Verfahrensgang

SG Berlin (Entscheidung vom 11.01.2022; Aktenzeichen S 4 R 2651/19)

LSG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 22.12.2022; Aktenzeichen L 17 R 57/22 E)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 22. Dezember 2022 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.

 

Gründe

I

Die 1962 geborene Klägerin begehrt eine Rente wegen Erwerbsminderung.

Die Beklagte lehnte ihren Rentenantrag vom 8.1.2019 nach Einholung eines Gutachtens beim Allgemeinmediziner W vom 16.5.2019 ab. Die Klägerin sei zwar seit dem 10.3.2014 dauerhaft voll erwerbsgemindert, erfülle jedoch bezogen auf diesen Leistungsfall nicht die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen einer Erwerbsminderungsrente (Bescheid vom 5.7.2019; Widerspruchsbescheid vom 25.10.2019). Das SG hat die Klage abgewiesen, nachdem es von Amts wegen ein Gutachten beim Allgemeinmediziner B1 vom 10.5.2021 eingeholt hatte (Gerichtsbescheid vom 11.1.2022). Das LSG hat im dagegen von der Klägerin angestrengten Berufungsverfahren von Amts wegen eine ergänzende Stellungnahme beim Sachverständigen B1 vom 20.6.2022 und ein Gutachten beim Chirurgen und Sozialmediziner B2 vom 30.9.2022 nebst ergänzender Stellungnahme vom 20.10.2022 und 9.12.2022 eingeholt. Mit Urteil vom 22.12.2022 hat es die Berufung zurückgewiesen. Die Klägerin könne zumindest leichte körperliche Arbeiten mit qualitativen Leistungseinschränkungen für die Dauer von arbeitstäglich mindestens sechs Stunden verrichten. Die Beklagte habe mit dem ablehnenden Rentenbescheid auch nicht den Eintritt eines Versicherungsfalls verbindlich festgestellt.

Die Klägerin hat gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung Beschwerde zum BSG eingelegt, die sie mit Schriftsatz vom 14.3.2023 begründet hat.

II

1. Die Beschwerde der Klägerin ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG zu verwerfen. Der geltend gemachte Verfahrensmangel ist nicht anforderungsgerecht bezeichnet.

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde damit begründet, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), müssen zur Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) zunächst die den Verfahrensfehler (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist es erforderlich darzulegen, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Die Beschwerdebegründung wird den daraus abgeleiteten Anforderungen nicht gerecht.

Die Klägerin rügt, das LSG habe seine Pflicht zur Ermittlung des Sachverhalts von Amts wegen (§ 103 Satz 1 Halbsatz 1 SGG) verletzt, indem es von der Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens abgesehen habe. Wird eine solche Sachaufklärungsrüge erhoben, muss die Beschwerdebegründung ua einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren prozessordnungsgemäßen, bis zuletzt aufrechterhaltenen Beweisantrag bezeichnen, dem das Berufungsgericht nicht gefolgt ist (stRspr; vgl hierzu und zu den weiteren Anforderungen zB BSG Beschluss vom 14.4.2020 - B 5 RS 13/19 B - juris RdNr 11). Das ist mit der Beschwerde nicht dargetan.

Die Klägerin trägt vor, sie habe einen Beweisantrag gestellt, indem sie im Schriftsatz vom 1.11.2022 ihre Bedenken gegenüber den vorliegenden Gutachten wiederholt und formuliert habe, "(d)arüber hinaus wird in diesem Verfahren beantragt, einen Sachverständigen (nur) mit der Feststellung der Wegefähigkeit der Klägerin zu beauftragen". Unmittelbar vor der mündlichen Verhandlung habe sie mit Schriftsatz vom 19.12.2022 auf "die Anregung vom 01.11.2022" verwiesen und eine Terminverlegung angeregt. Im Termin vom 22.12.2022 habe sie erneut beschrieben, inwiefern die Ausführungen des Sachverständigen B1 nicht zuträfen. Die Klägerin gibt zudem ihre Ausführungen in ihren Schriftsätzen vom 1.11.2022, 18.5.2022, 25.7.2022 und 19.12.2022 wieder, in denen sie sich mit den gutachtlichen Einschätzungen der Sachverständigen B2 und B1 insbesondere zur Wegefähigkeit auseinandersetzt. Damit ist schon nicht hinreichend dargetan, dass die Klägerin mit ihrem Vorbringen gegenüber dem LSG, von ihr zuletzt selbst als "Anregung" bezeichnet, einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag gestellt hat. Hierfür wäre aufzuzeigen gewesen, über welche im Einzelnen bezeichneten Punkte (vgl § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 403 bzw § 373 ZPO) und mit welchem Ziel im Berufungsverfahren Beweis erhoben werden sollte und dass es sich ihrem Inhalt nach nicht um bloße Beweisanregungen gehandelt habe (vgl zB BSG Beschluss vom 26.11.2019 - B 13 R 159/18 B - juris RdNr 8 mwN). Liegen wie hier bereits mehrere Gutachten zum verbliebenen Leistungsvermögen vor, bedarf es zudem besonderer Angaben, weshalb die Einholung eines weiteren Gutachtens erforderlich sein soll (vgl hierzu zB BSG Beschluss vom 26.10.2022 - B 5 R 105/22 B - juris RdNr 10 mwN).

Ungeachtet dessen zeigt die Beschwerde nicht auf, dass die Klägerin bis zuletzt an dem behaupteten Antrag festgehalten habe. Wird wie hier aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden, ist das dann der Fall, wenn ein anwaltlich vertretener Beteiligter wie die Klägerin den Beweisantrag bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung durch entsprechenden Hinweis zu Protokoll aufrechterhält oder das Gericht den Beweisantrag in seiner Entscheidung wiedergibt (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 13.10.2020 - B 12 KR 8/20 B - juris RdNr 23; vgl auch Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 160 RdNr 18c mwN). Die Klägerin behauptet selbst nicht, dass hier eines davon erfolgt sei. Ihr Hinweis auf die Beschwerdeschilderung in der mündlichen Verhandlung vermag die Darlegung eines bis zuletzt aufrechterhaltenen Beweisantrags nicht zu ersetzen. Durch eine bloße Beschwerdeschilderung würde ein Beteiligter dem Tatsachengericht nicht unmittelbar vor der Entscheidung ausreichend deutlich signalisieren, dass die gerichtliche Aufklärungspflicht (weiterhin) für defizitär gehalten wird (vgl zu dieser Warnfunktion des aufrechterhaltenen Beweisantrags zB BSG Beschluss vom 10.3.2023 - B 9 SB 43/22 B - juris RdNr 6 mwN). Gleiches gilt, soweit die Klägerin auf ihre inhaltliche Auseinandersetzung mit den vorliegenden Gutachten im Termin verweist.

Indem die Klägerin ausführlich zu der nach ihrem Dafürhalten aufgehobenen Wegefähigkeit vorträgt, wendet sie sich gegen die vom LSG vorgenommene Auswertung und Würdigung der aktenkundigen medizinischen Befundberichte und Sachverständigengutachten. Die Richtigkeit der Beweiswürdigung der Vorinstanz (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) kann im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde jedoch von vornherein nicht überprüft werden (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG).

Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und 4 SGG.

Düring

Körner

Hannes

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15741791

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