Verfahrensgang
SG Landshut (Entscheidung vom 18.05.2022; Aktenzeichen S 9 U 218/21) |
Bayerisches LSG (Urteil vom 10.05.2024; Aktenzeichen L 3 U 217/22) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 10. Mai 2024 wird als unzulässig verworfen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Mit vorbezeichnetem Urteil hat es das LSG abgelehnt, die Infektion des Klägers mit dem SARS-CoV-2-Virus als Arbeitsunfall festzustellen. Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat der Kläger Beschwerde zum BSG eingelegt. In der Beschwerdebegründung vom 12.8.2024 und der beigefügten persönlichen Stellungnahme vom 19.7.2024 macht er die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist (§ 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 SGG). Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) ist entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG nicht hinreichend dargelegt.
Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Die Beschwerdebegründung muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Der Beschwerdeführer muss mithin eine Rechtsfrage formulieren, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit und (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (BSG Beschlüsse vom 14.2.2024 - B 2 U 49/23 B - zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen = juris RdNr 3, vom 9.11.2023 - B 2 U 66/23 B - juris RdNr 3 mwN, vom 7.3.2017 - B 2 U 140/16 B - SozR 4-1920 § 52 Nr 18 RdNr 5 und vom 30.8.2016 - B 2 U 40/16 B - SozR 4-1500 § 183 Nr 12 RdNr 5; zur Verfassungsmäßigkeit dieser Kriterien vgl zB BVerfG Kammerbeschluss vom 14.4.2010 - 1 BvR 2856/07 - SozR 4-1500 § 160a Nr 24). Diesen Erfordernissen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Sie stellt die Fragen,
1. "ob (bei Tätigkeiten im Home-Office) zum Zeitpunkt, also der Moment der Infizierung mit dem Corona-Virus, einer Verrichtung nachgegangen wurde, die der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist, eine Beweiserleichterung in der Form eingreift, dass die Maßstäbe der Wahrscheinlichkeit oder Glaubhaftmachung ausreichen."
2. "ob Versicherten für den Nachweis, dass im Moment der Infizierung mit dem Virus einer Verrichtung nachgegangen wurde, die der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist, in Bezug auf eine Tätigkeit im Home-Office eine Beweiserleichterung in der Form zugutekommt, dass die Maßstäbe der Wahrscheinlichkeit oder Glaubhaftmachung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalles ausreichen."
Mit diesen beiden im Wesentlichen deckungsgleichen Fragen zur Herabsetzung des Beweismaßstabes bei Virusinfektionen im Homeoffice ist die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht schlüssig dargetan. Denn es fehlen hinreichende Darlegungen zur Klärungsbedürftigkeit im Lichte bereits vorhandener Rechtsprechung des BSG zum Vollbeweis und zur Glaubhaftmachung (von Tatsachen) sowie zur hinreichenden Wahrscheinlichkeit (von Ursachenzusammenhängen), zur Verteilung der Beweis- bzw Feststellungslast, zu Beweiserleichterungen und zum Beweisnotstand sowie den Fallgestaltungen, die ausnahmsweise eine "Beweislastumkehr" rechtfertigen können. In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass im Rahmen eines Arbeitsunfalls die Tatbestandsmerkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung", "einwirkendes Ereignis" und "Gesundheitsschaden" im Sinne des Vollbeweises - also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - vorliegen müssen. Dagegen genügt für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge die hinreichende Wahrscheinlichkeit, aber nicht die bloße Möglichkeit (stRspr; zuletzt BSG Urteile vom 6.5.2021 - B 2 U 15/19 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 77 RdNr 13, vom 16.3.2021 - B 2 U 7/19 R - BSGE 131, 297 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4115 Nr 1, RdNr 27 und vom 6.9.2018 - B 2 U 10/17 R - BSGE 126, 244 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 9, RdNr 13 mwN). Hiervon geht auch das LSG aus, wie die Beschwerdebegründung selbst einräumt. Die einfache Beweislosigkeit (non liquet) führt nicht zur Annahme eines Beweisnotstandes. Nur in besonders gelagerten Einzelfällen können die Eigentümlichkeiten eines Sachverhalts das Tatsachengericht veranlassen, aufgrund eines qualifizierten Beweisnotstandes verminderte Anforderungen an den Beweis zu stellen ("Beweiserleichterungen"), sodass der Tatrichter schon auf Basis weniger tatsächlicher Anhaltspunkte von einem bestimmten Geschehensablauf überzeugt sein kann (vgl zuletzt BSG Urteile vom 10.8.2021 - B 2 U 2/20 R - NZS 2022, 778, RdNr 31 und vom 6.10.2020 - B 2 U 9/19 R - SozR 4-1500 § 55 Nr 27 RdNr 29). Beruht die Beweisnot gar auf einer Beweisvereitelung der Gegenseite, so darf daraus auf die Wahrheit der festzustellenden Tatsache geschlossen werden. Dieser für den Zivilprozess in § 444 ZPO normierte Grundsatz gilt auch im Sozialgerichtsprozess (BSG Urteil vom 10.8.1993 - 9/9a RV 10/92 - SozR 3-1750 § 444 Nr 1 S 2). Andererseits führt der Beweisnotstand - auch wenn er auf einer fehlerhaften Beweiserhebung oder sogar auf einer Beweisvereitelung der Gegenseite beruht - keinesfalls zu einer Umkehr der Beweislast (BSG Urteile vom 27.5.1997 - 2 RU 38/96 - SozR 3-1500 § 128 Nr 11 S 19 f und vom 29.9.1965 - 2 RU 61/60 - BSGE 24, 25, 28 = SozR Nr 75 zu § 128 SGG sowie Beschluss vom 4.2.1998 - B 2 U 304/97 B - juris RdNr 4). Mit diesen bereits vorhandenen Rechtsgrundsätzen, geschweige denn mit Rechtsvorschriften oder einschlägiger Literatur, setzt sich die Beschwerdebegründung an keiner Stelle auseinander und legt auch nicht dar, inwieweit die bisherige Rechtsprechung für die Entscheidung des vorliegenden Falles "im Home-Office" ausgestaltet, erweitert oder geändert werden muss. Auch geht der Kläger mit keinem Wort darauf ein, ob und inwiefern sich das aufgeworfene Beweisproblem ggf mit Hilfe des § 9 Abs 1 Satz 1 SGB VII iVm Nr 3101 der Anl 1 zur BKV lösen lässt ("Infektionskrankheiten, wenn der Versicherte im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war"). Denn bei dieser Berufskrankheit wird der Nachweis der Einwirkung durch den Nachweis einer besonders erhöhten Infektionsgefahr ersetzt (vgl dazu zuletzt BSG Urteil vom 22.6.2023 - B 2 U 9/21 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-5671 Anl 1 Nr 3101 Nr 6 vorgesehen - juris RdNr 12).
Darüber hinaus fehlen ausreichende Ausführungen zur Klärungsfähigkeit. Insoweit hätte der Kläger aufzeigen müssen, welchen Sachverhalt das LSG für das BSG bindend (§ 163 SGG) festgestellt hat und dass auf dieser Grundlage im angestrebten Revisionsverfahren notwendig über die angesprochene Problematik entschieden werden muss. Soweit die Beschwerdebegründung stattdessen "hinsichtlich der Einzelheiten" schlicht "auf die Entscheidungsgründe des Gerichts" verweist, verfehlt sie die Darlegungserfordernisse (vgl zB BSG Beschlüsse vom 31.7.2013 - B 5 R 156/13 B - BeckRS 2013, 71674 RdNr 10 und vom 21.8.2009 - B 11 AL 21/09 B - juris RdNr 8). Denn es ist nicht Aufgabe des Beschwerdegerichts, sich im Rahmen des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens die maßgeblichen Tatsachen aus dem angegriffenen Urteil selbst herauszusuchen (stRspr; vgl BSG Beschlüsse vom 1.7.2024 - B 2 U 20/24 B - juris RdNr 5, vom 11.1.2024 - B 2 U 17/23 B - juris RdNr 5 und grundlegend vom 29.9.1975 - 8 BU 64/75 - SozR 1500 § 160a Nr 14 S 21 f). Ohne Sachverhaltsangabe kann das BSG die Entscheidungserheblichkeit der aufgeworfenen Fragen nicht beurteilen (BSG Beschluss vom 8.2.2017 - B 13 R 294/16 B - NZS 2017, 789 RdNr 7).
Die persönliche Erklärung des Klägers vom 19.7.2024 "zur Vorlage bei Gericht", die der Beschwerdebegründung beigefügt war, konnte bei der Beschwerdeentscheidung nicht berücksichtigt werden. Denn das gesetzliche Erfordernis, eine Nichtzulassungsbeschwerde durch einen zugelassenen Prozessbevollmächtigten zu begründen (§ 73 Abs 4 Satz 1 SGG), soll bewirken, dass dieser die Rechtslage im Hinblick auf die drei Gründe, auf die die Zulassung einer Revision allein gestützt werden kann (§ 160 Abs 2 SGG), genau durchdenkt, ggf von der Durchführung aussichtsloser Beschwerden absieht und andernfalls durch eine klare Darstellung, welcher Zulassungsgrund aus welchen Gründen als vorliegend angesehen wird, die Entscheidungsfindung des Gerichts erleichtert (BSG Beschluss vom 24.2.1992 - 7 BAr 86/91 - SozR 3-1500 § 166 Nr 4 S 9). Die nach § 160a Abs 2 SGG erforderliche Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde muss das Ergebnis der geistigen Arbeit des zugelassenen Prozessbevollmächtigten sein, für die er mit seiner Unterschrift die volle Verantwortung übernimmt und dies aus sich heraus erkennen lassen (BSG Beschluss vom 5.11.1998 - B 2 U 260/98 B - juris RdNr 6; die Verfassungsbeschwerde hiergegen wurde nicht zur Entscheidung angenommen, BVerfG Kammerbeschluss vom 20.9.1999 - 1 BvR 2322/98). Dies ist bei der vom Kläger persönlich unterschriebenen Erklärung indes nicht der Fall.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
Die Beschwerde ist ohne Hinzuziehung ehrenamtlicher Richter als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI16708790 |