Verfahrensgang

Hessisches LSG (Urteil vom 19.12.1995; Aktenzeichen L 8 Kn 229/95)

 

Tenor

Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 19. Dezember 1995 wird als unzulässig verworfen.

Die Beklagte hat dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Beklagte wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts (LSG), wodurch sie unter Änderung des Bescheides über den Versicherungsverlauf verurteilt wurde, eine Beschäftigungszeit des Klägers in Polen ohne Kürzung auf fünf Sechstel anzurechnen.

Der 1932 in W. … geborene Kläger hält sich seit 1981 in der Bundesrepublik Deutschland auf und ist Inhaber des Vertriebenenausweises A. Er bezog ab September 1984 Bergmannsrente wegen Vollendung des 50. Lebensjahres (Bescheid vom 28. März 1985), für die die streitige Zeit vom 10. März 1956 bis 14. Dezember 1959 zu sechs Sechsteln angerechnet wurde. Zur Umsetzung des Rentenreformgesetzes 1992 (Gesetz vom 18. Dezember 1989, BGBl I 2261, ber BGBl 1990 I 1337 ≪RRG 1992≫) veranlaßte die Beklagte im Juli 1991 eine Überprüfung der nach dem deutsch-polnischen Sozialversicherungsabkommen vom 9. Oktober 1975 anerkannten Zeiten. Hierüber erteilte sie dem Kläger unter dem 7. August 1991 einen Bescheid (Versicherungsverlauf), wonach die streitige Zeit nicht voll angerechnet werden könne, weil sie nicht nachgewiesen, sondern nur glaubhaft gemacht sei. Widerspruch und Klage blieben erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 16. März 1992; Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ Gießen vom 10. Januar 1995). Während des Klageverfahrens bewilligte die Beklagte dem Kläger auf seinen Antrag vom 13. Januar 1992 mit Bescheid vom 18. Oktober 1993 ab 1. Juni 1992 Altersrente wegen Arbeitslosigkeit, deren Berechnung die streitige Zeit ebenfalls nur gekürzt zugrunde liegt. Auch vor dem LSG blieb der Kläger mit dem Antrag ohne Erfolg, ihm höheres Altersruhegeld unter Berücksichtigung einer ungekürzten Versicherungszeit zu gewähren. Das LSG hat der Klage nur insoweit stattgegeben, als es die Beklagte – unter Änderung des SG-Urteils und des Bescheides der Beklagten vom 7. August 1991 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. März 1992 – verurteilt hat, „die Zeit vom 10. März 1956 bis 14. Dezember 1959 ungekürzt anzurechnen”. Bis zum 31. Mai 1992 sei eine Kürzung der streitigen Zeiten nicht zulässig gewesen. Dies folge einmal aus der Neufassung des Zustimmungsgesetzes vom 12. März 1976 zu dem deutsch-polnischen Sozialversicherungsabkommen vom 9. Oktober 1975 durch Art 20 Nr 3 RRG 1992. Diese Vorschrift belasse es dabei, wenn bei der Feststellung einer vor dem 1. Juli 1990 begonnenen Rente das Zustimmungsgesetz in der bis zum 30. Juni 1990 geltenden Fassung angewendet worden sei. Auch bestimme Art 6 § 4 Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetz (FANG) in der ab 1. Juli 1990 geltenden Fassung (Art 16 RRG 1992) die Fortgeltung des Fremdrentengesetzes in seiner bis zum 30. Juni 1990 geltenden Fassung, wenn vor dem 1. Juli 1990 ein Anspruch auf Zahlung einer Rente bestehe. Da der Kläger vor dem 1. Juli 1990 eine Bergmannsrente bezogen habe, sei Art 6 § 4 Abs 2 FANG, nicht aber Abs 3 dieser Norm anzuwenden. Die ungekürzte Berücksichtigung der streitigen Zeit gelte jedoch nicht mehr für die Zeit ab 1. Juni 1992, dem Beginn des Altersruhegeldes wegen Arbeitslosigkeit. Bei einer späteren Rente aufgrund einer neuen Rentenfeststellung wie hier sei grundsätzlich das neue Fremdrentengesetz (FRG) anzuwenden, wenn sich die Rentenbezugszeiten unmittelbar aneinander anschlössen. Die für eine ungekürzte Berücksichtigung der streitigen Zeit erforderlichen Nachweise seien nicht erbracht worden.

Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde an das Bundessozialgericht (BSG) macht die Beschwerdeführerin (Beklagte) geltend, ungeklärt sei die Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, ob sich die Besitzschutzregelung in Art 6 § 4 Abs 2 Satz 1 FANG 1990 auf die Feststellung der im Versicherungsverlauf enthaltenen Daten erstrecke, wenn zeitgleich eine besitzgeschützte Rente gewährt werde. Diese klärungsfähige Rechtsfrage habe für eine Vielzahl von Polen-Aussiedlern Bedeutung, die besitzgeschützte Renten bezögen, welche irgendwann in der Zukunft durch eine andere Rente ersetzt würden, wenn diesen Rentenbeziehern ein Bescheid über den Versicherungsverlauf erteilt werden solle.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist unzulässig.

Nach § 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist die Revision zuzulassen, wenn die Sache grundsätzliche Bedeutung hat. In der Beschwerdebegründung muß nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt werden. Diese ist gegeben, wenn zu erwarten ist, daß die Revisionsentscheidung die Rechtseinheit in ihrem Bestande erhalten oder die Weiterentwicklung des Rechts fördern wird. Es muß erläutert werden, daß und warum in dem angestrebten Revisionsverfahren eine genau zu formulierende Rechtsfrage erheblich sein würde, die über den Einzelfall hinaus allgemeine Bedeutung hat (BSG vom 19. Januar 1981, SozR 1500 § 160a Nr 39). Die Beklagte hat eine hinreichend präzise Rechtsfrage des Inhalts aufgeworfen, ob die Besitzschutzregelung des Art 6 § 4 Abs 2 Satz 1 FANG in der ab 1. Juli 1990 bzw ab 1. Januar 1992 geltenden Fassung für vor dem 1. Juli 1990 festgestellte, laufende Renten auch bei einem Versicherungsverlaufsbescheid Anwendung findet. Formgerecht bezeichnet ist die Behauptung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache jedoch nur dann, wenn darüber hinaus ihre Klärungsfähigkeit schlüssig dargelegt wird; dies erfordert eine Prüfung des Klageanspruchs unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt (BSG vom 12. Juli 1985, SozR 1500 § 160a Nr 54 S 70 f). Hieran fehlt es der Beschwerde. Sie erläutert nicht ansatzweise, daß und aus welchem Grunde es in dem angestrebten Revisionsverfahren auf die von der Beklagten formulierte ungeklärte Rechtsfrage ankommt.

Hierzu hätte deshalb Anlaß bestanden, weil der zunächst allein angegriffene Bescheid über den Versicherungsverlauf vom 7. August 1991 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. März 1992 gegenstandslos geworden ist durch den Rentenbescheid vom 18. Oktober 1993 (Altersrente wegen Arbeitslosigkeit). Das Rechtsschutzbedürfnis für die Klage gegen den Versicherungsverlaufsbescheid ist durch den Erlaß des Rentenbescheides entfallen, was von Amts wegen durch das Revisionsgericht zu prüfen ist (BSG vom 22. September 1981, SozR 1500 § 53 Nr 2). Im Falle der Zulassung der Revision könnte das BSG wegen dieses Verfahrensmangels über die von der Beklagten aufgeworfene Rechtsfrage nicht entscheiden (vgl BSG vom 25. Juni 1980, SozR 1500 § 160 Nr 39). Der Senat hätte davon auszugehen, daß der Rentenbescheid nach der Auffassung des SG und des LSG Gegenstand des anhängigen Rechtsstreits geworden ist (§ 96 SGG; zur – jedenfalls entsprechenden – Anwendung des § 96 SGG auf einen Rentenbescheid, der während eines Vormerkungsstreits oä ergeht, vgl zB BSG vom 3. Oktober 1984, BSGE 57, 163, 164 mwN). Die weitere Frage, ob der Rentenbescheid den Versicherungsverlaufsbescheid ersetzt, wirft die Beschwerde nicht auf. Durch den Rentenbescheid wird die Kürzung der streitigen Beschäftigungszeit auf fünf Sechstel wegen fehlenden Nachweises der ununterbrochenen Beitragsleistung vollzogen, wenngleich erst mit Wirkung ab dem 1. Juni 1992. Ab diesem Zeitpunkt und für die Zukunft ersetzt der dem Rentenbescheid beigegebene Versicherungsverlauf den ursprünglich angefochtenen Versicherungsverlaufsbescheid, weil die gesetzliche Kürzungsregelung greift, und zwar für jeden späteren Versicherungsfall. Von diesem Rechtsstandpunkt geht im übrigen auch die Beklagte aus. Das LSG hat die beabsichtigte Reichweite seiner Entscheidung insbesondere dadurch zum Ausdruck gebracht, daß es eingangs der Begründung ausführt, der Kläger habe bis 31. Mai 1992 Anspruch auf eine ungekürzte Anrechnung der streitigen Zeit. Es hätte demzufolge, nachdem die für die Feststellung von Versicherungsdaten maßgebliche kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (vgl zB BSG vom 28. Februar 1991, SozR 3-2200 § 1227a Nr 7 S 12) gegen den Versicherungsverlaufsbescheid mit Erlaß des Rentenbescheides wegen Fortfalls des Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig geworden war, die Beklagte nicht verurteilen dürfen, sondern die Berufung auch insoweit zurückweisen müssen. Dieser Verfahrensfehler wird von der Beschwerde jedoch nicht gerügt.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1174603

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