Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. Divergenz. Beurkundung einer Prozeßhandlung
Orientierungssatz
1. Der gesetzlichen Last, die Divergenz zu bezeichnen, ist nicht schon dann genügt, wenn auf eine bestimmte höchstrichterliche Entscheidung mit der Behauptung hingewiesen wird, das angegriffene Urteil weiche hiervon ab. Abweichen kann der Tatsachenrichter allein von bestimmten Aussagen einer höchstrichterlichen Rechtsprechung, so daß notwendigerweise auch darzulegen ist, mit welcher konkreten, hiermit unvereinbaren Aussage das angefochtene Urteil hiervon abgewichen ist (vgl BSG vom 21.4.1978 - 1 BJ 12/78 = SozR 1500 § 160a Nr 29).
2. Eine Prozeßhandlung, die für die Eröffnung des Revisionsverfahrens unerläßlich wäre, muß in der verfahrensrechtlich vorgeschriebenen Form beurkundet sein, damit iS von § 160a SGG der Beweisantrag in der gebotenen Form bezeichnet werden kann (vgl Beschluß vom 15.2.1988 - 9/9a BV 196/87).
Normenkette
SGG § 160 Abs 2 Nr 1, § 160a Abs 2 S 3, § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2, § 136 Abs 2 S 2
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 12.01.1988; Aktenzeichen L 6 V 113/87) |
Gründe
Die Revision ist nicht durch das Bundessozialgericht (BSG) zuzulassen, denn die Klägerin hat mit ihrer Beschwerde keinen der Zulassungsgründe des § 160 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Form geltend gemacht.
Die Klägerin hält es für eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, wie sich die Neufassung des § 4 Abs 1, 3 und 4 Schwerbehindertengesetz (SchwbG) in der Fassung vom 26. August 1986 (BGBl I S 1421) im Verhältnis zum früheren § 3 SchwbG auswirkt. Mit diesem Vorbringen verweist sie zwar auf einen Zulassungsgrund, der in § 160 Abs 2 Nr 1 SGG aufgeführt ist. Sie hat damit jedoch keine klärungsbedürftige Rechtsfrage dargetan, was bereits zu den gemäß § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Formerfordernissen gehört (BSG SozR 1500 § 160 Nrn 17 und 53; § 160a Nrn 4, 7, 11, 31, 39 und 54). Denn zu dieser Frage hat der Senat bereits ausführlich Stellung genommen (SozR 3870 § 3 Nr 26 und Urteil vom 3. Februar 1988 - 9/9a RVs 18/86 - zur Veröffentlichung vorgesehen), und ausgeführt, daß mit der Änderung 1986 letztlich eine an der Rechtsprechung des BSG orientierte Klarstellung erreicht worden ist.
Der von der Klägerin behauptete Zulassungsgrund nach § 160 Abs 2 Nr 2 SGG, nämlich der Abweichung vom Beschluß des BSG vom 15. Mai 1958 - 11/8 RV 943/56 - bezeichnet den Verfahrensfehler nicht hinreichend. Die Beschwerdeführerin genügt ihrer gesetzlichen Last, die Divergenz zu bezeichnen, nicht schon dann, wenn sie auf eine bestimmte höchstrichterliche Entscheidung mit der Behauptung hinweist, das angegriffene Urteil weiche hiervon ab. Abweichen kann der Tatsachenrichter allein von bestimmten Aussagen einer höchstrichterlichen Rechtsprechung, so daß notwendigerweise auch darzulegen ist, mit welcher konkreten, hiermit unvereinbaren Aussage das angefochtene Urteil hiervon abgewichen ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 29). Dieser gesetzlichen Auflage hat die Klägerin nicht genügt; sie hat nicht dargelegt, zu welcher konkreten Rechtsfrage eine das Berufungsurteil tragende Abweichung in dessen rechtlichen Ausführungen enthalten ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 14). In der Beschwerde wird nur ausgeführt, daß Beweisführung und Beweiswürdigung des LSG von der alten Rechtsprechung des BSG abwichen, ohne daß ein entsprechender Rechtssatz des LSG aufgezeigt wird. Das wäre schon deshalb geboten, weil das LSG ausdrücklich zur Bewertung der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) ausgeführt hat, daß es sich nicht hauptsächlich um eine medizinische, sondern vorwiegend um eine juristische Wertung handele, die der vollen Überprüfung durch das Gericht unterliege (Bl 13 des Urteils).
Soweit Verfahrensmängel gerügt werden, macht die Klägerin im wesentlichen geltend, daß der Wirbelsäulenschaden bei anderer Einordnung einen höheren Grad der Behinderung (GdB) ermöglicht habe und daß die Wundrose sowie die Blutumlaufstörungen nicht ausreichend gewürdigt seien. In diesen Punkten wird die Überzeugung des Berufungsgerichts, die es in seiner freien das Gesamtergebnis des Verfahrens berücksichtigenden Beweiswürdigung gewonnen hat, angegriffen. Die Beweiswürdigung ist aber von der Beschwerderüge ausgenommen (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG).
Die Beschwerde läßt sich auch nicht auf eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG) stützen; denn Voraussetzung hierzu ist ein in der Berufungsinstanz gestellter Beweisantrag, den das LSG ohne hinreichende Begründung übergangen haben soll (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 iVm § 103 SGG). Ein solcher Antrag ist nicht formgerecht bezeichnet durch die Bezugnahme auf den Schriftsatz vom 1. Dezember 1987. In diesem Schriftsatz wurde wörtlich ausgeführt: "Bei der Bewertung der Behinderung scheint wohl doch vonnöten zu sein, noch einen Internisten zu beteiligen." Es kann offenbleiben, ob hierin bereits ein Antrag gesehen werden kann. Er ist jedenfalls in der mündlichen Verhandlung nicht wiederholt worden; weder das Protokoll noch der Urteilstatbestand erwähnen ihn. Ein Beweisantrag, der für die Zulassung der Revision bedeutsam wird, muß aber protokolliert sein; er gehört zu den Anträgen im weiteren Sinn, nämlich zu den rechtserheblichen Angriffsmitteln, die in § 136 Abs 2 Satz 2 SGG neben den erhobenen Ansprüchen genannt werden. Das Beachten dieser vorgeschriebenen Förmlichkeiten kann nur durch das Protokoll bewiesen werden (§ 165 der Zivilprozeßordnung). Einen Antrag auf Protokollergänzung oder Berichtigung hat die Klägerin nicht gestellt. Auch der Tatbestand des Berufungsurteils gibt den Beweisantrag nicht wieder; Berichtigung des Urteils ist nicht beantragt (§§ 136 Abs 1 Nr 5 und Abs 2 SGG, 169 SGG). Eine Prozeßhandlung, die für die Eröffnung des Revisionsverfahrens unerläßlich wäre, muß aber in der verfahrensrechtlich vorgeschriebenen Form beurkundet sein, damit im Sinne von § 160a SGG der Beweisantrag in der gebotenen Form bezeichnet werden kann (vgl Beschluß vom 15. Februar 1988 - 9/9a BV 196/87 - zur Veröffentlichung vorgesehen).
Im übrigen hat die Klägerin auch nicht dargelegt, daß der Beweisantrag ohne hinreichende Begründung übergangen sei. Zu der Wundrose hat sich das LSG mit der Bezugnahme auf § 3 Abs 1 Satz 3 SchwbG auf Rechtsgründe gestützt, nämlich darauf, daß eine Erkrankung mehr als sechs Monate andauern muß, damit eine Funktionsbeeinträchtigung nicht als nur vorübergehend und damit als unbeachtlich im Sinne des SchwbG zu werten ist.
Die mithin nicht zulässige Beschwerde muß entsprechend § 169 SGG mit der Kostenfolge aus § 193 SGG verworfen werden.
Fundstellen