Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Krankenversicherung. Arzneimittel. Keine Zulassung in Deutschland. Zulassung in Mitgliedstaat der Europäischen Union. Verordnung. Zentrales europarechtliches Anerkennungsverfahren. Dezentrales europarechtliches Anerkennungsverfahren. Aminosäuremischungen, Eiweißhydrolysaten. Elementardiäten. Naturwissenschaftliche Analyse
Orientierungssatz
1. Ein in Deutschland nicht zugelassenes Arzneimittel darf trotz seiner Zulassung in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden, wenn es weder das zentrale noch das dezentrale europarechtliche Anerkennungsverfahren durchlaufen hat (vgl BSG vom 18.5.2005 - B 1 KR 21/02 R = BSGE 93, 1 = SozR 4-2500 § 31 Nr 1 jeweils RdNr 8ff).
2. Die Zuordnung von Stoffen zu den Aminosäuremischungen, Eiweißhydrolysaten oder Elementardiäten ist nicht primär eine Frage der rechtlichen Bewertung, sondern durch naturwissenschaftliche Analyse vorzunehmen.
Normenkette
SGB 5 § 31 Abs. 1 S. 2, § 73 Abs. 2 S. 1 Nr. 7, § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 6; AMRL Abschn. G Nr. 20.1; AMRL Nr. 20.1; AMG § 21; AMG 1976 § 21; AMG §§ 21ff; AMG 1976 §§ 21ff; AMG § 73 Abs. 1; AMG 1976 § 73 Abs. 1; AMG § 73 Abs. 3; AMG 1976 § 73 Abs. 3
Verfahrensgang
Thüringer LSG (Urteil vom 27.09.2004; Aktenzeichen L 6 KR 883/02) |
SG Nordhausen (Urteil vom 12.08.2002; Aktenzeichen S 6 KR 1190/00) |
Tatbestand
Die 1938 geborene, bei der beklagten Ersatzkasse versicherte Klägerin leidet an einer Adrenoleukodystrophie (ADL) bzw Adrenomyeloneuropathie (AMN), einer X-chromosomal vererbbaren Erkrankung, die zu einer Störung im Stoffwechsel der sehr langkettigen Fettsäuren und zu deren Anhäufung im Blut und verschiedenen Organen führt. Unter Vorlage ärztlicher Bescheinigung des Chefarztes einer neurologischen Klinik beantragte sie im Februar 2000 bei der Beklagten die Übernahme der Therapiekosten für eine Behandlung mit den Spezialölen Glyceroltrioleat (GTO), Glyceroltrierucat (GTE), sog Lorenzo's Öl, das von der Firma S., H., vertrieben und von der Klägerin von dieser direkt bezogen wird; die Kosten hierfür belaufen sich je nach Körpergewicht des Patienten auf monatlich zwischen 1.000 DM und 1.500 DM bzw entsprechende Euro-Beträge. Die Beklagte lehnte die Versorgung der Klägerin mit diesen Ölen mit Bescheid vom 15. Februar 2000 und nach Vorlage einer weiteren ärztlichen Bescheinigung jeweils nach Einholung von Stellungnahmen des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) mit Bescheid vom 9. Juni 2000 erneut ab, weil es sich bei den Ölen um Lebensmittel handle, die keine Arzneimittelanerkennung hätten. Sie könnten nach Nr 17.1 der Arzneimittelrichtlinien (AMRK) auch nicht ausnahmsweise zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden. Widerspruch und Klage der Klägerin hiergegen blieben ohne Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) hat eine Auskunft des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen "Heil- und Hilfsmittel" (seit Januar 2004: Gemeinsamer Bundesausschuss, im Folgenden: Bundesausschuss) sowie des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte eingeholt. Das LSG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und im Wesentlichen ausgeführt: Bei den Spezialölen handle es sich um Arzneimittel im Sinne des Arzneimittelgesetzes (AMG), nicht um Lebensmittel. Die Spezialöle bedürften der Zulassung nach § 21 Abs 1 AMG, denn es handle sich um Fertigarzneimittel. Es liege jedoch weder eine europaweite noch eine auf Deutschland beschränkte Zulassung vor. Ausnahmen für eine Zulassungspflicht lägen nicht vor. Eine Leistungspflicht der Beklagten nach den Grundsätzen des sog Off-Label-Use scheide bei einem nicht zugelassenen Arzneimittel ebenfalls aus. Eine Prüfung der Therapie nach § 135 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) sei nicht erforderlich. Für Arzneimitteltherapien gelte der Erlaubnisvorbehalt des § 135 SGB V nur für die Anwendung von Rezepturarzneimitteln oder andere Arzneimittel, die im Einzelfall auf besondere Anforderung hergestellt werden, da diese Präparate keiner Zulassung nach dem AMG bedürften. Soweit das AMG allerdings eine Zulassung vorschreibe, sei der Nachweis im dafür vorgesehenen Zulassungsverfahren und nicht im Wege der Zertifizierung durch den Bundesausschuss zu führen (Urteil vom 27. September 2004). - Das LSG hat die Revision nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich die Beschwerde.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unzulässig. Sie genügt nicht den Begründungserfordernissen des § 160a Abs 2 Satz 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Soll die Revision wie vorliegend nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen werden, muss in der Beschwerdebegründung die grundsätzliche Bedeutung dargelegt werden (vgl § 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Hierzu ist es erforderlich, eine Rechtsfrage klar zu formulieren und aufzuzeigen, dass sie über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besitzt, und dass die Rechtsfrage klärungsbedürftig sowie klärungsfähig ist, dh sie im Falle der Zulassung der Revision entscheidungserheblich wäre. Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.
Die Beschwerde hält folgende Fragen für grundsätzlich bedeutsam:
"1. Stellt die Krankheit Adrenoleukodystrophie (ADL) bzw. Adrenomyeloneuropathie (AMN) eine Enzymmangelkrankheit im Sinne der Nummer 20.1 Buchstabe i AMRL dar?
2. Stellt das Spezialöl GTO/GTE (Lorenzo's Öl) eine Aminosäuremischung oder ein Eiweißhydrolysat im Sinne der Nummer 20.1 Buchstabe i AMRL dar?
3. Stellt die Krankheit ADL bzw. AMN eine konsumierende Erkrankung im Sinne der Nummer 20.1 Buchstabe i AMRL dar?
4. Stellt Lorenzo's Öl eine Elementardiät im Sinne der Nummer 20.1 Buchstabe i AMRL dar?
5. Besteht ein Sachleistungsanspruch nach § 31 Abs. 1 SGB V auch bei Mitteln, die zwar nicht zugelassen sind, jedoch nach § 73 Abs. 3 AMG abgegeben werden dürfen?"
Mit den Fragen 1) bis 4) geht die Beschwerde nur auf eine bestimmte Krankheit und eine darauf bezogene Arzneimitteltherapie ein. Sie legt nicht dar, weshalb ihr über eine Einzelfall-Konstellation hinausgehende Bedeutung zukommen sollte. Wie der Senat wiederholt entschieden hat, kann die Frage nach einer von den Krankenkassen zu übernehmenden Therapieform für ein einzelnes Leiden und dem entsprechenden Behandlungsanspruch der Versicherten angesichts der Vielzahl der in der Medizin diskutierten Krankheitsbilder und ihrer Behandlungsmöglichkeiten nämlich regelmäßig nicht in den Rang einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung gehoben werden (vgl zB Beschlüsse des Senats vom 20. Juli 2004 - B 1 KR 1/03 B, vom 19. Oktober 2004 - B 1 KR 92/03 B und vom 21. Dezember 2004 - B 1 KR 11/03 B). Die von der Beschwerde aufgeworfenen Fragen 1) bis 4) sind zudem nicht durch eine Auslegung der Vorschriften der AMRL - also Sollensvorschriften - zu klären; vielmehr handelt es sich dabei um Fragen der medizinischen Klassifizierung von Krankheitsbildern (Fragen 1 und 3) und der chemischen biologischen Klassifizierung von Ölen (Frage 2), die im Sinne einer Beschreibung tatsächlicher, naturwissenschaftlicher Phänomene in erster Linie von entsprechenden Sachverständigen vorzunehmen sind. Sinngemäß geht es der Beschwerde darum, die rechtliche Bewertung des LSG, bei Lorenzos Öl handle es sich um ein nicht zugelassenes und damit nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung zu verordnendes Fertigarzneimittel, in Frage zu stellen. Die Beschwerde zielt darauf ab, Lorenzos Öl in die Kategorie derjenigen Stoffe und Nahrungsmittel einzuordnen, die ausnahmsweise über Nr 17 AMRL alter Fassung bzw § 31 Abs 1 Satz 2 SGB V iVm AMRL 20.1 Buchstabe i neuer Fassung vom Bundesausschuss durch entsprechende Richtlinien ausnahmsweise in die Versorgung mit Arzneimitteln einbezogen werden können. Diese Zuordnung von Stoffen zu den Aminosäuremischungen, Eiweißhydrolysaten oder Elementardiäten ist indessen nicht primär eine Frage der rechtlichen Bewertung, sondern durch naturwissenschaftliche Analyse vorzunehmen. Insoweit wäre allenfalls in Betracht gekommen, entsprechende Beweisfragen von den Tatsacheninstanzen klären zu lassen.
Hinsichtlich der unter 5. aufgeworfenen Frage wird bereits nicht dargetan, dass es sich bei den von der Klägerin gekauften Ölen um Fertigarzneimittel handelt, die aus einem Staat, in dem sie in Verkehr gebracht werden dürfen, in den Geltungsbereich des AMG verbracht worden sind. Inwieweit diese Frage nach den vom LSG festgestellten Tatsachen für das angestrebte Revisionsverfahren von entscheidungserheblicher Bedeutung sein könnte, wird in der Beschwerdebegründung nicht dargelegt. Im Übrigen setzt sich die Beschwerde auch nicht mit der Rechtsprechung des Senats zur Auslegung des § 73 AMG auseinander, wonach ein in Deutschland nicht zugelassenes Arzneimittel trotz seiner Zulassung in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden darf, wenn es weder das zentrale noch das dezentrale europarechtliche Anerkennungsverfahren durchlaufen hat (vgl BSG, Urteil vom 15. Mai 2004 - B 1 KR 21/02 R, BSGE 93, 1 = SozR 4-2500 § 31 Nr 1 jeweils RdNr 8 ff).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen