Entscheidungsstichwort (Thema)
Revisionszulassung wegen überlanger Verfahrensdauer. Untätigkeitsbeschwerde oder Untätigkeitsfolgenbeschwerde
Leitsatz (amtlich)
1. Wegen einer Verletzung des Rechts auf ein zügiges Verfahren kann die Zulassung der Revision nur verlangt werden, wenn das angefochtene Urteil auf dem Mangel beruhen kann (anders noch BSG vom 13.12.2005 - B 4 RA 220/04 B = SozR 4-1500 § 160a Nr 11).
2. Das Gebot der Rechtsmittelklarheit verbietet eine Rechtsfortbildung in der Weise, dass die Nichtzulassungsbeschwerde die Funktion einer im Gesetz nicht vorgesehenen Untätigkeitsbeschwerde oder Untätigkeitsfolgenbeschwerde übernimmt.
Normenkette
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3 Hs. 2; MRK Art. 6 Abs. 1; MRK Art. 13; GG Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Ehemann der Klägerin hatte 1995 einen Arbeitsunfall erlitten, bei dem er schwere Verletzungen, ua einen Hirnschaden, davongetragen hatte. Wegen der Unfallfolgen hatte er von der Beklagten eine Verletztenrente nach einer MdE um 60 vH bezogen. Am 31. März 1999 beging er Selbstmord. Die Beteiligten streiten darüber, ob die Selbsttötung Folge des früheren Arbeitsunfalls ist. Die Beklagte hat die Gewährung einer Hinterbliebenenrente abgelehnt. Klage und Berufung sind erfolglos geblieben. Das Landessozialgericht (LSG) hat drei nervenärztliche Sachverständigengutachten eingeholt. Während der auf Antrag der Klägerin nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) gehörte Sachverständige Prof. Dr. P. gemeint hat, der Selbstmord sei wesentlich auf die Folgen des Arbeitsunfalls, insbesondere die dadurch bewirkte hirnorganische Wesensänderung und die erlebnisbedingten reaktiven Symptome wie Versagensängste und depressive Verstimmungen, zurückzuführen, haben die Sachverständigen Dr. V. und Dr. K. einen solchen Zusammenhang verneint und die Ursache des Suizids in einer schweren Ehekrise und einem vom Versicherten subjektiv als unerträglich empfundenen Kränkungserleben gesehen. Dieser Beurteilung hat sich das LSG angeschlossen.
Entscheidungsgründe
Die auf Verfahrensrügen gestützte Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist zulässig, aber nicht begründet.
1. Nicht stichhaltig sind die Einwände, die gegen die Ermittlungstätigkeit des LSG erhoben werden und belegen sollen, dass das Gericht gegen Grundsätze der Beweiserhebung verstoßen und sein Urteil auf Beweisergebnisse gestützt habe, die nicht prozessordnungsgemäß zustande gekommen seien.
a) Die Klägerin beanstandet, das Berufungsgericht habe es versäumt, vor Einholung der medizinischen Gutachten die von den Sachverständigen zugrunde zu legenden Tatsachen, insbesondere hinsichtlich der von ihr bestrittenen ehewidrigen Beziehungen zu einem anderen Mann und deren Bedeutung für die zum Selbstmord ihres Ehemannes führende krisenhafte Entwicklung, durch Einvernahme der Zeugen B. und N. näher aufzuklären. Stattdessen habe es die Zeugen erst nachträglich zu einem Zeitpunkt gehört, als die Gutachten bereits vorgelegen hätten. Eine Verletzung beweisrechtlicher Prinzipien ist damit nicht dargetan.
Gegenstand der Rüge ist eine Verletzung des § 118 Abs 1 SGG iVm § 404a der Zivilprozessordnung (ZPO), wonach bei streitigem Sachverhalt das Gericht bestimmt, welche Tatsachen der Sachverständige der Begutachtung zugrunde legen soll. Diese Regelung beinhaltet aber keine zwingende Pflicht des Gerichts, sich mit der Erteilung eines Gutachtensauftrags umfassend festzulegen, weil im Rahmen eines Gutachtens gegebenenfalls weitere Tatsachen ermittelt werden müssen und auch eine alternative Begutachtung in Frage kommt (vgl nur Greger in: Zöller, Zivilprozessordnung, 25. Aufl 2005, § 404a RdNr 3) . Zu den Tatsachen, um die es geht, lagen die schriftlichen Berichte des Zeugen B. über die polizeiliche Anhörung der Klägerin am 31. März 1999 und der Zeugin N. über das Gespräch mit der Klägerin am 21. April 1999 vor. Ihre darin wiedergegebenen Angaben hatte die Klägerin zwar im Verlauf des Prozesses relativiert und gemutmaßt, sie sei, was das Eingeständnis einer außerehelichen Beziehung und den daraufhin von ihrem Mann geäußerten Trennungswunsch angehe, von den Zeugen missverstanden worden. Sowohl die aktenkundigen Berichte als auch die spätere abweichende Darstellung der Klägerin waren den ärztlichen Gutachtern aber bekannt und die Sachverständigen Prof. Dr. P. und Dr. K. haben die Klägerin selbst dazu befragt. In einer solchen Situation muss das Gericht, das ein Zusammenhangsgutachten in Auftrag gibt, sich nicht bezüglich aller möglicherweise relevanten Indiztatsachen bereits vor der Begutachtung eine abschließende Meinung bilden und dem Sachverständigen ein Beweisergebnis vorgeben, zumal vielfach erst durch das Gutachten selbst erkennbar wird, welche Tatsachen in welcher Weise für die Beurteilung des Kausalzusammenhangs bedeutsam sind. Es darf vielmehr die endgültige Würdigung einschließlich der Feststellungen zu einzelnen Gliedern einer Beweiskette auf die Zeit nach der Erstattung des Gutachtens verlegen (BSG Urteil vom 3. Dezember 1986 - 9a RVi 2/85 - USK 86256) . An diese Vorgaben hat sich das LSG gehalten, indem es nach Eingang der schriftlichen Gutachten auf die Einwände der Klägerin hin die Zeugen zu den Umständen des Zustandekommens ihrer schriftlichen Berichte befragt hat. Nachdem sich die Tatsachengrundlage durch die Befragung nicht verändert hat, brauchten die Sachverständigen nicht erneut mit der Sache befasst zu werden.
b) Die Rüge, das LSG habe mit der Verwertung der schriftlichen Aussagen der Zeugen B. und N. in mehrfacher Hinsicht gegen Beweisverwertungsverbote verstoßen, greift nicht durch.
aa) Ein Verwertungsverbot folgt entgegen der Auffassung der Klägerin nicht daraus, dass die Zeugen über ein etwaiges Zeugnisverweigerungsrecht nicht belehrt worden sind (Verstoß gegen § 118 SGG iVm § 383 Abs 2 ZPO) . Belehrt werden müssen nur die in § 383 Abs 1 Nr 1 bis 3 ZPO genannten Personen. Dafür dass einer der Zeugen mit der Klägerin verwandt oder verschwägert sein könnte, gab es keinen Anhaltspunkt. Korrekterweise hätten die Zeugen zu diesem Punkt befragt oder vorsorglich auf das im Fall verwandtschaftlicher oder familiärer Beziehungen bestehende Aussageverweigerungsrecht hingewiesen werden müssen. Das Fehlen einer Belehrung führt aber nur dann zu einem Verwertungsverbot, wenn sich im Nachhinein ergibt, dass ein Zeugnisverweigerungsrecht bestanden hätte. Dafür trägt die Klägerin nichts vor.
bb) Der fehlende Hinweis auf die Möglichkeit der Beeidigung der Zeugen (Verstoß gegen § 118 SGG iVm § 395 Abs 1 ZPO) steht einer Verwertung der Aussagen ebenfalls nicht entgegen. § 395 Abs 1 ZPO ist eine bloße Ordnungsvorschrift, deren Verletzung prozessual belanglos ist (Greger in: Zöller, Zivilprozessordnung, 25. Aufl 2005, § 395 RdNr 1) .
cc) Soweit die Klägerin beanstandet, die für die Zeugen erforderliche Aussagegenehmigung sei entgegen § 118 SGG iVm § 376 Abs 3 ZPO nicht durch das Prozessgericht eingeholt, sondern von den Zeugen selbst beschafft worden, führt auch dies nicht zur Unverwertbarkeit der Aussagen. Die beamtenrechtlichen Vorschriften über die Notwendigkeit der Aussagegenehmigung sollen sicherstellen, dass die Pflicht der öffentlich Bediensteten zur Amtsverschwiegenheit gewahrt und im Einzelfall gegen die Interessen der Prozessbeteiligten und des Gerichts an einer Aussage über rechtserhebliche Tatsachen abgewogen wird. Prozessuale Konsequenzen könne sich deshalb aus einer Verletzung des § 376 Abs 3 ZPO allenfalls dann ergeben, wenn ein Beteiligter geltend macht, die vom Bediensteten selbst eingeholte Aussagegenehmigung habe nicht erteilt werden dürfen, weil dem seine - des Beteiligten - schützenswerten Interessen entgegengestanden hätten. Das macht die Klägerin, die die Vernehmung der Zeugen selbst beantragt hatte, jedoch nicht geltend.
dd) Entgegen der Beschwerdebegründung war die Verwertung des von dem Zeugen B. verfassten Ermittlungsberichts auch nicht deshalb unzulässig, weil die Klägerin anlässlich der damaligen Befragung nicht über ihr Zeugnisverweigerungsrecht nach § 55 der Strafprozessordnung belehrt worden ist. Das Aussageverweigerungsrecht hat ein Zeuge in Bezug auf solche Fragen, deren Beantwortung ihn selbst oder einen Angehörigen der Gefahr aussetzen würde, wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden. Dafür ist hier nichts ersichtlich, auch wenn bei der damaligen Befragung der Klägerin unmittelbar nach dem Auffinden der Leiche noch nicht feststand, ob Selbsttötung oder Fremdeinwirkung vorlag. Auch für ein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 21 Abs 3 Satz 3 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB X) iVm §§ 383 ff ZPO, das die Klägerin ins Spiel bringt, ist nichts ersichtlich, zumal die Beschwerdebegründung nicht darlegt, bezüglich welcher für das jetzige Verfahren relevanter Teile der polizeilichen Befragung ein solches Recht bestanden haben soll. Nachdem die Klägerin kein Zeugnisverweigerungsrecht hatte, kann aus der fehlenden Belehrung hierüber kein Verwertungsverbot abgeleitet werden.
2. Die mit der Beschwerde geltend gemachte Verletzung der Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) liegt nicht vor.
Die Klägerin rügt die Nichtbefolgung ihres in der mündlichen Verhandlung gestellten Hilfsbeweisantrags, den Sachverständigen Dr. V. ergänzend dazu zu hören, ob er seine These eines durch die Ehekrise verursachten Selbstmordes auch dann aufrecht erhalten hätte, wenn er gewusst hätte, dass 1991 schon einmal eine Ehekrise aufgetreten war, die keine vergleichbare Reaktion hervorgerufen hatte. Diesem Beweisantrag hätte des LSG nur folgen müssen, wenn es auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung und seiner sonstigen Tatsachenfeststellungen auf die unter Beweis gestellte Tatsache angekommen wäre. Das war indessen nicht der Fall. Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass die beantragte Beweiserhebung unnötig sei, weil dem Gutachter die zu beweisende Tatsache aus dem schriftlichen Bericht der Zeugin N. bereits bekannt gewesen sei. Es mag sein, dass das LSG, wie die Klägerin meint, die Ausführungen der Zeugin in diesem Punkt falsch verstanden hat.
Aber auch dann bestand bei dem von ihm als feststehend zugrunde gelegten Sachverhalt zu der Beweiserhebung kein Anlass. Wenn die Klägerin dem ihr abweichendes Verständnis der Zeugenaussage entgegensetzt, stützt sie ihre Aufklärungsrüge im Ergebnis auf den Vorwurf einer fehlerhaften Beweiswürdigung und versucht auf diese Weise die Ausschlussregelung in § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG zu umgehen.
3. Die Revision ist schließlich entgegen der Auffassung der Klägerin nicht wegen eines durch eine überlange Verfahrensdauer bewirkten Verstoßes gegen Art 6 Abs 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) zuzulassen. Dabei kann offen bleiben, ob nach den Maßstäben des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) das Verfahren insgesamt oder speziell das Verfahren in der Berufungsinstanz die durch das Gebot des fairen Verfahrens gezogene zeitliche Grenze überschritten hat (siehe dazu EGMR Urteil vom 26. Oktober 2000 - Az: 30210/96 - EuGRZ 2004, 484 = NJW 2001, 2694 sowie Urteil vom 4. März 2004 - Az: 72159/01 - AuR 2004, 239 - Leitsatz) . Denn ein derartiger Mangel kann die Zulassung der Revision nicht begründen, wie der Senat bereits entschieden hat (Beschluss vom 28. Dezember 2005 - B 2 U 52/05 B - nicht veröffentlicht; siehe auch BVerwG NJW 2005, 2169, 2170; BFH NJW 1992, 1526) .Es ist nicht ersichtlich und wird nicht geltend gemacht, dass die überlange Verfahrensdauer den Inhalt der Entscheidung beeinflusst habe, diese also iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG auf dem Mangel beruhen könne. Eine etwaige Verletzung des Rechts der Klägerin auf ein zügiges, in angemessener Frist durchgeführtes Verfahren könnte im übrigen durch die Aufhebung des angefochtenen Urteils in einem Revisionsverfahren oder durch eine Zurückverweisung nach § 160a Abs 5 SGG nicht geheilt werden; das Verfahren würde sich im Gegenteil bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung weiter verlängern.
Der Ansicht, eine Verletzung des Rechts auf ein zügiges Verfahren könne mit der Nichtzulassungsbeschwerde auch dann geltend gemacht werden, wenn keine Möglichkeit besteht, dass der Verfahrensmangel das Urteil beeinflusst hat, vermag der Senat nicht zu folgen. Der 4. Senat des BSG, auf dessen Beschluss vom 13. Dezember 2005 - B 4 RA 220/04 B - (SozR 4-1500 § 160a Nr 11) sich die Klägerin beruft, verweist für seine gegenteilige Auffassung auf die Garantien in Art 6 Abs 1 EMRK (Recht auf faires Verfahren) und Art 13 EMRK (Recht auf wirksame Beschwerde) sowie den aus dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes (GG) folgenden Justizgewährungsanspruch und leitet aus dem Fehlen eines speziellen Rechtsbehelfs zur Durchsetzung dieser Ansprüche in den einschlägigen Verfahrensordnungen das Recht des Beteiligten ab, eine überlange Verfahrensdauer mit einer auf § 160 Abs 2 Nr 3 SGG gestützten Nichtzulassungsbeschwerde geltend zu machen, ohne darlegen zu müssen, dass die angefochtene Entscheidung auf diesem Verfahrensfehler beruhen kann.
Der Senat hat Zweifel, ob sich ein mit Verfahrensgarantien des EMRK und des Grundgesetzes begründeter Verzicht auf das Erfordernis der Entscheidungserheblichkeit des Verfahrensmangels bei der Anwendung des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG im Rahmen einer methodisch vertretbaren Gesetzesinterpretation halten würde. Da der Wortlaut der Vorschrift hinsichtlich der Notwendigkeit des “Beruhenkönnens„ eindeutig und keiner einschränkenden Auslegung zugänglich ist, stellt sich das Absehen von dieser Zulassungsvoraussetzung als Akt richterlicher Rechtsfortbildung in der Form einer teleologischen Reduktion dar, wovon auch der 4. Senat ausgeht. Damit dürften jedoch die Grenzen einer konventionsgemäßen Auslegung überschritten sein, denn im Ergebnis würde trotz Gleichrangigkeit der Rechtsquellen geltendes Gesetzesrecht durch die EMRK verdrängt. Angesichts des zwingenden Wortlauts der Regelung in § 160 Abs 2 Nr 3 SGG scheidet auch die Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung für den Fall aus, dass in einer überlangen Verfahrensdauer eine Verletzung des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs aus Art 20 Abs 3 iVm Art 2 Abs 1 GG gesehen wird.
Letztlich kann all das auf sich beruhen, weil mit einer nicht an die Anforderungen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG gebundenen Revisionszulassungsbeschwerde wegen überlanger Verfahrensdauer im Ergebnis ein - unzulässiger - außerordentlicher Rechtsbehelf geschaffen würde, dessen Voraussetzungen und Folgewirkungen unklar sind und der deshalb dem rechtsstaatlichen Erfordernis der Rechtsmittelklarheit nicht genügt. Zwar wird bei der Eröffnung der Beschwerdemöglichkeit formal an den in § 160a SGG geregelten Rechtsbehelf der Nichtzulassungsbeschwerde angeknüpft. Nach Inhalt und Zielsetzung dient die Zulassung der Revision bei überlanger Verfahrensdauer jedoch nicht der Überprüfung des angefochtenen Urteils auf Rechtsfehler, sondern allein der Feststellung des Verfahrensfehlers als Grundlage für die Erlangung einer angemessenen Wiedergutmachung für die eingetretene Verzögerung (siehe dazu Beschluss des 4. Senats vom 13. Dezember 2005, SozR 4-1500 § 160a Nr 11 RdNr 34 und 84) . Die Nichtzulassungsbeschwerde übernimmt damit die Funktion einer im Gesetz (bisher) nicht vorgesehenen Untätigkeitsbeschwerde bzw Untätigkeitsfolgenbeschwerde.
Die Voraussetzungen und Wirkungen einer nicht den Beschränkungen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG unterliegenden Nichtzulassungsbeschwerde mit dem Ziel der Feststellung und Ahndung von Konventionsverstößen durch das Revisionsgericht sind unklar. Adressat einer gerichtlichen Feststellung und etwaiger Wiedergutmachungs- oder Entschädigungsansprüche können nicht die Prozessbeteiligten, sondern nur die Länder sein, deren Gerichte gegen das Gebot eines zügigen Verfahrens verstoßen haben. Ihre Beteiligung am Verfahren erforderte eine Klageänderung, die in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht zulässig wäre (§ 168 SGG) . Welcher Art eine Wiedergutmachung oder Entschädigung sein könnte und nach welchen Maßstäben sie zu bestimmen wäre, ist offen.
Das verfassungsrechtliche Gebot der Rechtsmittelklarheit erfordert, dass die Rechtsbehelfe in der geschriebenen Rechtsordnung geregelt werden und in ihren Voraussetzungen für den Bürger erkennbar sind. Das rechtsstaatliche Erfordernis der Messbarkeit und Vorhersehbarkeit staatlichen Handelns gebietet es, dem Rechtsuchenden den Weg zur Überprüfung gerichtlicher Entscheidungen klar vorzuzeichnen (Beschluss des Plenums des BVerfG vom 30. April 2003, BVerfGE 107, 395, 416 mwN) . Die rechtliche Ausgestaltung des Rechtsmittels soll dem Bürger die Prüfung ermöglichen, ob und unter welchen Voraussetzungen es zulässig ist, welche Ziele er erreichen kann und wie er vorgehen muss. Es verstößt deshalb gegen die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Rechtsmittelklarheit, wenn von der Rechtsprechung außerordentliche Rechtsbehelfe außerhalb des geschriebenen Rechts geschaffen werden, um tatsächliche oder vermeintliche Lücken im bisherigen Rechtsschutzsystem zu schließen (BVerfG - Kammer - Beschluss vom 16. Januar 2007 - 1 BvR 2803/06 - NJW 2007, 2538) . Entsprechend geht der EGMR davon aus, dass eine richterrechtlich begründete außerordentliche Untätigkeitsbeschwerde kein wirksamer Rechtsbehelf gegen eine überlange Verfahrensdauer ist (EGMR, Große Kammer, Urteil vom 8. Juni 2006, EuGRZ 2007, 255 = NJW 2006, 2389) .
Der 1. Senat des BSG hat in einem zur Veröffentlichung bestimmten Beschluss vom 21. Mai 2007 - B 1 KR 4/07 S - bereits zu Recht darauf hingewiesen, dass nach dieser Rechtsprechung kein Raum dafür verbleibt, zur Vermeidung eines Verstoßes gegen die Garantien der EMRK ohne gesetzliche Grundlage durch Richterrecht eine Untätigkeitsbeschwerde zu schaffen, um auf ein laufendes Verfahren einzuwirken (aaO RdNr 4 unter Hinweis auf gleichlautende Entscheidungen des BVerwG und des BFH) . Dem schließt sich der erkennende Senat an. Angesichts der durch die neueren Entscheidungen des BVerfG und des EGMR erfolgten Klarstellung war eine Anrufung des Großen Senats des BSG wegen der mit dem 4. Senat bestehenden Divergenz nicht geboten.
Die Entscheidung über die Kosten ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen