Entscheidungsstichwort (Thema)
Wesentliche Mitursache
Leitsatz (amtlich)
Bei einer Selbsttötung im Wehrdienst erfaßt SGG § 162 Abs 1 NR 3 nur eine Gesetzesverletzung bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen einer Schädigung und einer krankhaften Beeinträchtigung der freien Willensbestimmung sowie der Selbsttötung, nicht dagegen die Frage, ob die Umstände, die die krankhafte Beeinträchtigung der freien Willensbestimmung bewirkt haben, unter KBLG WB § 1 Abs 1 fallen.
Leitsatz (redaktionell)
Die Revision wendet sich gegen die Feststellung eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen wehrdiensteigentümlichen Verhältnissen bzw unmittelbarer Kriegseinwirkung und der vom LSG angenommenen Beeinträchtigung der freien Willensbestimmung des Verstorbenen bei der Selbsttötung. Eine Gesetzesverletzung iS des SGG § 162 Abs 1 Nr 3, dh eine Verletzung der auf dem Gebiet der KOV geltenden Kausalitätsnorm liegt nicht vor (vgl BSG vom 1955-10-20 10 RV 50/54 = BSGE 1, 268). Nach dieser ist aus der Vielzahl der Bedingungen im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinn nur diejenige Bedingung ursächlich im Rechtssinn, die im Verhältnis zu anderen Einzelbedingungen wesentlich zum Erfolg mitgewirkt hat. Haben mehrere Umstände zum Erfolg beigetragen, so sind diejenigen nebeneinander stehende, wesentliche Mitursachen im Rechtssinn, die in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Erfolg annähernd gleichwertig sind. Es ist nicht erforderlich, daß die versorgungsrechtlich bedeutsame Einwirkung für sich allein wesentliche Ursache ist, es genügt, wenn sie neben anderen wesentlichen Ursachen eine gleichwertige, ebenfalls wesentliche Ursache darstellt (vgl BSG vom 1955-06-10 10 RV 390/54 = BSGE 1, 72, 76 und BSG vom 1955-07-14 8 RV 177/54 = BSGE 1, 150, 157).
Normenkette
SGG § 162 Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1953-09-03; KBLG WB § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 3
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 10. Dezember 1954 wird als unzulässig verworfen.
Die Beklagte hat den Klägern die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Da sie nicht zugelassen ist, findet sie nur statt, wenn ein wesentlicher Mangel im Verfahren des Landessozialgerichts (LSG.) gerügt wird, der auch vorliegt, oder wenn das Gesetz bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs des Todes mit einer Schädigung im Sinn des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) verletzt ist (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 und 3 Sozialgerichtsgesetz -SGG-, BSG. 1 S. 150 und 254). An die Stelle des BVG tritt hier das Körperbeschädigtenleistungsgesetz -KBLG- (BSG. 1 S. 41 [43]).
Die Revision rügt eine Verletzung der §§ 1, 2 Abs. 3 des KBLG, § 10 der 1. DurchfVO und § 11 der 3. DurchfVO zum KBLG. Sie wendet sich gegen die Feststellung eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen wehrdiensteigentümlichen Verhältnissen bzw. unmittelbarer Kriegseinwirkung und der vom LSG. angenommenen Beeinträchtigung der freien Willensbestimmung des Verstorbenen bei der Selbsttötung. Eine Gesetzesverletzung im Sinn des § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG, d.h. eine Verletzung der auf dem Gebiet der Kriegsopferversorgung geltenden Kausalitätsnorm liegt nicht vor (BSG. 1 S. 268). Nach dieser ist aus der Vielzahl der Bedingungen im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinn nur diejenige Bedingung ursächlich im Rechtssinn, die im Verhältnis zu anderen Einzelbedingungen wesentlich zum Erfolg mitgewirkt hat. Haben mehrere Umstände zum Erfolg beigetragen, so sind diejenigen nebeneinander stehende, wesentliche Mitursachen im Rechtssinn, die in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Erfolg annähernd gleichwertig sind. Es ist nicht erforderlich, daß die versorgungsrechtlich bedeutsame Einwirkung für sich allein wesentliche Ursache ist, es genügt, wenn sie neben anderen wesentlichen Ursachen eine gleichwertige, ebenfalls wesentliche Ursache darstellt (vgl. BSG. 1 S. 72 [76], 150 [157]).
Das LSG. hat verschiedene Umstände als Ursachen für die Beeinträchtigung der freien Willensbestimmung des Verstorbenen angesehen, wie Erlebnisse des Rückzugs, Aussichtslosigkeit der militärischen Lage, Unsicherheit der eigenen Zukunft, Bombentod von Bekannten, Sorgen wegen des unvorsichtigen Briefes, gesundheitliche Beschwerden durch ein Magenleiden. Die Feststellung dieser Umstände ist eine Tatsachenfeststellung und für das Bundessozialgericht bindend (§ 163 SGG).
Die Frage, ob das LSG. diese Umstände zu Recht oder zu Unrecht als Einwirkungen im Sinn des § 1 KBLG angesehen hat, wird nicht von § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG erfaßt. Diese Vorschrift betrifft in Streitsachen der Kriegsopferversorgung nicht den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem militärischen Dienst und den schädigenden Einwirkungen (BSG. vom 12.5.1958 in SozR. SGG § 162 Da 27 Nr. 96).
Das LSG. hat die von ihm festgestellten Einwirkungen als untereinander gleichwertig für die Beeinträchtigung der freien Willensbestimmung angesehen und sie zusammen für wesentlich im Sinn der Kausalitätsnorm erachtet. Dies ergibt sich aus seiner Annahme, daß für die krankhafte Störung der Geistestätigkeit ausschließlich die Kriegsereignisse verantwortlich seien. Hierbei ist eine Verkennung der für die Feststellung der wesentlichen Ursache anzuwendenden Kausalitätsnorm nicht erkennbar. Das LSG. hat weitere Umstände, die es nicht auf den Wehrdienst zurückgeführt hätte (§ 1 KBLG), nicht als Ursachen im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinn festgestellt. Es kann deshalb auch nicht das Gesetz im Sinn des § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG verletzt haben, indem es etwa beim Vergleichen und Abwägen von kriegsbedingten und anderen Ursachen im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinn den Begriff der wesentlichen Ursache überhaupt verkannt oder die wesentliche Ursache im Rechtssinn nicht nach der Auffassung des praktischen Lebens aus der Zahl der Ursachen im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinn abgeleitet hätte (BSG. 1 S. 76). Eine Gesetzesverletzung im Sinn des § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG ist somit insoweit nicht gegeben.
Das gleiche gilt für die Rüge der Revision, das LSG. habe zu Unrecht private Umstände im Leben des Verstorbenen, wie die Unsicherheit der eigenen Zukunft, den Tod zweier guter Bekannten usw., als Ursachen für die Selbsttötung angesehen, obwohl diese Umstände nicht wehrdiensteigentümlich seien und auch keine unmittelbare Kriegseinwirkung darstellten. Die Revision behauptet damit Verletzung des Gesetzes bei der Entscheidung, welche Umstände als dem Wehrdienst eigentümliche Verhältnisse im Sinn des § 1 KBLG zu gelten haben, nicht eine - nach § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG allein im Revisionsverfahren nachprüfbare - Verletzung des Gesetzes bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs (BSG. 1 S. 268) zwischen einer Schädigung (schädigende Einwirkung) und der Gesundheitsstörung (krankhafte Beeinträchtigung der freien Willensbestimmung) sowie der Selbsttötung.
Im weiteren Vorbringen der Revision, das LSG. habe aus den Ermittlungen, insbesondere aus der Aussage des Zeugen W... zu Unrecht gefolgert, der Verstorbene sei außergewöhnlichen Belastungen ausgesetzt gewesen, die nicht auch jeden anderen Soldaten der Kompanie betroffen hätten, könnte eine das Verfahren betreffende Rüge der Beweiswürdigung durch das LSG. gesehen werden (§§ 128, 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG). Eine Überschreitung der gesetzlichen Grenzen des Rechts der freien Beweiswürdigung nach § 128 SGG, etwa durch Verstoß gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze, liegt jedoch nicht vor. Soweit die Revision das Ergebnis der Beweiswürdigung selbst angreift, macht sie keinen Verfahrensmangel geltend, sondern wendet sich gegen den sachlichen Inhalt des Urteils (BSG. 2 S. 236). Dieses Vorbringen muß im Rahmen der Verfahrensrüge unbeachtet bleiben. Die Revision ist daher auch nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG nicht statthaft, weil kein wesentlicher Verfahrensmangel des LSG. vorliegt (BSG. 1 S. 150).
Die Revision war somit als unzulässig nach § 169 SGG zu verwerfen.
Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen