Verfahrensgang
SG Landshut (Entscheidung vom 14.08.2019; Aktenzeichen S 4 KR 153/15) |
Bayerisches LSG (Urteil vom 20.07.2021; Aktenzeichen L 5 KR 543/19) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 20. Juli 2021 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der 1952 geborene und bei der beklagten Krankenkasse versicherte Kläger unterzog sich 2013 zur Behandlung einer Darmkrebserkrankung einer Chemotherapie. Nachfolgend wurde eine Versorgung mit Zahnersatz erforderlich, für die die Beklagte einen Festzuschuss iH von 1052,30 Euro bewilligte (Bescheid vom 6.10.2014). Mit seinem auf Erstattung weiterer Kosten der Behandlung iH von 3991,31 Euro nebst Zinsen gerichteten Begehren hatte der Kläger bei der Beklagten und in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Das LSG hat zur Begründung ausgeführt: § 55 SGB V regele die Ansprüche bei Versorgung mit Zahnersatz abschließend. Ein weitergehender Anspruch könne auch nicht aus dem "Aufopferungsgedanken" hergeleitet werden. Die Chemo- bzw Strahlentherapie stelle keinen hoheitlichen Eingriff dar, da für diese keine zwingenden rechtlichen Vorgaben bestünden. Vielmehr habe sich beim Kläger durch die medizinische Versorgung im Rahmen der Krebstherapie das allgemeine Lebensrisiko realisiert (Urteil vom 20.7.2021).
Der Kläger wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.
II
Die Beschwerde ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung der geltend gemachten Revisionszulassungsgründe der Divergenz (dazu 1.) und der grundsätzlichen Bedeutung (dazu 2.).
1. Wer sich auf den Zulassungsgrund der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) beruft, muss entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze im Urteil des Berufungsgerichts einerseits und in einem Urteil des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG andererseits gegenüberstellen und Ausführungen dazu machen, weshalb beide miteinander unvereinbar sein sollen und das Berufungsurteil auf dieser Divergenz beruht (vgl zB BSG vom 19.9.2007 - B 1 KR 52/07 B - juris RdNr 6; BSG vom 9.5.2018 - B 1 KR 55/17 B - juris RdNr 8; zur Verfassungsmäßigkeit dieser Darlegungsanforderungen vgl BVerfG ≪Dreierausschuss≫ vom 8.9.1982 - 2 BvR 676/81 - juris RdNr 8). Erforderlich ist, dass das LSG bewusst einen abweichenden Rechtssatz aufgestellt und nicht etwa lediglich fehlerhaft das Recht angewendet hat; dies hat der Beschwerdeführer schlüssig darzulegen (vgl zB BSG vom 19.11.2019 - B 1 KR 72/18 B - juris RdNr 8). Daran fehlt es.
Der Kläger stellt den von ihm wiedergegebenen Ausführungen des BVerfG (Nichtannahmebeschluss vom 14.8.1998 - 1 BvR 897/98 - NJW 1999, 857) keinen hiervon abweichenden abstrakten Rechtssatz des LSG gegenüber. Er legt auch nicht dar, dass es sich um einen tragenden Rechtssatz des BVerfG handelte, sondern führt selbst aus, dass das BVerfG die Verfassungsbeschwerde mangels Rechtswegerschöpfung nicht zur Entscheidung angenommen hat.
2. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN; zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit dieses Maßstabs BVerfG vom 14.4.2010 - 1 BvR 2856/07 - SozR 4-1500 § 160a Nr 24 RdNr 5 ff mwN). Dem wird das Beschwerdevorbringen nicht gerecht.
a) Der Kläger formuliert auch mit Blick auf den Beschluss des BVerfG vom 14.8.1998 (1 BvR 897/98 - NJW 1999, 857) folgende Rechtsfragen:
"Ist eine zahnärztliche Behandlung einschließlich notwendig zu erbringenden Zahnersatzes als Folge einer lebensnotwendigen chemotherapeutischen Behandlung einzuordnen in § 27 Abs. 1 Ziff. 2 und 2 a SGB V, als Anspruch auf notwendige Krankenbehandlung - oder unterfällt auch diese Behandlung der Regelung des § 55 Abs. 1 Satz 1 SGB V, welcher bestimmt nur die Notwendigkeit einer zahnprothetischen Versorgung, und deren Folgen, und nicht die Notwendigkeit einer lebensrettenden ärztlichen Versorgung mit den notwendigen Folgen? Besteht für die Folgen einer lebensrettenden Krebsbehandlung durch Chemotherapie Richtlinienkompetenz des gemeinsamen Bundesausschusses der Krankenkassen als Leistungserbringer, die Erstattung dieser Krankheitsfolgen beliebig zu reduzieren? Wie ist das rechtliche Verhältnis des § 55 SGB V einerseits, § 27, 28 SGB V andererseits?",
"Ist bei einer lebensrettenden Behandlung einer Krebserkrankung die Strahlentherapie einerseits, die Chemotherapie andererseits als eine solche 'Wahlmöglichkeit' einzustufen?",
"ob die mit dem Ziel der Lebensrettung anerkannte medizinische Methode, die je nach Patient entweder eine Chemotherapie oder eine Strahlentherapie gebietet, eine solche 'von der gesetzlichen Krankenversicherung gewährte Erstbehandlung' ist, welche 'sich im Nachhinein als gesundheitsschädlich und damit als hoheitlicher Eingriff in nicht vermögenswerte Rechtsgüter darstellt'",
"ob ein solcher hoheitlicher Eingriff in diesem Sinne, keinen Spielraum belassend, auch gegeben ist, wenn der Arzt Bezug nehmend auf die persönlichen körperlichen Gegebenheiten des Patienten sich für Chemotherapie entscheidet, und nicht für Strahlentherapie, bei welcher dann in Folge auftretende Zahnschäden mit den gesamten Kosten und nicht nur mit einem Festzuschuss bezahlt worden wären.",
"wie aus sozialrechtlicher Sicht zu definieren ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes der Begriff 'Aufopferung'. Soll hier ein Verhältnis dargestellt werden zwischen Gesunden und Kranken? Zwischen Kranken und Krebskranken? Zwischen Gesunden und Krebskranken? Zwischen behandelten Krebskranken ohne Zahnschäden und behandelten Krebskranken mit Zahnschäden?".
Die Frage nach den Therapiemöglichkeiten für ein einzelnes Leiden und den darauf bezogenen krankenversicherungsrechtlichen Behandlungsanspruch stellt regelmäßig keine Rechtsfrage von "grundsätzlicher" Bedeutung dar (vgl BSG vom 7.10.2005 - B 1 KR 107/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 9 RdNr 9; BSG vom 12.2.2014 - B 1 KR 30/13 B - juris RdNr 7; BSG vom 24.1.2017 - B 1 KR 92/16 B - juris RdNr 9, jeweils mwN). Zudem muss eine Rechtsfrage regelmäßig mit "Ja" oder "Nein" beantwortet werden können (vgl BSG vom 11.11.2019 - B 1 KR 87/18 B - juris RdNr 6 mwN; BSG vom 27.1.2020 - B 8 SO 67/19 B - juris RdNr 10). Hiervon ausgehend ist es bereits fraglich, ob es sich bei den vom Kläger gestellten Fragen überhaupt um abstrakte und einer revisionsgerichtlichen Klärung zugängliche Rechtsfragen handelt. Aber selbst wenn dies der Fall sein sollte, legt er jedenfalls die Klärungsbedürftigkeit dieser Fragen nicht hinreichend dar.
Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn sie bereits höchstrichterlich entschieden ist. Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll. Eine Rechtsfrage, über die bereits höchstrichterlich entschieden worden ist, kann dennoch klärungsbedürftig sein, wenn der Rechtsprechung in nicht geringfügigem Umfang widersprochen wird und gegen sie nicht von vornherein abwegige Einwendungen vorgebracht werden, was im Rahmen der Beschwerdebegründung ebenfalls darzulegen ist (vgl BSG vom 22.2.2017 - B 1 KR 73/16 B - juris RdNr 8 mwN; vgl zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit eines entsprechenden Maßstabs BVerfG ≪Kammer≫ vom 12.9.1991 - 1 BvR 765/91 - SozR 3-1500 § 160a Nr 6 S 10 f = juris RdNr 4). Diesen Anforderungen entspricht die Beschwerdebegründung nicht.
Das BSG hat in einem Verfahren, in dem die dortige Klägerin geltend gemacht hatte, die Erkrankung der Zähne sei Folge einer Chemotherapie und Bestrahlung wegen eines Mammakarzinoms, einen die Regelversorgung übersteigenden Anspruch auf Zahnersatz verneint und zur Begründung ausgeführt, dass die gesetzlichen Regelungen des § 55 Abs 2 SGB V und des § 55 Abs 3 SGB V maximal Leistungen bis zur Höhe der Regelleistungen zulassen. Die unter dem Gesichtspunkt der Aufopferung aus verfassungsrechtlichen Gründen im engen Ausnahmefall gebotene Verschaffung von Heilbehandlungsmaßnahmen wird durch die Versorgung mit Regelleistungen für Zahnersatz gewährleistet (BSG vom 27.8.2019 - B 1 KR 9/19 R - BSGE 129, 62 = SozR 4-2500 § 13 Nr 49, RdNr 19 ff, 30 f). Das BSG hat ferner entschieden, dass die Regelungen über die Versorgung der Versicherten mit Zahnersatz nicht gegen Grundrechte Versicherter verstoßen, insbesondere nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG(vgl BSG, aaO, RdNr 20 ff; BSG vom 7.5.2013 - B 1 KR 5/12 R - SozR 4-2500 § 55 Nr 2 RdNr 43 ff; BSG vom 2.9.2014 - B 1 KR 12/13 R - juris RdNr 16 ff) .
Inwiefern vor dem Hintergrund dieser auch vom LSG zitierten Rspr des BSG hinsichtlich der von ihm formulierten Fragen noch ein rechtlicher Klärungsbedarf bestehen sollte, legt der Kläger nicht schlüssig dar. Seine Fragen zielen im Kern auf eine Entscheidung ab, dass schon bei einer medizinisch gebotenen, aber nicht leistungs(erbringungs)rechtlich alternativlosen Behandlung aufgrund verfassungskonformer Auslegung ein Anspruch auf Leistungen bestehe, wenn sich aus der medizinisch gebotenen, lege artis durchgeführten Behandlung gesundheitliche Belastungen ergäben, deren Bewältigung ansonsten als Eigenbeteiligung der Eigenvorsorge der Versicherten zugewiesen seien. Der erkennende Senat hat mit Urteil vom 27.8.2019 (B 1 KR 9/19 R - BSGE 129, 62 = SozR 4-2500 § 13 Nr 49, RdNr 30) entschieden, dass eine verfassungskonforme Leistungsausweitung trotz gesetzlich geregelter Eigenbeteiligung überhaupt nur unter folgender Bedingung in Betracht kommt: der Arzt - hier das onkologisch behandelnde Krankenhaus - muss bei Einhaltung der Regeln der ärztlichen Kunst verpflichtet sein, eine Vorgabe des Leistungs- oder des Leistungserbringungsrechts des SGB V zu beachten, die ihm hinsichtlich der anzuwendenden Untersuchungs- und Behandlungsmethode keinen Spielraum lässt. Dadurch muss es ursächlich zu einer (weiteren) Gesundheitsschädigung gekommen sein. Mit dieser Rechtsprechung, die in Einklang mit einem obiter dictum einer Kammerentscheidung des BVerfG vom 14.8.1998 (1 BvR 897/98 - NJW 1999, 857) steht, setzt sich der Kläger nicht auseinander.
b) Der Kläger formuliert im Zusammenhang mit der Anerkennung einer Ausnahme von der Begrenzung auf den Festzuschuss bei Zahnschäden durch eine Strahlentherapie, nicht aber durch eine Chemotherapie weiter folgende Rechtsfrage:
"ob in dieser Gegebenheit durch eine solche Vorgehensweise der Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG verletzt ist".
Hierbei handelt es sich schon nicht um eine abstrakte Rechtsfrage, sondern um die Frage nach der richtigen Anwendung des Rechts in dem vorliegenden Einzelfall. Überdies fehlt es auch insoweit an Darlegungen zur Klärungsbedürftigkeit (dazu 2. a).
3. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Schlegel Scholz Bockholdt
Fundstellen
Dokument-Index HI15116902 |