Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache

 

Orientierungssatz

1. Die Frage, ob das Vordergericht nicht von Amts wegen gehalten gewesen sei, bei der Verneinung der Voraussetzungen der Nr 4301 der Anl 1 zur BKVO dann zusätzlich abzuklären, ob nicht die Nr 4302 der Anl 1 zur BKVO anzuwenden sei, begründet nicht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache.

2. Die grundsätzliche Bedeutung ist nicht nach den gesetzlichen Erfordernissen bezeichnet, wenn darauf hingewiesen wird, daß das Berufungsgericht nicht dem nach § 109 SGG eingeholten Gutachten, sondern sogenannten Parteigutachten gefolgt sei.

 

Normenkette

SGG § 160 Abs 2 Nr 1, § 160a Abs 2 S 3, § 109; BKVO Anl 1 Nr 4301; BKVO Anl 1 Nr 4302

 

Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Entscheidung vom 04.05.1988; Aktenzeichen L 2 U 46/86)

 

Gründe

Der Kläger ist mit seinem Begehren, bei ihm eine Berufskrankheit ach § 551 Abs 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) iVm Nr 4301 der Anlage 1 der Siebenten Berufskrankheiten-Verordnung (7. BKVO) im Verwaltungswege anzuerkennen, ohne Erfolg geblieben (Bescheid vom 7. Juli 1983; Widerspruchsbescheid vom 8. August 1983). Das Sozialgericht (SG) hat der Klage stattgegeben (Urteil vom 14. November 1985), das Landessozialgericht (LSG) hingegen hat das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 4. Mai 1988).

Die Revision ist nicht durch das Bundessozialgericht (BSG) zuzulassen; denn die Beschwerde hat keinen Zulassungsgrund iS des § 160 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Form schlüssig dargelegt.

Der Beschwerdeführer weist zwar auf Zulassungsgründe hin, die in § 160 Abs 2 SGG aufgeführt sind. Er macht geltend, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, da durch die Neufassung der Anlage 1 zur BKVO in Nr 4301 die Rhinopathie zusätzlich aufgenommen worden sei. Außerdem sei die Frage grundsätzlich bedeutsam, ob das Vordergericht nicht von Amts wegen gehalten gewesen sei, bei der Verneinung der Voraussetzungen der Nr 4301 der Anlage 1 zur BKVO dann zusätzlich abzuklären, ob nicht die Nr 4302 der Anlage 1 zur BKVO anzuwenden sei. Mit diesem Vorbringen sind die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht so "dargelegt" und "bezeichnet", wie dies § 160a Abs 2 Satz 3 SGG verlangt. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG erfordert diese Vorschrift, daß die Zulassungsgründe schlüssig dargetan werden (BVerfG SozR 1500 § 160a Nr 44; BSG SozR 1500 § 160a Nrn 34, 47, 54 und 58). Daran fehlt es der Beschwerde.

1.

Zur Begründung der Grundsätzlichkeit einer Rechtssache iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG muß erläutert werden, daß und warum in dem angestrebten Revisionsverfahren eine Rechtssache erheblich sein würde, die über den Einzelfall hinaus allgemeine Bedeutung hat (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 39). Daran fehlt es hier. Der Kläger legt nicht dar, welcher Rechtsfrage im Zusammenhang mit der Ergänzung der Nr 4301 der Anlage 1 zur BKVO grundsätzliche Bedeutung zukommt und diese im gegenwärtigen Streitfall auch klärungsbedürftig ist.

2.

Ebensowenig ist die grundsätzliche Bedeutung damit zu begründen, daß am Arbeitsplatz in gleicher Weise eine chemische bzw toxische Exposition angefallen sei, so daß auch Nr 4302 der Anlage 1 zur BKVO seitens des Berufungsgerichts hätte abgeklärt werden müssen. Abgesehen davon, daß dieser Tatsachenvortrag im Revisionsverfahren unbeachtlich ist (vgl § 162 SGG), war Streitgegenstand der vom Kläger im Klage- und Berufungsverfahren erhobene Anspruch nach Nr 4301 der Anlage 1 zur BKVO. Daran war das Berufungsgericht gebunden (§ 123 SGG). Über einen Anspruch nach Nr 4302 der Anlage 1 zur BKVO war demgemäß nicht zu entscheiden.

3.

Die grundsätzliche Bedeutung ist auch nicht nach den gesetzlichen Erfordernissen bezeichnet, wenn darauf hingewiesen wird, daß das Berufungsgericht nicht dem nach § 109 SGG eingeholten Gutachten, sondern sog Parteigutachten gefolgt sei. Dies ist eine Frage der Beweiswürdigung iS des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG, auf die die Nichtzulassungsbeschwerde grundsätzlich nicht gestützt werden kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG). Im übrigen kann, wie der erkennende Senat in seinem Urteil vom 8. Dezember 1988 - 2/9b RU 66/87 - unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BSG entschieden hat, ein auf ein sog "Privatgutachten" gestütztes Vorbringen eines Beteiligten bei der Überzeugungsbildung des Gerichts berücksichtigt werden, sofern es entscheidungserheblich ist (BSG SozR Nr 68 zu § 128 SGG); es kann auch allein als Entscheidungsgrundlage dienen (BSG SozR Nr 3 zu § 118 SGG).

Schließlich ist auch Divergenz zu dem Urteil des BSG vom 4. August 1981 - 5a/5 RKnU 1/80 (= SozR 2200 § 551 Nr 18) nicht schlüssig dargetan. Die Berufung auf Divergenz erfordert die Darlegung, zu welcher konkreten Rechtsfrage eine das Berufungsurteil tragende Abweichung in dessen rechtlichen Ausführungen enthalten ist, bzw inwiefern das Urteil des LSG von der Entscheidung des BSG abweichen soll (BSG SozR 1500 § 160a Nr 14). Bezeichnet ist die Abweichung entsprechend § 160a Abs 2 Satz 3 SGG nur, wenn der Beschwerdeführer darlegt, mit welcher konkreten Aussage das angegriffene Urteil von der höchstrichterlichen Entscheidung abgewichen ist (BSG SozR 1500 § 160a Nrn 21 und 29). Diesen gesetzlichen Anforderungen genügt der Kläger nicht. Der genannten Entscheidung des BSG lag eine andere Fallgestaltung zugrunde. Dort war über Ansprüche sowohl nach § 551 Abs 1 wie auch nach Abs 2 RVO zu entscheiden. Im Hinblick darauf ist das BSG wegen der Zulässigkeit der Klage von ein und demselben Streitgegenstand ausgegangen. Im gegenwärtigen Streitverfahren ist jedoch, wie bereits ausgeführt, nur über den Klageanspruch nach Nr 4301 der Anlage 1 zur BKVO zu entscheiden. Die Frage eines einheitlichen Streitgegenstandes stellt sich somit nicht.

Letztlich ist auch ein Verfahrensmangel nicht ordnungsgemäß bezeichnet. Eine vorschriftsmäßig begründete Verfahrensrüge liegt nur dann vor, wenn die sie begründenden Tatsachen im einzelnen genau angegeben sind und entsprechend der Vorschrift des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG in sich verständlich den behaupteten Verfahrensmangel ergeben (BSG SozR 1500 § 160a Nr 14). Der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG). Der Beschwerdeführer muß also substantiiert darlegen, aufgrund welcher Rechtsauffassung des LSG Tatsachenfragen klärungsbedürftig erscheinen und demgemäß das LSG zu einer genau darzulegenden Sachaufklärung drängen mußten (BSG SozR 1500 § 160a Nr 14). Daran ermangelt es der Beschwerde. Zudem ist die Verletzung der Denkgesetze von der Verfahrensrüge ausgenommen, da es sich hier um eine Frage der Beweiswürdigung iS des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG handelt, auf die ein Verfahrensmangel nicht gestützt werden kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG; BSG SozR 1500 § 160 Nr 26). Ebensowenig ist nach dem Vortrag des Klägers die Notwendigkeit einer Beiladung der BEK nach § 75 Abs 2 SGG ersichtlich. Inwiefern zivilrechtliche Haftungsansprüche eine notwendige Beiladung iS des § 75 Abs 2 SGG zu begründen vermögen, ist ebenfalls nicht dargetan.

Die Beschwerde ist hiernach nicht geeignet, dem Kläger die Revision zu eröffnen; das Rechtsmittel ist zu verwerfen (§ 169 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1647963

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