Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Urteil vom 11.07.1973; Aktenzeichen L 4 Kr 57/72)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 11. Juli 1973 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die vom Landessozialgericht (LSG) nicht zugelassene Revision ist gemäß § 162 Abs. 1 Nr. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) nur statthaft, wenn ein wesentlicher Mangel im Verfahren des Berufungsgerichts in einer der Vorschrift des § 164 Abs. 2 Satz 2 SGG entsprechenden Form gerügt wird und auch vorliegt (BSG 1, 150; 1, 254).

Daran fehlt es.

Die Revision rügt, das LSG sei der ihm obliegenden Aufklärungspflicht nicht nachgekommen. Sie meint, für die Frage, ob der Kläger das einjährige Berufspraktikum für den Beruf des Sozialarbeiters während der Dauer seines Studiums im Sinne von § 4 Abs. 1 Nr. 4 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) abgeleistet habe, komme es wesentlich darauf an, ob der Kläger während des Praktikums weiter als ordentlicher Studierender der Höheren Fachschule für Sozialarbeit in D… eingeschrieben gewesen sei. Das LSG hätte demnach darüber Ermittlungen anstellen müssen. Die damit von der Revision gerügte Verletzung des § 103 Satz 1 SGG geht indes vom sachlich-rechtlichen Standpunkt des Berufungsgerichts fehl. Für die Frage, ob das LSG § 103 SGG verletzt hat, kommt es nämlich darauf an, ob der Sachverhalt, wie er dem LSG im Zeitpunkt der Urteilsfällung bekannt gewesen ist, von dessen sachlich-rechtlichem Standpunkt aus zur Entscheidung des Rechtsstreits ausreichte, oder ob sich das LSG zu weiteren Ermittlungen hätte gedrängt fühlen müssen. Nach § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG ist das Gericht in seiner Beweiswürdigung grundsätzlich frei. Es überschreitet daher die Grenzen seines Rechts nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu entscheiden, noch nicht, wenn auch eine andere Beweiswürdigung möglich ist, sondern erst dann, wenn die Beweiswürdigung “zwingend” zu einem anderen Ergebnis hätte führen müssen. Derartiges ist indes dem Vortrag der Revision nicht zu entnehmen.

Das LSG ist im angefochtenen Urteil im Anschluß an die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) in BSG 27, 192 der Rechtsauffassung, daß “ordentlich Studierender” im Sinne von § 4 Abs. 1 Nr. 4 AVG nur derjenige ist, dessen Zeit und Arbeitskraft ganz oder überwiegend durch das eigentliche – hier bereits vor Beginn des Berufspraktikums mit der Abschlußprüfung beendete – Studium in Anspruch genommen wird. Dagegen hat es das LSG bei der Anwendung der Vorschrift als rechtlich unerheblich angesehen, ob der Beschäftigte die Merkmale des schulrechtlichen Begriffs des “ordentlich Studierenden” erfüllt, weil dieser Begriff für das – anderen Zwecken dienende – Sozialversicherungsrecht nach der vom Berufungsgericht herangezogenen Entscheidung des BSG aaO irrelevant sei. Aus der Sicht des LSG, die bei der Prüfung der Zulässigkeit der Revision nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG zugrunde gelegt werden muß, stellt somit das Vorbringen der Revision keine durchgreifende Verfahrensrüge dar.

Gleiches gilt für den weiteren Vortrag der Revision, es komme darauf an, welche Beziehungen und Bindungen zwischen der Höheren Fachschule in Detmold bzw. der Fachhochschule für Sozialarbeit in B… und dem Kläger während des Berufspraktikums tatsächlich bestanden hätten. Das LSG hätte deshalb die vom Kläger angeregte Auskunft des zuständigen Kultusministers einholen müssen. Auch hierbei wird übersehen, daß das LSG dieser, von der Revision vertretenen Rechtsansicht gerade nicht gefolgt ist, vielmehr die – vom Revisionsgericht zu beachtende – Rechtsauffassung vertreten hat, daß eine dahingehende Klärung die Entscheidung des Rechtsstreits nicht beeinflussen kann. Wenn die Revision in diesem Zusammenhang meint, das LSG habe sich bei der Auslegung der Vorschriften der “Ausbildungs- und Prüfungsordnung für Sozialarbeiter” (MinBl NRW Nr. 34 vom 6. Juni 1959) entgegen der Regel des § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuches zu sehr an den Wortlaut gehalten, so will sie damit offenbar ebenfalls die nach ihrer Ansicht unrichtige Anwendung des materiellen Rechts durch das Berufungsgericht beanstanden. Dies nachzuprüfen, ist dem Revisionsgericht versagt, solange es lediglich die Statthaftigkeit der Revision zu prüfen hat.

Schließlich betreffen auch die Ausführungen der Revision, daß die auf die bisherige Rechtsprechung des BSG gestützte Ansicht des LSG auf überholten Vorstellungen beruhe und demgegenüber der Entscheidung des LSG Berlin vom 30. November 1966 –L 9 Kr 13/66– der Vorzug zu geben sei, lediglich die materielle Rechtsfindung des Berufungsgerichts. Eine Verletzung der Aufklärungspflicht durch das LSG könnte insoweit nur dann in Betracht kommen, wenn dem angefochtenen Urteil die gleiche materiell-rechtliche Auffassung zugrunde liegen würde wie dem von der Revision genannten Urteil des LSG Berlin. Das Berufungsgericht hat aber – was die Revision übersieht – gerade betont, daß es die Auffassung des LSG Berlin im Urteil vom 30. November 1966 aaO nicht teilt.

Soweit die Revision noch rügt, das LSG habe den Vortrag des Klägers über einen “erheblichen und unzumutbaren Rentenverlust” bei Anrechnung des Berufspraktikums nicht als Ausfall-, sondern als Beitragszeit übergangen, wird mit diesem Vorbringen ein wesentlicher Mangel im Verfahren des LSG ebenfalls nicht aufgezeigt. Die gerügte Verletzung der Aufklärungspflicht käme nur dann in Betracht, wenn die behauptete Rentenminderung für die vom LSG zu treffende Entscheidung über die Versicherungspflicht oder Versicherungsfreiheit des Klägers während seines einjährigen Berufspraktikums rechtserheblich gewesen wäre. Die Revisionsbegründung enthält hierzu keine Darlegungen. Die Rüge entspricht daher insoweit bereits nicht der Formvorschrift des § 164 Abs. 2 Satz 2 SGG, wonach die Revisionsbegründung außer der verletzten Rechtsnorm auch die Tatsachen und Beweismittel bezeichnen muß, die den gerügten Verfahrensmangel ergeben. Gleiches gilt für die aus dem genannten Vorbringen noch hergeleitete Rüge einer Verletzung des Rechts des Klägers auf Gewährung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 62 SGG). Die Revision geht selbst davon aus, daß der einschlägige Vortrag des Klägers im Tatbestand des angefochtenen Urteils aufgeführt ist. Einer Auseinandersetzung mit diesem Vortrag in den Entscheidungsgründen des Urteils hätte es aber nur bedurft, wenn der Vortrag für die richterliche Überzeugung von Bedeutung gewesen wäre (vgl. § 128 Abs. 1 Satz 2 SGG). Die Revision legt nicht dar, weshalb und inwiefern dies angenommen werden müsse. Die Revisionsbegründung genügt auch insoweit nicht dem Formerfordernis des § 164 Abs. 2 Satz 2 SGG.

Mangels weiterer, formgerecht vorgetragener Verfahrensrügen erweist sich die Revision als nicht statthaft und muß als unzulässig verworfen werden (§ 169 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI893544

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