Entscheidungsstichwort (Thema)

Örtliche Zuständigkeit. Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses

 

Leitsatz (amtlich)

Gegen die Übernahme einer nach SGG § 98 Abs 1 verwiesenen Sache kann sich das Gericht, an das die Sache verwiesen worden ist, auch bei Fehlerhaftigkeit des Verweisungsbeschlusses nicht mit dem Antrag auf Bestimmung des zuständigen Gerichts gemäß SGG § 58 Abs 1 Nr 4 wehren.

 

Normenkette

SGG § 58 Abs 1 Nr 4 Fassung: 1953-09-03, § 98 Abs 1 Fassung: 1953-09-03

 

Gründe

Die Klägerin ist die geschiedene Ehefrau des am 21. November 1976 verstorbenen K S (im folgenden: Versicherter). Der Versicherte war in neuer Ehe mit der am 28. Januar 1978 ebenfalls verstorbenen A S verheiratet. Diese wohnte zunächst in R. Vom 8. November 1977 bis zu ihrem Tode hatte sie dort nur noch einen Nebenwohnsitz und in M ihren Hauptwohnsitz.

Mit Bescheid vom 5. August 1977 lehnte die Beklagte einen Antrag der Klägerin auf Gewährung einer sogen. "Geschiedenen-Witwenrente" ab. Wegen dieses Bescheides erhob die Klägerin Klage zum Sozialgericht (SG) Dortmund. Auf die Mitteilung des SG, daß die Witwe des Versicherten ihren Wohnsitz im Bereich des SG Stuttgart habe und deswegen dieses nach § 57 Abs 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) für die Klage örtlich zuständig sei, erwiderte die Klägerin, sie stelle keinen Antrag auf Verweisung des Rechtsstreits. Das SG Dortmund beraumte daraufhin Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 7. März 1978 an. Die Beteiligten wurden nicht geladen. Mit dem ohne mündliche Verhandlung ergangenen Beschluß vom 7. März 1978 erklärte sich das SG Dortmund für örtlich unzuständig und verwies den Rechtsstreit an das SG Stuttgart. Auf dessen Mitteilung, daß die Witwe des Versicherten bereits am 28. Januar 1978 verstorben sei und zuletzt auch nicht im Bezirk des SG Stuttgart gewohnt habe, hob das SG Dortmund durch Beschluß vom 15. November 1978 denjenigen vom 7. März 1978 auf und erklärte sich für zuständig. Mit Schreiben vom 7. Mai 1979 übersandte es die Akten erneut dem SG Stuttgart, weil der Beschluß vom 15. November 1978 unwirksam und somit das SG Stuttgart zuständig geblieben sei. Dieses hat daraufhin das Bundessozialgericht (BSG) zur Bestimmung des zuständigen Gerichts angerufen.

Die Anrufung des BSG zur Bestimmung des für den Rechtsstreit örtlich zuständigen SG ist unzulässig.

Nach § 58 Abs 1 Nr 4 SGG wird das zuständige Gericht innerhalb der Sozialgerichtsbarkeit durch das gemeinsame nächsthöhere Gericht bestimmt, wenn verschiedene Gerichte, von denen eines für den Rechtsstreit zuständig ist, sich rechtskräftig für unzuständig erklärt haben.

Das BSG ist das gemeinsame nächsthöhere Gericht im Sinne dieser Vorschrift. Die SGe Dortmund und Stuttgart sind in verschiedenen Bundesländern belegen. Ein Landessozialgericht kommt damit als "gemeinsames nächsthöheres Gericht" zur Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit nicht in Betracht.

Die Voraussetzungen des § 58 Abs 1 Nr 4 SGG sind nicht erfüllt. Dabei kann auf sich beruhen, welche Bedeutung dem Umstand zukommt, daß - durch den Verweisungsbeschluß vom 7. März 1978 (vgl BSGE 7, 213, 214 = SozR Nr 2 zu § 98 SGG LS) - bisher lediglich das SG Dortmund, nicht aber das SG Stuttgart sich rechtskräftig für örtlich unzuständig erklärt hat. Die Anrufung des BSG zur Feststellung der Zuständigkeit ist jedenfalls aus einem anderen Grunde unzulässig.

Das SG Dortmund hat den Rechtsstreit gemäß § 98 Abs 1 SGG an das SG Stuttgart verwiesen. Sein Beschluß vom 7. März 1978 ist unanfechtbar und sowohl für das SG Stuttgart bindend (§ 98 Abs 2 SGG) als auch durch das verweisende SG Dortmund nicht mehr abänderbar (vgl Peters-Sautter-Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, 4. Aufl, § 98, Anm 2, S II/61-23). Allerdings weist der Beschluß offenkundige und gravierende Fehler auf. Die Klägerin hatte eine Verweisung ausdrücklich nicht beantragt. Der Vorsitzende des SG Dortmund hat zur Entscheidung einen Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt, zugleich aber unter flagranter Verletzung des § 110 Abs 1 SGG verfügt, daß die Beteiligten von dem Termin nicht zu benachrichtigen seien. Unter Aufgabe der von ihm selbst gewählten Verfahrensgesetzlichkeit ohne sachlich erkennbare Gründe (vgl zu diesem Gesichtspunkt Urteil des Senats von 28. Juni 1979 - 1 RA 57/78 -; insoweit in SozR 1500 § 117 Nr 2 nicht abgedruckt) hat das SG sodann doch ohne mündliche Verhandlung entschieden. Diese schwerwiegenden Fehler stehen jedoch der Wirksamkeit des Verweisungsbeschlusses nicht entgegen. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG soll die Unanfechtbarkeit der Verweisungsentscheidung gemäß § 98 Abs 2 SGG der Prozeßökonomie und dem Interesse der Beteiligten an einer alsbaldigen Sachentscheidung ohne Verzögerung durch langwierige Streitigkeiten um die örtliche Zuständigkeit dienen. Demgemäß darf die Verweisungsentscheidung weder von dem Gericht, an das die Sache verwiesen worden ist, in Zweifel gezogen noch von dem verweisenden Gericht oder den übergeordneten Instanzen geändert werden. Das gilt selbst dann, wenn der Verweisungsbeschluß sachlich unrichtig oder unter Verletzung von Verfahrensvorschriften zustandegekommen ist (BSGE 2, 63, 65 = SozR Nr 1 zu § 98 SGG LS; BSGE 7, 213, 214 = SozR Nr 2 zu § 98 SGG LS; BSG SozR Nr 4 zu § 98 SGG; BSGE 10, 230, 232 = SozR Nr 5 zu § 98 SGG LS). Etwas anderes kann allenfalls dann gelten, wenn das Verfahren des verweisenden Gerichts extreme Fehler aufweist oder die Verweisungsentscheidung willkürlich ist (vgl jeweils mit weiteren Nachweisen BGHZ 71, 69, 72 = NJW 1978, 1163, 1164; BVerwG Buchholz 310 § 83 VwGO Nr 10 S 5 = DVBl 1979, 818). Dies kann von dem Verweisungsbeschluß des SG Dortmund vom 7. März 1978 trotz der ihm anhaftenden schweren Fehler nicht gesagt werden.

Die demnach bestehende Unanfechtbarkeit des Beschlusses vom 7. März 1978 bedeutet zunächst, daß das SG Dortmund selbst daran gebunden und somit sein nachträglicher Aufhebungsbeschluß vom 15. November 1978 rechtsunwirksam ist. Sie bedeutet weiter, daß auch das SG Stuttgart seine örtliche Zuständigkeit nicht in Zweifel ziehen darf. Das hat ua zur Folge, daß es sich gegen die Übernahme der Sache nicht durch einen Antrag auf Bestimmung des zuständigen Gerichts gemäß § 58 Abs 1 Nr 4 SGG wehren darf (Peters-Sautter-Wolff, aaO). Eine hierauf gerichtete Anrufung des gemeinsamen nächsthöheren Gerichtes ist unzulässig.

Das SG Stuttgart wird nunmehr unter Annahme seiner örtlichen Zuständigkeit in der Sache selbst zu entscheiden haben.

 

Fundstellen

Breith. 1981, 178

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