Entscheidungsstichwort (Thema)
Prozeßkostenhilfe. Prozeßkostenvorschuß. Ehegatten-Unterhaltspflicht. angemessener Selbstbehalt. Verpflichtung zur Ratenzahlung. informationelle Selbstbestimmung
Leitsatz (amtlich)
Ein Beteiligter hat uneingeschränkten Anspruch auf Prozeßkostenhilfe, wenn sein unterhaltspflichtiger Ehegatte Prozeßkostenhilfe für die eigene Prozeßführung nur gegen Ratenzahlung erhielte.
In diesen Fällen verneint das Prozeßkostenhilferecht ohne nähere Prüfung einen Anspruch des Beteiligten auf Prozeßkostenvorschuß gegen seinen Ehegatten.
Normenkette
ZPO §§ 114-115, 115 Abs. 4; BGB § 1360a Abs. 4, §§ 1602-1603; GG Art. 2 Abs. 1
Verfahrensgang
LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 21.08.1992; Aktenzeichen L 4 Vg 7/91) |
SG Koblenz (Entscheidung vom 18.10.1991; Aktenzeichen S 8 Vg 1/89) |
Tenor
Der Klägerin wird für das Revisionsverfahren vor dem Bundessozialgericht Prozeßkostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin Dr. D.…-S.…, E.…, beigeordnet.
Gründe
Prozeßkostenhilfe erhält nach § 73a Abs 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) iVm § 114 der Zivilprozeßordnung (ZPO) eine Beteiligte, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozeßführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die Aussichten der Rechtsverteidigung sind nicht zu prüfen, weil der Gegner Revision eingelegt hat (§ 119 Satz 2 ZPO).
Die Klägerin ist wirtschaftlich nicht in der Lage, die Prozeßkosten zu tragen. Ihr Erwerbseinkommen unterschreitet mit 520,-- DM monatlich (abzüglich 120,-- DM Werbungskosten) den niedrigsten Satz der Tabelle zu § 114 ZPO. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Prozeßkostenvorschuß gegen ihren Ehemann. Ein solcher im Rahmen der Prozeßkostenhilfe nach § 115 Abs 2 ZPO als Vermögen zu berücksichtigender Anspruch besteht nur, wenn der Rechtsstreit eine persönliche Angelegenheit des berechtigten Ehegatten betrifft und der andere – unterhaltspflichtige – Ehegatte hinreichend leistungsfähig ist.
Vorliegend mag bereits zweifelhaft sein, ob de! Rechtsstreit nach seinem Gegenstand unter die Vorschußpflicht fällt. Zwar ist der Begriff der persönlichen Angelegenheiten weit zu fassen (vgl die Nachweise bei Knops NJW 1993, 1237, 1240; vgl auch die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes ≪BFH≫, zusammengefaßt in Rpfleger 1992, 356). Zu beachten ist aber daneben, daß die Inanspruchnahme des Ehegatten der Billigkeit entsprechen und es der Klägerin zumutbar sein muß, den Anspruch auf Prozeßkostenvorschuß gegen ihren Ehemann geltend zu machen. Der Ausschluß von Prozeßkostenhilfe für Beteiligte mit Anspruch auf Prozeßkostenvorschuß zwingt diese, den Ehegatten in Anspruch zu nehmen, wollen sie nicht auf die Prozeßführung verzichten. Auf diese Weise erfährt der Ehegatte vom Prozeß und dessen Gegenstand auch dann, wenn der unterhaltsberechtigte Ehegatte darüber bis dahin geschwiegen hat. Für dieses Schweigen kann es gewichtige, von der Rechtsordnung zu achtende Gründe geben. Das kann der Fall sein, wenn die Beteiligte – wie hier – Ansprüche als Opfer einer versuchten Vergewaltigung geltend macht. Diesen Gesichtspunkt mag der Gesetzgeber bei Einführung des § 1360a des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) durch das Gleichberechtigungsgesetz vom 18. Juni 1957 (BGBl I S 609) noch nicht im Blick gehabt und deshalb den ausnahmslosen Offenbarungszwang des Prozeßkostenvorschuß fordernden Ehegatten hingenommen haben. Der gesellschaftlichen und familiären Entwicklung, insbesondere geänderten Anschauungen über das Verhältnis der Ehegatten zueinander, hat der Gesetzgeber aber inzwischen auf anderen Gebieten Rechnung getragen. So ist der Anspruch des Mitglieds einer Krankenkasse auf Familienhilfe ua für die Ehefrau mit dem Gesundheits-Reformgesetz vom 20. Dezember 1988 – GRG – (BGBl I S 2477) aus den genannten Gründen (vgl BT-Drucks 11/2237 S 161) durch den eigenen Anspruch des Familienmitgliedes auf Leistungen der Krankenversicherung abgelöst worden (§ 10 GRG). Ob diese Entwicklung und die zunehmende Beachtung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung (BVerfGE 65, 1) dazu zwingen, auch bei Leistungsfähigkeit des unterhaltspflichtigen Ehegatten für besondere Fallgruppen einen Anspruch auf Prozeßkostenvorschuß zu verneinen und den dann bedürftigen Beteiligten Prozeßkostenhilfe zu gewähren, bleibt hier offen. Denn ein Anspruch auf Prozeßkostenvorschuß gegen den Ehegatten besteht hier schon deshalb nicht, weil der Ehemann der Klägerin nicht leistungsfähig ist.
Er hat nach Abzug der Werbungskosten ein Nettoeinkommen von 2.960,-- DM monatlich. Rechnet man – nach nicht unumstrittener Auffassung (vgl dazu die Nachweise bei Hartmann in Baumbach/Lauterbach, ZPO, 51. Aufl 1993, § 115 RdNr 19) –, das Kindergeld von 420,-- DM für drei Kinder hinzu, so ergibt sich ein Einkommen von 3.380,-- DM. Ob bei diesen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen ein Anspruch der Klägerin auf Prozeßkostenvorschuß besteht, richtet sich nach Unterhaltsrecht. Insoweit ist nicht mehr auf den Begriff des “notwendigen Unterhalts” in § 114 ZPO aF und die Besonderheiten des Rechts der Arbeitslosenhilfe abzustellen, wie in der noch zum früheren Armenrecht ergangenen Entscheidung des BSG vom 13. Februar 1979 (SozR 1750 § 114 Nr 3). Die zur Auslegung des Unterhaltsrechts in erster Linie berufenen Zivilgerichte unterscheiden zwischen dem angemessenen Unterhalt nach § 1603 Abs 1 BGB und dem notwendigen eigenen Unterhalt (= notwendiger Selbstbehalt) gemäß § 1603 Abs 2 BGB. Der angemessene Selbstbehalt ist im Regelfall etwa 300,-- DM höher als der notwendige Selbstbehalt (vgl die Hinweise bei Diederichsen in Palandt, BGB, 53. Aufl 1994, § 1610 RdNr 16). Da § 1360a BGB in Abs 1 über die allgemeine wechselseitige Unterhaltsverpflichtung der Ehegatten eine Regelung trifft und die Verpflichtung zur Leistung des Prozeßkostenvorschusses in Abs 4 nur nach Billigkeit anordnet, besagt dies im System des zivilen Unterhaltsrechts, daß der eigene angemessene Unterhalt sowie der angemessene Unterhalt der Kinder, die ohnehin Vorrang haben (§§ 1602, 1603 BGB), gegenüber diesem außergewöhnlichen Unterhaltsanspruch für eine bestimmte Bedarfslage Vorrang genießen.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat inzwischen auch ausdrücklich anerkannt, daß sich eine Prozeßkostenvorschußpflicht nur dann ergibt, wenn der eigene angemessene Unterhalt des Verpflichteten sichergestellt ist (BGHZ 110, 247 = JR 1991, S 25 mit Anm von Ohlsen).
Die Ermittlung des angemessenen Unterhalts für den Ehemann der Klägerin und seine drei Kinder könnte erheblichen Schwierigkeiten begegnen. Um eine gewisse Pauschalierung für die Gerichte zu ermöglichen, die nicht unmittelbar mit dem Unterhaltsrecht befaßt sind, hat sich die Auffassung durchgesetzt, daß die Leistungsfähigkeit des auf Prozeßkostenvorschuß in Anspruch genommenen Ehegatten bereits dann entfällt, wenn er selbst Anspruch auf Prozeßkostenhilfe hätte, müßte er den Prozeß führen (vgl die Nachweise bei Diederichsen in Palandt aaO § 1360a RdNr 15). Das ist schon dann der Fall, wenn er die Kosten nur in mehr als vier Raten aufbringen kann. Dann hat nämlich der Gesetzgeber bereits anerkannt, daß die Kosten nur unter besonderer Anstrengung aufgebracht werden können und die öffentliche Hand im Interesse des Rechtsschutzes eingreifen muß. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Prozeßkostenhilfe nehmen keine Rücksicht darauf, ob dem Betroffenen sein eigener angemessener Unterhalt verbleibt; sie belassen ihm allenfalls das zum Leben Notwendige.
Im vorliegenden Fall hätte der Ehemann der Klägerin – führte er einen eigenen erfolgversprechenden Prozeß – Anspruch auf Prozeßkostenhilfe. Aus dem monatlichen Einkommen von 3.380,-- DM hätte er nach der Tabelle zu § 114 ZPO bei drei unterhaltsberechtigten Kindern monatliche Raten von 520,-- DM aufzubringen. Die voraussichtlichen Prozeßkosten betragen 2.116,-- DM (1.800,-- DM nach § 116 Abs 1 Nr 3 Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung ≪BRAGO≫ für einen schwierigeren Fall, 40,-- DM Pauschale nach § 26 BRAGO und 276,-- DM Mehrwertsteuer). Die voraussichtlichen Kosten von 2.116,-- DM überschreiten den Betrag von vier Monatsraten (2.080,-- DM), so daß Prozeßkostenhilfe für den Ehemann nicht nach § 115 Abs 6 ZPO ausgeschlossen wäre.
Gegen die Auffassung, daß ein Anspruch auf Prozeßkostenvorschuß nicht besteht, wenn der andere Ehegatte selbst Anspruch auf Prozeßkostenhilfe hätte, sind in der Literatur Bedenken erhoben worden (vgl Maurer in Schwab, Handbuch des Scheidungsrechts, 2. Aufl 1989, B V RdNr 201, S 65 f). Die Bedenken beruhen darauf, daß ein Unterhaltsverpflichteter, der bei Führung eines eigenen Prozesses Prozeßkostenhilfe mit Ratenzahlung bewilligt erhielte, nicht notwendig seinen eigenen angemessenen Unterhalt sowie den seiner Kinder gefährdet, wenn er Prozeßkostenvorschuß, möglicherweise in Ratenzahlung, leistet. Es soll insoweit immer auf den Einzelfall ankommen, auch darauf, ob sich Gericht und Rechtsanwälte auf Ratenzahlungen einlassen, obwohl grundsätzlich der Vorschuß an Gericht und Rechtsanwälte in einer Summe zu leisten ist. Diese Auffassung hat den 18. Zivilsenat (Familiensenat; des Kammergerichts Berlin dazu bewogen, seine ursprüngliche Auffassung (FamRZ 1985, 1067) aufzugeben. In einem Prozeß um den Vorschußanspruch gegen den Ehegatten hat er den Abweisungsantrag nicht für begründet erachtet, soweit er sich darauf stützte, daß nach dem Tabellenwert Prozeßkostenhilfe zu bewilligen wäre (FamRZ 1990, 183).
Derartige ins einzelne gehende Ermittlungen mögen in einem Unterhaltsprozeß auch für den Prozeßkostenvorschuß noch vertretbar sein, weil ohnedies zur Einkommens- und Vermögenslage der Ehegatten Ermittlungen angestellt werden. Für sonstige Verfahren überzeugt dieser Ansatz nicht, zumal es sich beim Prozeßkostenvorschuß um einen realisierbaren vorhandenen Anspruch im Vermögen des Berechtigten handeln muß. Deshalb ist eine summarische Prüfung angezeigt, wie sie das gesamte Prozeßkostenhilferecht auszeichnet. Eine Beweiserhebung und Ermittlung im einzelnen kann nicht verlangt werden. Daher ist weiterhin die typisierende Ermittlung der Leistungsfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten der zutreffende Ansatz. Dies folgt nicht aus dem gesetzlichen Unterhaltsrecht und aus § 1360a Abs 4 BGB, über den das Kammergericht zu befinden hatte, sondern aus § 115 ZPO.
Für den Anspruch auf Prozeßkostenhilfe ist hei der Ermittlung des einer Partei zur Verfügung stehenden Einkommens lediglich von ihrem und nicht vom Familieneinkommen auszugehen. § 115 ZPO betrachtet das Einkommen der einzelnen Familienmitglieder getrennt und ordnet die Zusammenrechnung des Familieneinkommens nur als Kontrollinstrument an, um zu vermeiden, daß die prozeßführende Partei durch Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Einkommen erzielenden Unterhaltsberechtigten zu stark belastet wird. Dies ergibt sich aus § 115 Abs 4 ZPO, der anordnet, daß ein Zusammenrechnen der Einkommen nur dazu dient, zu überprüfen, ob dann eine geringere oder keine Monatsrate zu zahlen wäre. Aus diesem Grund ist dem Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin (LAGE § 115 Nr 15 – Leitsatz auch in ArbuR 1986, 249) zuzustimmen: § 1360a Abs 4 Satz 1 BGB darf nicht bewirken, daß praktisch doch ein Familieneinkommen gebildet wird, aufgrund dessen die Raten nach der Anlage nach § 115 ZPO ermittelt werden. Diese Auslegung steht auch im Einklang mit der gesamten zivilrechtlichen Rechtsprechung und Literatur insoweit, als der Prozeßkostenvorschuß nicht zu den gewöhnlichen Unterhaltslasten zählt, sondern nachrangig zu sonstigen Unterhaltsverpflichtungen und insbesondere nachrangig zum eigenen angemessenen Unterhalt zu erbringen ist.
Selbst die nach Schwab aaO notwendige Kontrolle des Einzelfalls ergäbe nichts anderes. Würde man dem Ehemann der Klägerin eine Beteiligung an den Prozeßkosten in Höhe von 520,-- DM monatlich auferlegen, so wäre aus seinem verbleibenden Einkommen von 2.860,-- DM, das bereits das Kindergeld umfaßt, mindestens sein eigener angemessener Unterhalt sowie derjenige von drei Kindern sicherzustellen. Bei dieser Überlegung wird bereits unterstellt, daß die Ehefrau, die Klägerin, mit 520,-- DM Erwerbseinkommen keinen ergänzenden Unterhaltsbedarf hätte. Schon der notwendige Eigenbedarf des Unterhaltsschuldners beträgt gegenüber volljährigen Kindern bereits mindestens 1.300,-- DM (Palandt aaO § 1610 RdNr 16). Für jedes der drei Kinder verblieben danach noch etwa 500,-- DM, wobei der Ausbildungsunterhalt für ältere Kinder zwischen 800,-- DM und 850,-- DM liegt.
Diese Kontrollüberlegungen belegen, daß die Tabellenwerte, die schon bei ihrer Einführung nur einen speziellen Sozialhilfebedarf aussparen sollten, jedenfalls heute wegen der Entwicklung der Lebenshaltungskosten nicht mehr die Frage sinnvoll erscheinen lassen, ob ein Ehegatte, der selbst Anspruch auf Prozeßkostenhilfe – sei es auch unter Bewilligung von Ratenzahlungen – hat, leistungsfähig iS des § 1360a Abs 4 BGB ist. Seine Inanspruchnahme entspricht nicht der Billigkeit. Denn die Tabellenwerte der Anlage zu § 114 ZPO legen einen Unterhaltsbedarf für den ersten Unterhaltsberechtigten in Höhe von 450,-- DM und für die weiteren Unterhaltsberechtigten jeweils in Höhe von 275,-- DM fest. Diese Beträge liegen im Bereich der Armut und nicht des angemessenen Unterhalts einer Familie, in der das Nettofamilieneinkommen – wie hier – knapp 4.000,-- DM beträgt. Ob die Tabellenwerte noch dem Sozialstaatsprinzip und dem Gleichheitssatz entsprechen, wird das Bundesverfassungsgericht in der Vorlagesache 1 BvL 3/93 zu entscheiden haben.
Das Prozeßkostenhilferecht fragt nicht danach, ob einer Partei der eigene angemessene Unterhalt verbleibt, wenn man mit Zahlung von Raten zu den Kosten des Prozesses beitragen muß. Es besteht vielmehr die Gefahr, daß hierdurch die Grenze zur Sozialhilfebedürftigkeit unterschritten wird. § 1360a Abs 4 BGB mutet dem Vorschußpflichtigen eine solche Einschränkung nicht zu. Auch den unterhaltsrechtlich abhängigen sonstigen Familienmitgliedern wird diese Einschränkung nur auferlegt, wenn die prozeßführende Partei selbst ein entsprechend hohes Einkommen erzielt. § 1360a BGB kehrt den Vorrang minderjähriger Kinder im Verhältnis zum Ehegatten beispielsweise nicht um. Ihre Unterhaltsansprüche erleiden keine Schmälerung deshalb, weil ein ihnen gegenüber nachrangig berechtigtes Elternteil einen Prozeß führt.
Fundstellen
Rpfleger 1994, 304 |
DVBl. 1994, 1249 |
Breith. 1994, 970 |