifbaren Behandlung von Zeugenaussagen wendet sich die Beschwerde gegen die Beweiswürdigung des LSG im Einzelfall. Diese entzieht § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG indes vollständig der Beurteilung durch das Revisionsgericht. Kraft der darin enthaltenen ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung kann die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts mit der Nichtzulassungsbeschwerde weder unmittelbar noch mittelbar angegriffen werden (BSG Beschluss vom 31.8.2015 - B 9 V 26/15 B - Juris mwN).
3. Auch eine grundsätzliche Bedeutung des Verfahrens (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) hat die Beschwerde schließlich nicht dargelegt. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so genannte Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN).
Diese Darlegungen fehlen in der Beschwerdebegründung weitgehend. Es gelingt ihr bereits nicht, eine klar erkennbare Rechtsfrage zur Auslegung eines genau angegebenen gesetzlichen Tatbestandsmerkmals zu formulieren. Die Klägerin will vielmehr eine grundsätzliche Bedeutung aus dem Umstand ableiten, dass - nach ihrer Einschätzung - Werdegang, Geschehnisse und Schädigungen sowie Schädigungswirkung in ihrem Fall denjenigen in zwei Urteilen des BSG ähneln. Eine solche behauptete Übereinstimmung im Tatsächlichen besagt indes noch nichts über eine grundsätzliche rechtliche Bedeutung. Der von der Beschwerde nachvollziehbar geäußerte Wunsch, den Maßstab der Glaubhaftmachung die Qualität der Wahrscheinlichkeit nicht zu überspannen, lässt in seiner vagen Allgemeinheit ebenfalls keine konkrete klärungsbedürftige Rechtsfrage erkennen.
Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 SGG).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI11864780 |