Orientierungssatz

1. Das Revisionsgericht kann die - negative - Entscheidung der Vorinstanz nur daraufhin nachprüfen, ob das Tatsachengericht den Rechtsbegriff der Sachdienlichkeit iS von § 99 Abs 1 SGG verkannt und damit die Grenzen seines Ermessens überschritten hat. Bei dieser Überprüfung ist nicht auf die objektive Sachdienlichkeit abzustellen, sondern darauf, ob das Tatsachengericht die Klageänderung subjektiv für sachdienlich hält (vgl BSG vom 4.5.1999 - B 2 U 89/98 B ).

 

Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Urteil vom 14.04.1999)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 14. April 1999 wird als unzulässig verworfen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die gegen die Nichtzulassung der Revision im angefochtenen Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts (LSG) auf Verfahrensmängel gestützte Beschwerde ist unzulässig. Die dazu gegebene Begründung entspricht nicht der in § 160 Abs 2 und § 160a Abs 2 Satz 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) festgelegten Form. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) erfordern diese Vorschriften, daß der Zulassungsgrund schlüssig dargetan wird (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nrn 34, 47 und 58; vgl hierzu auch Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 2. Aufl, 1997, IX, RdNrn 177 und 179 mwN). Diesen Anforderungen an die Begründung hat der Kläger nicht hinreichend Rechnung getragen.

Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Auf eine Verletzung des § 103 SGG (Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen) kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG nur dann gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Der insoweit vom Kläger gerügte Aufklärungsmangel, das LSG habe seinem gemäß § 103 SGG gestellten Beweisantrag auf Anhörung der Gutachter Dr. O. …, Dr. Z. …, Dr. G. … und Dr. P. … übergangen, ist nicht schlüssig dargelegt. Insbesondere fehlt es an der Bezugnahme auf einen berücksichtigungsfähigen Beweisantrag. Dazu hat der Senat in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß es jedenfalls rechtskundig vertretenen Beteiligten obliegt, in der mündlichen Verhandlung alle diejenigen Anträge zur Niederschrift des Gerichts zu stellen, über die das Gericht entscheiden soll (vgl ua Beschlüsse des Senats vom 3. März 1997 – 2 BU 19/97 – und vom 23. September 1997 – 2 BU 31/97 – sowie Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Februar 1992 = SozR 3-1500 § 160 Nr 6). Sinn der erneuten Antragstellung ist es, zum Schluß der mündlichen Verhandlung auch darzustellen, welche Anträge nach dem Ergebnis der für die Entscheidung maßgebenden mündlichen Verhandlung noch abschließend gestellt werden, mit denen sich das LSG dann im Urteil befassen muß, wenn es ihnen nicht folgt. Der im Berufungsverfahren rechtskundig durch seine damaligen Prozeßbevollmächtigten vertretene Kläger hätte deshalb in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG am 14. April 1999 neue Beweisanträge stellen oder auf in früheren Schriftsätzen enthaltene Beweisanträge Bezug nehmen oder sie zumindest hilfsweise zu dem Sachantrag stellen müssen, was ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 14. April 1999 nicht geschehen ist. Danach hat der Kläger lediglich einen Sachantrag gestellt. Diesem Ergebnis steht nicht entgegen, daß keiner der damaligen Prozeßbevollmächtigten des Klägers zu dem genannten Termin erschienen ist; denn nach § 73 Abs 4 Satz 1 SGG iVm § 85 der Zivilprozeßordnung (ZPO) muß ein Beteiligter Prozeßhandlungen seines Prozeßbevollmächtigten und deren Unterlassung gegen sich gelten lassen (vgl Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 57. Aufl, § 85 RdNr 5). Im übrigen hat der Kläger in seiner Nichtzulassungsbeschwerde keine Gründe für das Nichterscheinen seiner damaligen Prozeßbevollmächtigten im Termin am 14. April 1999 vorgetragen.

Nach § 99 Abs 1 SGG ist eine Änderung der Klage nur zulässig, wenn die übrigen Beteiligten – hier die Beklagte – einwilligen oder das Gericht die Änderung für sachdienlich hält. Im letzteren Falle entscheidet das Gericht nach seinem Ermessen, ob die Klageänderung sachdienlich ist (Meyer-Ladewig, SGG, 6. Aufl, § 99 RdNr 11 mwN). Das Revisionsgericht kann die – negative – Entscheidung der Vorinstanz nur daraufhin nachprüfen, ob das Tatsachengericht den Rechtsbegriff der Sachdienlichkeit verkannt und damit die Grenzen seines Ermessens überschritten hat (Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 11. Aufl, S 242o mwN ua unter Hinweis auf den Beschluß des Senats vom 3. Juni 1959 – 2 RU 91/57 –; Beschluß des Senats vom 26. September 1996 – 2 BU 156/96 –). Bei dieser Überprüfung ist nicht auf die objektive Sachdienlichkeit abzustellen, sondern darauf, ob das Tatsachengericht die Klageänderung subjektiv für sachdienlich hält (Beschluß des Senats vom 4. Mai 1999 – B 2 U 89/98 B –).

Der Kläger, der die Ablehnung der beantragten Klageänderung durch das LSG als Verfahrensfehler rügt, hat nicht hinreichend dargelegt, daß das LSG den Begriff der Sachdienlichkeit in diesem Sinne verkannt hat. Dazu hätte er zumindest subtantiiert vortragen müssen, daß die erweiterte Klage zulässig gewesen wäre, denn nur dann hätte – was in der Regel sachdienlich ist – über sie eine einheitliche Sachentscheidung getroffen werden können. Obwohl das LSG die Verneinung der Sachdienlichkeit ua damit begründet hat, daß für den Unfall vom 22. Juni 1989 die Zuständigkeit der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft gegeben sei, und für den Unfall vom 13. November 1990, daß eine Prozeßvoraussetzung – ein anfechtbarer Verwaltungsakt – fehle, ist der Kläger hierauf in seiner Beschwerdebegründung nicht eingegangen. Insbesondere hat er unberücksichtigt gelassen, daß Ansprüche auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung im Klagewege nur mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage des § 54 Abs 4 SGG durchgesetzt werden können, die ihrerseits einen im Verwaltungsverfahren (§ 8 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch) ergangenen ablehnenden Bescheid und ein Vorverfahren (§ 78 SGG) mit Erlaß eines Widerspruchsbescheids als Prozeßvoraussetzung voraussetzt. Hierzu hat der Kläger jedoch keine Ausführungen gemacht.

Die Beschwerde war daher als unzulässig zu verwerfen (§ 169 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1175428

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