Entscheidungsstichwort (Thema)
Kostenentscheidung nach Erledigung der Hauptsache infolge Rechtsänderung
Orientierungssatz
Zur Erstattung der außergerichtlichen Kosten, wenn die Erledigung des Rechtsstreits auf einer Rechtsänderung beruht (hier § 10 Abs 2 BKGG idF vom 20.12.1982 iVm § 44e BKGG), die der Herstellung einer verfassungsmäßigen Rechtslage dient.
Normenkette
SGG § 193 Abs 1 Halbs 2; BKGG § 10 Abs 2 Fassung: 1982-12-20, § 44e
Verfahrensgang
SG Berlin (Entscheidung vom 10.02.1984; Aktenzeichen S 59 Kg 103/83) |
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten war die einkommensabhängige Kürzung des Kindergeldes für die Jahre 1983 bis 1985 durch § 10 Abs 2 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) (idF des Art 13 Nr 2 des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 (HBegleitG) vom 20. Dezember 1982, BGBl I S 1857) streitig.
Nachdem das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit Beschluß vom 29. Mai 1990 (BVerfGE 82, 60 ff) die Kindergeldsätze für die Jahre 1983 bis 1985 wegen ihrer nicht ausreichenden steuerlichen Entlastung für verfassungswidrig erklärt hatte und nachdem mit der gesetzlichen Neuregelung des § 44e BKGG (idF des Steueränderungsgesetzes 1991, BGBl I S 1322 ff) die Minderung des Kindergeldes für das zweite Kind in den Jahren 1983 bis 1985 entfallen war, hat die Beklagte den Anspruch anerkannt und der Kläger daraufhin den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt.
Entscheidungsgründe
Auf Antrag des Klägers war gemäß § 193 Abs 1 2. Halbs des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) durch Beschluß zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Die Entscheidung ist dahin zu treffen, daß die Beklagte die außergerichtlichen Kosten des Klägers in vollem Umfange zu tragen hat.
Gemäß § 193 SGG erfolgt die Kostenentscheidung nach sachgemäßem Ermessen des Gerichts, wobei in erster Linie der Verfahrensausgang (BSGE 17, 124, 128), im Falle einer Kostenentscheidung nach Erledigung der Hauptsache der mutmaßliche Verfahrensausgang maßgeblich ist. Dieser Grundsatz gilt jedoch nicht ohne Ausnahme. Für den Fall, daß ein für den Kläger günstiger Ausgang des Rechtsstreits allein auf eine Rechtsänderung im Revisionsverfahren zurückzuführen ist, hat es das Bundessozialgericht für gerechtfertigt gehalten, von jeglicher Verpflichtung des letztlich unterlegenen Verwaltungsträgers zur Erstattung der außergerichtlichen Kosten des Klägers abzusehen (BSGE 3, 95, 105 f; BSG SozR 3-1500 § 193 Nr 2 und BSG vom 30. August 1991 - 11 RAr 41/89 -). Dies gilt jedoch dann nicht, wenn die Rechtsänderung nach Sinn, Zweck und Begleitumständen einen Rückgriff auf die alte Rechtslage auch für die Kostenentscheidung ausschließt (BSG vom 21. November 1991, BB 1992, S 357f).
So aber liegt der Fall hier. Bei der Kostenentscheidung nach sachgemäßem Ermessen kommt es nach Überzeugung des erkennenden Senats nicht darauf an, ob dem Kläger bereits im Jahre 1983 ein fälliger Anspruch gerade auf das ungekürzte Kindergeld des § 10 BKGG zugestanden hat. Entscheidend ist vielmehr, daß im Jahre 1983 hinsichtlich des Familienlastenausgleichs insgesamt eine verfassungswidrige Rechtslage bestanden hat (vgl BVerfGE 82, S 60 ff): Das dem Kläger in den Jahren 1983 bis 1985 gezahlte Kindergeld war in seiner steuerlichen Entlastungsfunktion nicht ausreichend, um das Existenzminimum der Familie steuerlich unangetastet zu lassen.
Der Kläger hatte daher im Jahre 1983 jedenfalls Anspruch auf Herstellung einer verfassungsmäßigen Rechtslage, wenn auch deren Ausgestaltung im einzelnen dem Gesetzgeber überlassen blieb (vgl BVerfG aaO). Um diesen Anspruch durchzusetzen, war der Kläger gezwungen, einen Rechtsstreit zu führen, wobei ihm außergerichtliche Kosten entstanden sind.
Demgegenüber fällt nicht ins Gewicht, daß die Beklagte vor einer gesetzlichen Neuregelung an einer Zahlung des ungekürzten Kindergeldes schon mangels einer entsprechenden Rechtsgrundlage gehindert war. Mängel der Gesetzgebung können im Verhältnis Behörde-Bürger jedenfalls nicht dem Bürger angelastet werden und wirken sich damit im Ergebnis zum Nachteil der Behörde aus (BSG vom 16. Oktober 1991, BB 1992, 357 f). Dieser Grundsatz war auch für die Kostenentscheidung zu beachten, so daß die Beklagte die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu tragen hat.
Fundstellen