Verfahrensgang
SG Hannover (Entscheidung vom 09.11.2017; Aktenzeichen S 37 SO 408/13) |
LSG Niedersachsen-Bremen (Urteil vom 26.01.2021; Aktenzeichen L 8 SO 372/17) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 26. Januar 2021 wird als unzulässig verworfen.
Die Klägerin trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 22 095,89 Euro festgesetzt.
Gründe
I
Im Streit steht die Festsetzung der Hilfebedarfsgruppe (HBG) für einen Empfänger von stationärer Eingliederungshilfe ab Februar 2012, hilfsweise der Anspruch der Klägerin auf Zahlung höherer Entgelte.
Die Klägerin betreibt ein Wohn- und Pflegeheim für Menschen mit seelischen Behinderungen in N, in dem der Hilfeempfänger M auf Grundlage eines Heimvertrags vom 25.2.2009 betreut wird. Mit Bescheid vom 4.3.2009 gewährte ihm der Beklagte hierfür Eingliederungshilfe. Der Beklagte rechnete die Leistungen für M nach dem sogenannten "Schlichthorstmodell" nach der HBG 2 ab, die sich aus der von dem Land Niedersachsen, den kommunalen Spitzenverbänden Niedersachsens und den in der Landesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege in Niedersachsen zusammengeschlossenen Spitzenverbände geschlossenen Vereinbarung zur Fortführung des niedersächsischen Landesrahmenvertrages nach § 93d Abs 2 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) (FFV-LRV) ergab. Anfang April 2010 machte die Klägerin gegenüber dem Beklagten erfolglos geltend, dass M der HBG 3 zuzuordnen sei. Das Sozialgericht (SG) Hannover hat die Klage mit dem Antrag, "eine Hilfebedarfsgruppe von 3 festzusetzen, hilfsweise den Bescheid der Schiedsstelle vom 26.03.2013 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, höhere Kosten der Eingliederungshilfe … zu übernehmen und … an den Heimträger zu zahlen" abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 9.7.2017). Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 26.1.2021). Die Zuordnung des Hilfeempfängers zu einer HBG habe nicht im Verhältnis der Klägerin zu dem Beklagten zu erfolgen, sondern zwischen dem Hilfeempfänger und dem beklagten Sozialhilfeträger. Die hilfsweise erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage habe ebenfalls keinen Erfolg. Nach den allgemeinen Regelungen zur Leistungserbringung und Vergütung im sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnis (§§ 75 ff Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - ≪SGB XII≫) sei für die Vergütung des Heimaufenthalts im Verhältnis der Klägerin zum Hilfeempfänger der Heimvertrag maßgeblich und im Verhältnis zum Beklagten dessen Stellung als weiterer Schuldner aufgrund des hier jedenfalls konkludent erklärten Schuldbeitritts, der in der jahrelangen Abrechnung des Leistungsfalls nach der HBG 2 gegenüber der Klägerin zu sehen sei. Hieraus ergebe sich aber kein Anspruch der Klägerin auf eine höhere Vergütung für den Bereich Wohnen nach der HBG 3. Für eine solche Schuldübernahme in einem solchen Umfang fehle es gerade am Rechtsbindungswillen des Beklagten.
Gegen die Nichtzulassung der Revision richtet sich die Beschwerde der Klägerin, mit der sie die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend macht.
II
Die Beschwerde ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung des allein geltend gemachten Revisionszulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG).
Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung - ggf sogar des Schrifttums - angeben, welche Rechtsfrage sich stellt, dass diese noch nicht geklärt ist, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfrage aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt (Bundessozialgericht ≪BSG≫ vom 2.3.1976 - 12/11 BA 116/75 - SozR 1500 § 160 Nr 17 und BSG vom 26.6.1975 - 12 BJ 12/75 - SozR 1500 § 160a Nr 7; BSG vom 22.8.1975 - 11 BA 8/75 - SozR 1500 § 160a Nr 11; BSG vom 25.9.1975 - 12 BJ 94/75 - SozR 1500 § 160a Nr 13; BSG vom 25.10.1978 - 8/3 BK 28/77 - SozR 1500 § 160a Nr 31; BSG vom 19.1.1981 - 7 BAr 69/80 - SozR 1500 § 160a Nr 39; BSG vom 9.10.1986 - 5b BJ 174/86 - SozR 1500 § 160a Nr 59 und BSG vom 22.7.1988 - 7 BAr 104/87 - SozR 1500 § 160a Nr 65). Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss der Beschwerdeführer eine konkrete Frage formulieren, deren (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit und (konkrete) Klärungsfähigkeit (= Entscheidungserheblichkeit) sowie deren über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung (Breitenwirkung) darlegen (vgl nur BSG vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.
Die Klägerin formuliert als "Rechtsfrage":
"Steht dem Leistungserbringer in der Sonderkonstellation der Umstufung eines Leistungsempfängers in eine höhere Hilfebedarfsgruppe nach dem Schlichthorstmodell in Niedersachsen - auch vor der Neueinführung des § 75 Absatz 6 SGB XII - ein unmittelbarer Zahlungsanspruch gegen den Kostenträger zu?"
Damit hat sie schon keine abstrakt-generelle Rechtsfrage zum Inhalt oder Anwendungsbereich einer revisiblen Norm (§ 162 SGG) gestellt. Insbesondere lässt sie offen, welches gesetzliche Tatbestandsmerkmal welcher bundesrechtlichen Norm mit Blick auf welche Bestimmung ausgelegt werden soll, um die Rechtseinheit zu wahren oder das Recht fortzubilden (vgl BSG vom 29.3.2017 - B 5 RE 12/16 B - juris RdNr 8). Die Frage ist vielmehr konkret auf die Beschwerdeführerin sowie auf die individuelle Situation des konkreten Verfahrens zugeschnitten und thematisiert nicht hinreichend den abstrakten Bedeutungsgehalt eines in der zur Auslegung gestellten Norm enthaltenen Rechtsbegriffs (vgl Karmanski in Roos/Wahrendorf, SGG, 2. Aufl 2021, § 160a RdNr 48 f).
Daneben fehlt eine hinreichende, den gesetzlichen Anforderungen entsprechende Darlegung der abstrakten Klärungsbedürftigkeit. Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder bereits höchstrichterlich geklärt ist. Als höchstrichterlich geklärt ist eine Rechtsfrage auch anzusehen, wenn das Revisionsgericht sie zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, aber schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen anderer oberster Bundesgerichte oder des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (stRspr; vgl zB BSG vom 2.12.2019 - B 8 SO 52/19 B - juris RdNr 5 mwN). Im Hinblick hierauf muss in der Beschwerdebegründung unter Auswertung der Rechtsprechung des BSG und ggf anderer oberster Bundesgerichte bzw des BVerfG zu dem Problemkreis substantiiert vorgetragen werden, dass es zu dem angesprochenen Fragenbereich noch keine Entscheidung gibt oder durch die schon vorliegenden Urteile die hier maßgebenden Fragen von grundsätzlicher Bedeutung nicht beantwortet werden können (vgl BSG vom 16.6.2020 - B 8 SO 69/19 B - juris RdNr 7).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats erklärt der Sozialhilfeträger durch die Übernahme der Unterbringungskosten im Bewilligungsbescheid den Schuldbeitritt zu der Zahlungsverpflichtung des Heimbewohners gegenüber dem Heim (grundlegend BSG vom 28.10.2008 - B 8 SO 22/07 R - BSGE 102, 1 = SozR 4-1500 § 75 Nr 9). Der Schuldbeitritt hat dann zum einen einen - auf den Umfang der dem Leistungsempfänger bewilligten Leistung beschränkten - unmittelbaren Zahlungsanspruch der Einrichtung gegen den Sozialhilfeträger, zum anderen einen Anspruch des Hilfeempfängers gegen den Sozialhilfeträger auf Zahlung an die Einrichtung zur Folge (BSG vom 28.10.2008 - B 8 SO 22/07 R - BSGE 102, 1 = SozR 4-1500 § 75 Nr 9, RdNr 25). Abgesehen davon, dass die Klägerin die vertragliche Vereinbarung mit M und die Höhe der von ihm vertraglich geschuldeten Unterbringungskosten nicht darlegt, sodass es auch an der Darlegung der Klärungsfähigkeit fehlt, zeigt die Klägerin nicht ansatzweise auf, weshalb sich mit Blick auf diese Rechtsprechung die von ihr aufgeworfene Frage nicht beantworten lässt. Ihre Begründung unterlässt vielmehr jegliche Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung zu den Auswirkungen eines Schuldbeitritts des Sozialhilfeträgers im sozialhilferechtlichen Leistungsdreieck.
Ist die Rechtsfrage höchstrichterlich bereits geklärt, kann die Klärungsbedürftigkeit zwar ausnahmsweise bejaht werden, wenn der Rechtsprechung in nicht geringem Umfang widersprochen wird und gegen sie Einwendungen vorgebracht werden, die nicht als abwegig anzusehen sind (BSG vom 28.1.2019 - B 8 SO 41/18 B - juris RdNr 6). Eine solche Ausnahme hat die Klägerin in ihrer Beschwerdebegründung aber nicht dargetan. Um einen weiter bestehenden oder neuen Klärungsbedarf aufzuzeigen, genügt es auch nicht, die Rechtsfrage lediglich in eine "Sonderkonstellation" zu kleiden, die Auswirkungen dieser Konstellation auf die Senatsrechtsprechung aber nicht einmal anzudeuten.
Die Klärungsbedürftigkeit ist aber auch deshalb nicht ausreichend dargelegt, weil sie - was die Klägerin selbst einräumt - auf eine Rechtslage vor dem 1.1.2020 abzielt. Betrifft die vom Beschwerdeführer aufgeworfene Rechtsfrage ausgelaufenes oder auslaufendes Recht, besteht in aller Regel kein Bedürfnis mehr, diese Frage höchstrichterlich zu klären. Hiervon lässt die Rechtsprechung Ausnahmen zu, wenn noch mehrere gleichgelagerte Streitfälle zu entscheiden sind oder die zu klärende Rechtsfrage nachwirkt und dies von allgemeiner Bedeutung ist (BSG vom 26.8.2019 - B 8 SO 90/18 B - juris RdNr 6; BSG vom 21.6.2011 - B 4 AS 14/11 B - juris RdNr 5; BSG vom 26.4.2007 - B 12 R 15/06 B - juris RdNr 9; BSG vom 28.11.1975 - 12 BJ 150/75 - SozR 1500 § 160a Nr 19). Die besonderen Voraussetzungen einer solchen Grundsatzrevision bei auslaufendem oder ausgelaufenem Recht müssen vom Beschwerdeführer aber im Einzelnen dargelegt werden. Hieran fehlt es. Die Klägerin verweist in diesem Zusammenhang lediglich auf § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) und behauptet, dass ihr aufgrund des Inkrafttretens des § 75 Abs 5 SGB XII nunmehr ein effektiver Rechtsschutz verwehrt würde. Damit stellt sie aber nur die Rechtsprechung des BSG zur grundsätzlichen Bedeutung bei ausgelaufenem Recht infrage.
Letztlich behauptet die Klägerin nur eine fehlerhafte Rechtsanwendung durch das Berufungsgericht, die nicht zur Zulassung der Revision führt (vgl BSG vom 26.9.2017 - B 14 AS 177/17 B - mwN, juris). Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht, ob das Berufungsgericht in der Sache richtig entschieden hat (vgl nur BSG vom 26.6.1975 - 12 BJ 12/75 - SozR 1500 § 160a Nr 7).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 SGG iVm § 154 Abs 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 63 Abs 2, § 52 Abs 1, § 47 Abs 1 Satz 1 Gerichtskostengesetz (GKG).
Fundstellen
Dokument-Index HI14693266 |