Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 20.09.1961)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 20. September 1961 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die am 31. Oktober 1942 geborene Klägerin lebte seit April 1944 im Haushalt ihres Großvaters Josef E. in Rottenburg. Dieser starb am 15. Oktober 1945 an den Folgen eines Arbeitsunfalls von demselben Tage. Die beklagte Steinbruchs-Berufsgenossenschaft gewährte seiner Witwe eine Witwenrente.

Das Kreisjugendamt des Kreises Tübingen, unter dessen Amtsvormundschaft die Klägerin stand, beantragte im Mai 1959 bei der Beklagten die Gewährung einer Waisenrente „aus der Versicherung des verstorbenen Großvaters E. Diesen Antrag lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 24. Juli 1959 mit der Begründung ab, ein Anspruch auf Waisenrente für Pflegekinder bestehe nur, wenn der Versicherungsfall nach dem 30. September 1957 eingetreten sei.

Klage und Berufung hatten keinen Erfolg (Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 30. März 1960, Urteil des Landessozialgerichts –LSG– Baden-Württemberg vom 20. September 1961). Das Urteil des LSG ist am 15. November 1961 durch eingeschriebenen Brief an das Kreisjugendamt Tübingen zur Post gegeben worden. Das Kreisjugendamt (Amtsvormundschaft) hat mit Schriftsatz vom 23. November 1961, am 25. November 1961 beim Bundessozialgericht (BSG) eingegangen, gegen das Urteil Revision eingelegt und die Revision mit einem am 11. Dezember 1961 eingegangenen Schriftsatz begründet.

Nachdem die Beklagte zur Begründung des Antrags, die Revision der Klägerin als unzulässig zu verwerfen, vorgetragen hatte, daß das Kreisjugendamt nicht berechtigt sei, die seit der Vollendung des 16. Lebensjahres prozeßfähige Antragstellerin im Verfahren vor dem BSG zu vertreten, hat das Kreisjugendamt mit einem am 31. Januar 1962 eingegangenen Schriftsatz beantragt, der Klägerin das Armenrecht zu bewilligen und ihr einen Rechtsanwalt als Prozeßbevollmächtigten beizuordnen. Außerdem hat das Kreisjugendamt eine Erklärung der Klägerin eingereicht, in der sie ihr Einverständnis mit den vom Kreisjugendamt vorgenommenen Prozeßhandlungen erklärt, dem Kreisjugendamt hierfür nachträglich Prozeßvollmacht erteilt und gleichzeitig den beim Kreisjugendamt tätigen Amtsvormündern H., K. und W. Vollmacht zur Durchführung des Rechtsstreits vor dem BSG erteilt.

Den Antrag, der Klägerin das Armenrecht zu bewilligen, hat der erkennende Senat durch Beschluß vom 27. Januar 1967 abgelehnt, weil die Klägerin nicht außerstande ist, die Kosten für die Beauftragung eines Rechtsanwalts ohne Beeinträchtigung des für sie und ihre Familie notwendigen Unterhalts zu bestreiten (vgl. § 167 des Sozialgerichtsgesetzes –SGG–, § 114 Abs. 1 Satz 1 der Zivilprozeßordnung). Dieser Beschluß ist den Beteiligten am 15. Februar 1967 zugestellt worden.

Die – vom LSG zugelassene – Revision der Klägerin ist nicht formgerecht eingelegt und begründet worden.

Im Zeitpunkt der Einlegung der Revision hatte die Klägerin, die inzwischen volljährig geworden ist, längst das 16. Lebensjahr vollendet und war deshalb für das ihren eigenen Anspruch auf Waisenrente betreffende Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit nach § 71 Abs. 2 SGG prozeßfähig. Wie der erkennende Senat im Beschluß vom 28. Januar 1959 (SozR Nr. 2 zu § 71 SGG), auf den hinsichtlich der weiteren Nachweise Bezug genommen wird, näher dargelegt hat, schließt eine solche beschränkte Prozeßfähigkeit die auf dem Gesetz beruhende Vertretungsmacht des Vaters aus. Entsprechend gilt das für die Vertretungsmacht des Jugendamts als Amtsvormund nach §§ 37 ff des Gesetzes für Jugendwohlfahrt (JWG idF vom 11. August 1961 – BGBl I 1206, 1875 –). Die Beamten oder Angestellten des Jugendamts, die das Jugendamt in seiner Eigenschaft als Amtsvormund vertreten oder denen die Ausübung der vormundschaftlichen Obliegenheiten übertragen ist (vgl. § 37 Satz 2 JWG), können für einen unter Amtsvormundschaft stehenden Jugendlichen (§ 40 JWG) in einem Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, für das der Jugendliche nach § 71 Abs. 2 SGG selbst prozeßfähig ist, Prozeßhandlungen nicht auf Grund der auf der Amtsvormundschaft beruhenden, durch Gesetz begründeten Vertretungsmacht vornehmen, sondern bedürfen hierzu einer rechtsgeschäftlichen Vollmacht.

Daraus ergeben sich zugleich auch Folgen für die Frage, ob das Jugendamt auf Grund der für Behörden geltenden Ausnahme vom Vertretungszwang (§ 166 SGG) berechtigt ist, die Klägerin im Verfahren vor dem BSG zu vertreten. Der 4. Senat und der 3. Senat des BSG haben das für Fälle bejaht, in denen das Jugendamt unter Amtsvormundschaft stehende Jugendliche, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten, auf Grund seiner auf Gesetz beruhenden Vertretungsmacht vertrat (BSG 3, 121; 12, 288; Dapprich, NJW 1957, 289; vgl. aber Brackmann, Handbuch der SozVers, Stand 15. Juni 1966, S. 252 q). Eine eingehende Erörterung dieser Auffassung ist jedoch im vorliegenden Fall nicht erforderlich; denn sie läßt sich nicht auf Falle ausdehnen, in denen der Jugendliche für das Verfahren vor dem BSG prozeßfähig ist und deshalb die Beamten oder Angestellten des Jugendamts für ihn, wie dargelegt, nur als gewillkürte bevollmächtigte Vertreter handeln können.

In einem solchen Fall nehmen die Beamten oder Angestellten des Jugendamts nicht auf Grund der Rechtsstellung des Jugendamts als Vormund kraft Gesetzes die Befugnisse und Pflichten des beteiligten Jugendlichen im gerichtlichen Verfahren wahr, dieser ist hierzu vielmehr selbst berechtigt und verpflichtet. Das Jugendamt wird in einem solchen Falle im Verfahren vor dem BSG nicht auf Grund von Befugnissen tätig, die ihm kraft Gesetzes zustehen; seine Vertretungsberechtigung beruht vielmehr auf der Bevollmächtigung durch den prozeßfähigen Jugendlichen. Die für Behörden geltende Ausnahme vom Vertretungszwang setzt aber nach der Auffassung des erkennenden Senats voraus, daß die Behörde am Verfahren auf Grund eigener Rechtsbefugnis teilnimmt (vgl. auch zu § 29 Abs. 1 Satz 3 FGG, BGHZ 27, 146).

Das Kreisjugendamt Tübingen konnte deshalb im Verfahren, vor dem BSG keine Prozeßhandlungen für die Klägerin wirksam vornehmen. Da Einlegung und Begründung der Revision zu den Prozeßhandlungen gehören, sind die Fristen für diese Prozeßhandlungen (§ 164 SGG) durch die am 25. November und 11. Dezember 1961 eingegangenen Schriftsätze des Kreisjugendamts, die nicht durch einen postulationsfähigen Prozeßbevollmächtigten (§ 166 Abs. 2 SGG) unterzeichnet sind, nicht wirksam gewahrt worden. Die Revision der Klägerin ist somit nicht in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden.

Das Jugendamt hatte allerdings beantragt, der Klägerin das Armenrecht zu bewilligen und ihr einen Rechtsanwalt als Prozeßbevollmächtigten beizuordnen. Hierfür bedurfte das Jugendamt, ebenso wie die Klägerin selbst, keines zugelassenen Prozeßbevollmächtigten. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (vgl. § 67 SGG) gegen die Versäumung der Fristen für die Einlegung und Begründung der Revision ist aber schon deshalb nicht möglich, weil die versäumten Prozeßhandlungen auch nach Zustellung des Beschlusses vom 27. Januar 1967, durch den der erkennende Senat die Bewilligung des Armenrechts abgelehnt hat, nicht innerhalb der Monatsfrist des § 67 Abs. 2 SGG formgerecht durch einen zugelassenen Prozeßbevollmächtigten nachgeholt worden sind.

Die Revision der Klägerin war deshalb nach § 169 SGG als unzulässig zu verwerfen.

Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens ergeht auf Grund des § 193 SGG.

 

Unterschriften

Brackmann, Dr. Kaiser, Demiani

 

Fundstellen

NJW 1967, 1823

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