Entscheidungsstichwort (Thema)
Schiedsstelle. Externer Vergleich. Beschlusslage einer paritätisch besetzten Vertragskommission. Bezugnahme. Schiedsspruch. Verwaltungsakt. Begründungserfordernis
Leitsatz (redaktionell)
1. Im Hinblick auf die anders geartete Struktur des SGB XII besteht keine Veranlassung, die Rechtsprechung, wonach die Schiedsstelle sich der Möglichkeit eines externen Vergleichs dadurch bedienen kann, dass sie diesen nicht selbst durchführt, sondern sich inhaltlich nur auf die Ergebnisse einer Beschlusslage einer paritätisch besetzten Vertragskommission bezieht, in der Form zu übertragen, dass die Schiedsstellen zu einem entsprechenden Vorgehen vollumfänglich und in jedem Fall gezwungen wären.
2. Ein Schiedsspruch unterliegt zwar als Verwaltungsakt grundsätzlich dem Begründungserfordernis, aber die Schiedsstelle kann auf Gründe Bezug nehmen, die dem Betroffenen bereits mitgeteilt wurden oder die ihm in sonstiger Weise ohne Weiteres zugänglich sind.
Normenkette
SGG § 160 Abs. 2, § 160a Abs. 2 S. 3, Abs. 4 S. 1, § 169 Sätze 2-3, § 197a Abs. 1 S. 1; SGB X § 35 Abs. 1; GKG § 47 Abs. 1, 3, § 52 Abs. 2, § 63 Abs. 2
Verfahrensgang
Thüringer LSG (Urteil vom 24.06.2020; Aktenzeichen L 8 SO 1033/19 KL) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 24. Juni 2020 wird als unzulässig verworfen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5000 Euro festgesetzt.
Gründe
I
Im Streit ist eine Entscheidung der Schiedsstelle über die Höhe der Vergütung von Leistungen der Eingliederungshilfe in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) wegen der Sach- und Personalkosten für die Arbeit des Werkstattrats und der Frauenbeauftragen für die Zeit vom 1.1.2019 bis 31.12.2019.
Die Klägerin ist Träger der "R", einer WfbM, die im Gebiet des beklagten Landes gelegen ist und Menschen mit psychischen und/oder seelischen, ggf zudem körperlichen Behinderungen mit dem Ziel der Eingliederung in das Arbeitsleben betreut. Für die Zeit ab 1.1.2019 forderte die Klägerin den Beklagten zu Neuverhandlungen wegen einer Leistungs-, Prüfungs- und Vergütungsvereinbarung auf und machte pauschal gestiegene Personal- und Sachaufwendung geltend sowie ua die Kosten für die Arbeit des Werkstattrats und der Frauenbeauftragten. Nachdem eine Vereinbarung mit dem Beklagten nicht zustande gekommen war, rief die Klägerin am 1.3.2019 die Thüringer Schiedsstelle nach § 80 SGB XII an und machte ua Personalkosten (in Höhe von 0,72 Euro pro Belegungstag) und Sachkosten (in Höhe von 0,20 Euro pro Belegungstag) für die Beiratsarbeit in der WfbM und Personalkosten (in Höhe von 0,54 Euro pro Belegungstag) und Sachkosten (in Höhe von 0,25 Euro pro Belegungstag) für die Arbeit der Frauenbeauftragten der WfbM geltend.
Den zuletzt genannten Antrag trennte die Schiedsstelle am 26.7.2019 von den übrigen Anträgen betreffend die Leistungs-, Prüfungs- und Vergütungsvereinbarung ab und legte in der mündlichen Verhandlung vom 30.7.2019 für die Arbeit des Werkstattrats und der Frauenbeauftragen einen Vergütungssatz von 0,19 Euro und für die Vertrauensperson von 0,49 Euro pro Belegungstag fest (Schiedsspruch vom 30.7.2019). Die hiergegen erhobene Klage hat keinen Erfolg gehabt (Urteil des Thüringer Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 24.6.2020). Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, der Schiedsspruch sei formell und materiell rechtmäßig. Nicht zu beanstanden sei die Bezugnahme der Schiedsstelle auf den Beschluss der Gemeinsamen Kommission nach § 28 Landesrahmenvertrag vom 25.5.2018 als externen Vergleich. Dieser habe in einer Auflistung sämtliche Thüringer Werkstätten erfasst und Angaben zu den im Streit stehenden Kosten enthalten.
Die Klägerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im bezeichneten Urteil und macht die grundsätzliche Bedeutung der Sache (§ 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) geltend, zu der sie die Frage aufwirft, ob die bloße Bezugnahme der Schiedsstelle auf den Beschluss der Gemeinsamen Kommission die Voraussetzungen eines externen Vergleichs erfülle und ob die Bezugnahme auf diesen Beschluss dem Begründungserfordernis genüge.
II
Die Beschwerde ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung des allein geltend gemachten Revisionszulassungsgrunds der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG).
Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung - ggf sogar des Schrifttums - angeben, welche Rechtsfrage sich stellt, dass diese noch nicht geklärt ist, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfrage aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt (Bundessozialgericht ≪BSG≫ vom 2.3.1976 - 12/11 BA 116/75 - SozR 1500 § 160 Nr 17 und BSG vom 26.6.1975 - 12 BJ 12/75 - SozR 1500 § 160a Nr 7; BSG vom 22.8.1975 - 11 BA 8/75 - SozR 1500 § 160a Nr 11; BSG vom 25.9.1975 - 12 BJ 94/75 - SozR 1500 § 160a Nr 13; BSG vom 25.10.1978 - 8/3 BK 28/77 - SozR 1500 § 160a Nr 31; BSG vom 19.1.1981 - 7 BAr 69/80 - SozR 1500 § 160a Nr 39; BSG vom 9.10.1986 - 5b BJ 174/86 - SozR 1500 § 160a Nr 59 und BSG vom 22.7.1988 - 7 BAr 104/87 - SozR 1500 § 160a Nr 65). Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss der Beschwerdeführer eine konkrete Frage formulieren, deren (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit und (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie deren über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung (Breitenwirkung) darlegen (vgl nur BSG vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.
Soweit die Klägerin die Frage aufwirft, ob die Schiedsstelle sich der Möglichkeit eines externen Vergleichs dadurch bedienen kann, dass sie diesen nicht selbst durchführt, sondern sich inhaltlich nur auf die Ergebnisse einer Beschlusslage einer paritätisch besetzten Vertragskommission bezieht, weist sie zwar darauf hin, dass nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats (BSG vom 13.7.2017 - B 8 SO 11/15 R - SozR 4-3500 § 75 Nr 10 RdNr 19; BSG vom 7.10.2015 - B 8 SO 21/14 R - BSGE 120, 51 = SozR 4-3500 § 75 Nr 9, RdNr 16) die Rechtsprechung des 3. Senats des BSG zum sog externen Vergleich im Recht der sozialen Pflegeversicherung herangezogen werden kann. Es fehlt aber jede Darlegung der Rechtsprechung und ihrer Gründe, wonach im Hinblick auf die anders geartete Struktur des SGB XII keine Veranlassung besteht, diese Rechtsprechung in der Form zu übertragen, dass die Schiedsstellen zu einem entsprechenden Vorgehen vollumfänglich und in jedem Fall gezwungen wären (vgl BSG vom 7.10.2015 - B 8 SO 21/14 R - BSGE 120, 51 = SozR 4-3500 § 75 Nr 9, RdNr 16). Die Klägerin hätte vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung weiter ausführen müssen, weshalb hier gleichwohl die Pflicht der Schiedsstelle zur Beurteilung der Angemessenheit der Vergütung nach den Kriterien eines sog externen Vergleichs besteht, ob und welche Voraussetzungen insoweit bereits in der Rechtsprechung herausgearbeitet sind (vgl etwa BSG vom 29.1.2009 - B 3 P 7/08 R - BSGE 102, 227 = SozR 4-3300 § 85 Nr 1, RdNr 30 ff) und weshalb sich diese nicht auf den vorliegenden Fall übertragen lassen mit der Folge, dass sich das Urteil des LSG ggf lediglich als unrichtig darstellt. Die Beantwortung der von der Klägerin aufgeworfenen Frage in ihrer Allgemeinheit würde dagegen eine kommentar- oder lehrbuchartige Aufbereitung durch den Senat verlangen, was gerade nicht Gegenstand eines Revisionsverfahrens sein kann (vgl nur BSG vom 1.3.2018 - B 8 SO 104/17 B - juris RdNr 8).
Soweit die Klägerin als weiteren rechtlichen Aspekt die Frage aufwirft, ob die Bezugnahme der Schiedsstelle im Schiedsspruch auf den Beschluss der Gemeinsamen Kommission dem Begründungserfordernis des § 35 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) genüge, weist sie selbst auf die Rechtsprechung des Senats hin, wonach ein Schiedsspruch als Verwaltungsakt zwar grundsätzlich dem Begründungserfordernis des § 35 Abs 1 SGB X unterliegt, aber die Schiedsstelle auf Gründe Bezug nehmen kann, die dem Betroffenen bereits mitgeteilt wurden oder die ihm in sonstiger Weise ohne Weiteres zugänglich sind (BSG vom 13.7.2017 - B 8 SO 11/15 R aaO RdNr 16). Weder wird im Vortrag der Klägerin deutlich, weshalb die aufgeworfene Frage nicht anhand dieser Rechtsprechung beantwortet werden kann und, wo insofern noch abstrakt Klärungsbedarf bestehen soll bzw woraus sich nach dieser Rechtsprechung ein von ihr behauptetes "spezifisches Begründungserfordernis" an die Begründung eines Schiedsspruches ergeben soll, noch macht sie in der gebotenen Weise Ausführungen zur konkreten Klärungsfähigkeit. Sie behauptet nicht einmal, dass ihr der Beschluss der Gemeinsamen Kommission bzw seine Begründung nicht mitgeteilt wurde oder nicht zugänglich war.
Im Kern macht die Klägerin die Unrichtigkeit des angegriffenen Urteils geltend, was die Zulassung der Revision aber nicht begründen kann (vgl nur BSG vom 7.12.2020 - B 8 SO 22/20 B - juris RdNr 19; BSG vom 26.6.1975 - 12 BJ 12/75 - SozR 1500 § 160a Nr 7).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG iVm § 154 Abs 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 63 Abs 2, § 52 Abs 2, § 47 Abs 1 und 3 Gerichtskostengesetz (GKG).
Fundstellen
Dokument-Index HI14693264 |