Verfahrensgang
SG Freiburg i. Br. (Entscheidung vom 09.10.2018; Aktenzeichen S 17 U 5681/15) |
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 22.02.2023; Aktenzeichen L 3 U 396/19) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 22. Februar 2023 wird als unzulässig verworfen.
Kosten sind nicht zu erstatten
Gründe
I
Der Kläger begehrt im Rahmen eines wiederholten Überprüfungsverfahrens nach§ 44 SGB X die Rücknahme eines Ablehnungsbescheides und die Feststellung einer Berufskrankheit nach Nr 1317 der Anl 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung. Die im Anschluss an ein erfolgloses Verwaltungsverfahren erhobene Klage hat das SG abgewiesen(Urteil vom 9.10.2018) . Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen(Urteil vom 22.2.2023) . Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG rügt der Kläger das Vorliegen von Verfahrensmängeln.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil der geltend gemachte Zulassungsgrund des Vorliegens von Verfahrensmängeln(§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG ) nicht formgerecht bezeichnet worden ist(§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG ) .
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne(§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG ) , so müssen die diesen vermeintlich begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG, ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht, auf dem Mangel beruhen kann. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG nicht und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Der Kläger rügt, das LSG habe seiner Sachaufklärungspflicht nicht genügt und damit den Untersuchungsgrundsatz(§ 103 SGG ) verletzt.
Um den Verfahrensmangel der Verletzung der Sachaufklärungspflicht(§ 103 SGG ) ordnungsgemäß zu rügen, muss die Beschwerdebegründung (1.) einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren, bis zuletzt aufrechterhaltenen oder im Urteil wiedergegebenen Beweisantrag bezeichnen, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2.) die Rechtsauffassung des LSG wiedergeben, auf deren Grundlage bestimmte Tatfragen klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, (3.) die von dem Beweisantrag betroffenen tatsächlichen Umstände aufzeigen, die zur weiteren Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, (4.) das voraussichtliche Ergebnis der unterbliebenen Beweisaufnahme angeben und (5.) erläutern, weshalb die Entscheidung des LSG auf der unterlassenen Beweiserhebung beruhen kann, das LSG also von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem für den Kläger günstigeren Ergebnis hätte gelangen können, wenn es das behauptete Ergebnis der unterlassenen Beweisaufnahme gekannt hätte(stRspr; zB BSG Beschlüsse vom 9.6.2023 - B 2 U 7/23 B - juris RdNr 7 ; vom 27.9.2022 - B 2 U 42/22 B - juris RdNr 7; vom 11.3.2021 - B 9 SB 51/20 B - juris RdNr 9 und vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 5, jeweils mwN).
Daran fehlt es hier. Der vor dem LSG anwaltlich vertretene Kläger bezeichnet bereits keinen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag, den er im Verfahren vor dem LSG bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung aufrechterhalten hat. Der förmliche Beweisantrag hat Warnfunktion und soll der Tatsacheninstanz unmittelbar vor der Entscheidung signalisieren, dass ein Beteiligter die gerichtliche Aufklärungspflicht noch für defizitär hält. Diese Warnfunktion verfehlen "Beweisantritte" und Beweisgesuche, die lediglich in der Berufungsschrift oder sonstigen Schriftsätzen enthalten sind(zB BSG Beschlüsse vom 11.9.2023 - B 2 U 5/23 B - juris RdNr 7 ; vom 14.7.2021 - B 6 KA 42/20 B - juris RdNr 7 und vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11, jeweils mwN) . Um das Berufungsgericht ausreichend vor einer Verletzung seiner Amtsermittlungspflicht zu warnen, muss ein im Berufungsverfahren rechtskundig vertretener Beschwerdeführer - wie der Kläger - sein zuvor geäußertes Beweisbegehren deshalb in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG als prozessordnungsgemäßen Beweisantrag wiederholen und protokollieren lassen( § 122 SGG iVm§ 160 Abs 4 Satz 1 ZPO ; vgl BSG Beschlüsse vom 20.10.2023 - B 1 KR 33/22 B - juris RdNr 8 ; vom 18.10.2023 - B 9 V 9/23 B - juris RdNr 18 und vom 15.6.2023 - B 12 BA 25/22 B - juris RdNr 16) . Einen solchen konkreten, bis zuletzt aufrechterhaltenen Beweisantrag bezeichnet die Beschwerde nicht. Ein solcher ergibt sich auch nicht aus dem angefochtenen Urteil. Der Kläger erwähnt in der Beschwerdeschrift lediglich zwei im erstinstanzlichen Verfahren gestellte Anträge, nämlich einen vor dem SG gestellten Antrag, hilfsweise ein weiteres Gutachten auf neurologischem Fachgebiet einzuholen, und einen mit Schriftsatz vom 24.9.2018 gestellten Antrag, S als sachverständigen Zeugen zu hören. Diese Anträge genügen jedoch nicht den Anforderungen des§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG . Denn nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes kann die Sachaufklärungsrüge nur auf einen Beweisantrag gestützt werden, dem das LSG nicht gefolgt ist. Dies kann bei einem vor dem SG gestellten Antrag nur dann der Fall sei, wenn dieser im Berufungsverfahren wiederholt und bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung des LSG aufrechterhalten wird. Dies zeigt indes der Kläger mit seiner Beschwerdebegründung weder auf noch lässt sich dies dem vorgelegten Urteil des LSG entnehmen.
Einen revisiblen Verfahrensfehler zeigt die Beschwerdebegründung auch nicht auf, soweit sie rügt, die Erklärung des Gerichts, dass die genetische Besonderheit des Klägers ohne jede Exposition eine erhöhte Gefahr zur Herbeiführung der Krankheitsbilder der BK 1317 mit sich brächte, sei neu und überraschend sowie in unzulässiger Anmaßung medizinischer Fachkompetenz erfolgt. Denn diese Rüge bezieht sich ausdrücklich auf das Erstgericht, mithin das SG. Wie sich indes aus dem Wortlaut des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG ergibt("… auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann …") , kommt die Zulassung der Revision nur wegen eines Mangels in Betracht, der das Verfahren im unmittelbar vorangegangenen Berufungsrechtszug betrifft(stRspr; zB BSG Beschlüsse vom 25.4.2023 - B 2 U 61/22 B - juris RdNr 5 ; vom 19.4.2022 - B 2 U 70/21 B - juris RdNr 12 und vom 9.4.2021 - B 13 R 276/20 B - juris RdNr 5) . Mängel, die sich auf das erstinstanzliche Verfahren vor dem SG beziehen, sind daher grundsätzlich unbeachtlich. Ein Verfahrensfehler des SG kann die Zulassung der Revision nur ausnahmsweise rechtfertigen, wenn dieser Fehler im Berufungsverfahren von Amts wegen zu beachten ist oder fortwirkt und damit zugleich als Fehler des LSG anzusehen ist(stRspr; zB BSG Beschlüsse vom 25.4.2023 - B 2 U 61/22 B - juris RdNr 5 ; vom 14.2.2024 - B 5 R 38/23 BH - juris RdNr 11 und vom 27.11.2023 - B 9 V 11/23 B - juris RdNr 14) . Daran fehlt es hier. Angesichts der umfassenden Prüfaufgabe des LSG(§ 157 SGG ) kommt es nicht darauf an, welche besondere Sachkunde (Fachkompetenz) das SG für sich in Anspruch genommen hat, sondern nur darauf, über welche das LSG verfügt, wenn es über die Sachaufklärung entscheidet oder die erhobenen Beweise würdigt, was wiederum nur unter den Einschränkungen des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG beachtlich ist. Hierzu enthält die Beschwerdebegründung keinerlei Ausführungen.
Gleiches gilt für den sinngemäß gerügten Gehörsverstoß. Eine das rechtliche Gehör(§ 62 SGG ,Art 103 Abs 1 GG ) verletzende Überraschungsentscheidung liegt nur vor, wenn das Gericht seine Entscheidung auf Gesichtspunkte stützt, die bisher nicht erörtert worden sind, und dadurch der Rechtsstreit eine unerwartete Wendung nimmt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Verfahrensverlauf nicht zu rechnen brauchte( BSG Beschlüsse vom 12.4.2023 - B 2 U 50/22 B - juris RdNr 20 , vom 24.10.2023 - B 5 R 93/23 B - juris RdNr 19 und vom 26.10.2023 - B 9 V 34/22 B - juris RdNr 12, jeweils mwN) . In diesem Sinne überraschend können im Berufungsverfahren vor dem LSG die Ausführungen in dem mit der Berufung angefochtenen Urteil des SG nicht sein.
Die umfangreichen Ausführungen in der Beschwerdebegründung - wonach sich sowohl SG als auch LSG mit ärztlichen Befunden nicht auseinandersetzten, ärztliche Feststellungen unvertretbar übergingen, gewichtige ärztliche Argumente nicht berücksichtigten, ärztliche Gutachten unzutreffend bewerteten - betreffen nicht die Sachaufklärung, sondern die Beweiswürdigung. Der Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung(§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG ) beinhaltet die Befugnis und Pflicht des Tatsachengerichts, nachdem der Sachverhalt vollständig und abschließend ermittelt ist, das Gesamtergebnis des Verfahrens einschließlich der erhobenen Beweise frei nach der inneren Überzeugungskraft der jeweiligen Beweismittel und des Beteiligtenvortrages unter Abwägung aller Umstände darauf zu würdigen, ob die maßgebenden Tatsachen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bzw im Falle geringerer Anforderungen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit feststehen. Die Beweiswürdigung ist gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG der Beurteilung durch das Revisionsgericht vollständig entzogen. Kraft der darin enthaltenen ausdrücklichen gesetzlichen Regelung kann die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts(§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG ) mit der Nichtzulassungsbeschwerde weder unmittelbar noch mittelbar angegriffen werden(BSG Beschluss vom 23.11.2023 - B 9 V 8/23 B - juris RdNr 9 ) . Dies gilt nicht nur, wenn die Beschwerde ausdrücklich eine Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG geltend macht, sondern auch dann, wenn sie ihre Angriffe gegen die Beweiswürdigung des LSG in ein anderes Gewand zu kleiden versucht( BSG Beschlüsse vom 12.4.2023 - B 2 U 50/22 B - juris RdNr 10 ; vom 28.6.2022 - B 2 U 181/21 B - juris RdNr 12 und vom 9.5.2022 - B 9 SB 75/21 B - juris RdNr 8) . Dass der Kläger das Urteil des LSG inhaltlich für unrichtig hält, kann ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision führen. Eine allgemeine Überprüfung des Rechtsstreits in dem Sinne, ob das LSG in der Sache richtig entschieden hat, erfolgt im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde nicht( BSG Beschlüsse vom 14.12.2022 - B 2 U 1/22 B - juris RdNr 15 ; vom 5.12.2022 - B 9 V 30/22 B - juris RdNr 27 und vom 1.9.2020 - B 3 KR 8/20 B - juris RdNr 5) .
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab(§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG ) .
Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter zu verwerfen(§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2,§ 169 Satz 2 und 3 SGG ) .
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der§§ 183 ,193 SGG .
Fundstellen
Dokument-Index HI16526244 |