Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Krankenhausvergütung. objektive Beweislast des Krankenhauses hinsichtlich der tatbestandlichen Voraussetzungen einer abgerechneten Fallpauschale. textliche Bezeichnung einer DRG kein subsumtionsfähiger Vergütungstatbestand
Orientierungssatz
1. Sofern sich nach Ausschöpfen der gebotenen Aufklärung durch das Tatsachengericht die tatbestandlichen Voraussetzungen einer abgerechneten Fallpauschale nicht feststellen lassen, trägt das Krankenhaus grundsätzlich dafür die objektive Beweislast (vgl BSG vom 17.12.2020 - B 1 KR 13/20 R = KRS 2021, 212 = juris RdNr 21 und vom 14.10.2014 - B 1 KR 27/13 R = BSGE 117, 82 = SozR 4-2500 § 109 Nr 40, RdNr 17 f).
2. Die textliche Bezeichnung einer DRG beschreibt lediglich die verschlüsselte Position, umreißt aber keinen einer Auslegung als Basis und Ausgangspunkt zugrunde zu legenden subsumtionsfähigen Vergütungstatbestand (vgl BSG vom 8.11.2011 - B 1 KR 8/11 R = BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2, RdNr 19).
Normenkette
SGB V § 109 Abs. 4 S. 3; KHG § 17b; KHEntgG § 7 Abs. 1, § 9 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 20. Juli 2020 wird als unzulässig verworfen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5983,49 Euro festgesetzt.
Gründe
I. Das klagende Krankenhaus (im Folgenden: Krankenhaus) behandelte den bei der beklagten Krankenkasse (im Folgenden: KK) versicherten R. J. (im Folgenden: Versicherter) vom 14.5. bis 10.7.2010 stationär. Der an Diabetes mellitus leidende Versicherte wurde wegen einer infizierten Nekrose am linken Fuß bei zahlreichen diabetischen Komplikationen stationär aufgenommen und mehrfach operiert. Zuletzt erfolgte eine Amputation des linken Unterschenkels. Das Krankenhaus berechnete der KK unter Kodierung von ICD-10-GM I70.24 (Atherosklerose der Extremitätenarterien, Becken-Bein-Typ, mit Gangrän) als Hauptdiagnose die Fallpauschale Diagnosis Related Group (DRG) F28A. Der von der KK mit der Prüfung beauftragte Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) sah die Behandlung als erforderlich an, meinte jedoch, als Hauptdiagnose sei ICD-10-GM E11.75 (Nicht primär insulinabhängiger Diabetes mellitus [Typ-2-Diabetes], Mit multiplen Komplikationen, Mit diabetischem Fußsyndrom, als entgleist bezeichnet) zu kodieren. Hierdurch werde die geringer vergütete DRG K01C angesteuert (Verschiedene Eingriffe bei Diabetes mellitus mit Komplikationen, ohne Frührehabilitation, ohne geriatrische frührehabilitative Komplexbehandlung, ohne Gefäßeingriff, mit äußerst schweren CC oder komplexer Arthrodese des Fußes). Die KK verrechnete sodann den Differenzbetrag zwischen DRG F28A und DRG K01C mit unstreitigen Forderungen. Im Kern geht es bei der vom Krankenhaus erhobenen Leistungsklage um die Frage, ob die beim Versicherten zur Amputation führenden Gefäßveränderungen auf einer nicht oder nicht wesentlich durch den Diabetes mellitus bedingten peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK) beruhten und deshalb ICD-10-GM I70.24 als Hauptdiagnose zu kodieren sei. Das SG hat nach Einholung eines die Auffassung des MDK und der KK stützenden gerichtlichen Sachverständigengutachtens gleichwohl die KK zur Zahlung von 5983,49 Euro nebst Zinsen verurteilt. Auf deren Berufung hat das LSG das SG-Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es sei nicht erwiesen, dass eine nicht durch den Diabetes mellitus des Versicherten (mit-)verursachte pAVK hauptsächlich für den stationären Krankenhausaufenthalt des Versicherten verantwortlich gewesen sei. Die Beweislast für die Nichterweislichkeit der Voraussetzungen, ICD-10-GM I70.24 als Hauptdiagnose zu kodieren, trage das Krankenhaus. Danach sei der Diabetes mellitus als Haupt- und nicht als Nebendiagnose zu berücksichtigen. Dies folge aus der Anwendung der Deutschen Kodierrichtlinie (DKR) D002f sowie den speziellen DKR für Endokrine, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten (Urteil vom 20.7.2020).
Die Klägerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.
II. Die Beschwerde ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung des allein geltend gemachten Revisionszulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung.
1. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG vom 26.5.2020 - B 1 KR 14/19 B - juris RdNr 4 mwN; zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit dieses Maßstabs BVerfG vom 14.4.2010 - 1 BvR 2856/07 - SozR 4-1500 § 160a Nr 24 RdNr 5 f mwN). Ungeachtet der besonderen Darlegungsanforderungen bei DRG-Vergütungsregelungen (vgl BSG vom 19.7.2012 - B 1 KR 65/11 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 32) wird das Beschwerdevorbringen auch den allgemeinen Darlegungsanforderungen nicht gerecht.
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Das Krankenhaus formuliert drei Fragen, denen es grundsätzliche Bedeutung beimisst: |
1. "Muss ein Krankenhaus eine weitergehende Diagnostik hinsichtlich aller infrage kommender Beschwerdeursachen durchführen, obwohl eine die Symptomatik erklärende Krankheitsursache bereits positiv identifiziert wurde?" 2. "Kann eine tatsächlich erbrachte Behandlung durch Abrechnung einer anderslautenden DRG kodiertechnisch korrekt abgebildet werden?" 3. "Sind die in den Kodierrichtlinie(n) aufgeführten Beispiele streng nach dem dortigen Wortlaut anzuwenden oder geben diese lediglich ein zu beachtendes Grundsystem vor?" |
a) Das Krankenhaus zeigt nicht die Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) der ersten Rechtsfrage auf. Diese Rechtsfrage setzt voraus, dass "eine die Symptomatik erklärende Krankheitsursache bereits positiv identifiziert wurde". Dabei meint das Krankenhaus, dass "eindeutig die pAVK Ursache der Symptomatik gewesen" sei.
Das LSG hat hierzu festgestellt: Die während der Behandlung des Versicherten dokumentierten klinischen Befunde ließen es nicht zu, die Nekrosen nicht dem diabetischen Fußsyndrom, sondern der pAVK als Ursache exakt zuzuordnen. Dies habe der gerichtliche Sachverständige in seiner Stellungnahme vom 15.2.2016 betont. Auch der MDK habe in seiner Stellungnahme vom 24.10.2017 bestätigt, dass die Anamnese und Befunderhebung unzureichend sei. Dies gehe nach allgemeinen Grundsätzen zu Lasten des beweispflichtigen Krankenhauses.
Das dagegen gerichtete Vorbringen des Krankenhauses befasst sich ausschließlich damit, dass diese Feststellungen unzutreffend seien. Insoweit hat das Krankenhaus diese Feststellungen jedoch selbst dann nicht mit zulässigen Verfahrensrügen angegriffen, wenn in seinem Vorbringen auch eine Verfahrensrüge enthalten sein sollte. Das Krankenhaus greift die Beweiswürdigung des LSG an. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG kann eine Verfahrensrüge jedoch nicht auf eine Verletzung von § 128 Abs 1 Satz 1 SGG gestützt werden.
Das Krankenhaus legt hinsichtlich der Beweislastverteilung auch nicht dar, dass sich die aufgeworfene Frage nicht anhand der bisherigen Rspr des BSG beantworten lässt. Der erkennende Senat hat entschieden, dass, sofern sich nach Ausschöpfen der gebotenen Aufklärung durch das Tatsachengericht die tatbestandlichen Voraussetzungen der abgerechneten Fallpauschale nicht feststellen lassen, das Krankenhaus grundsätzlich dafür die objektive Beweislast trägt (vgl zB BSG vom 17.12.2020 - B 1 KR 13/20 R - juris RdNr 21; BSG vom 14.10.2014 - B 1 KR 27/13 R - BSGE 117, 82 = SozR 4-2500 § 109 Nr 40, RdNr 17 f; zum Beweislastwechsel beim Erstattungsanspruch und zu Rückausnahmen vgl nur BSG vom 30.6.2009 - B 1 KR 24/08 R - BSGE 104, 15 = SozR 4-2500 § 109 Nr 17, RdNr 35 ff). Mit dieser Rspr setzt sich die Klägerin nicht auseinander.
b) Hinsichtlich der zweiten Frage legt das Krankenhaus die Klärungsbedürftigkeit nicht dar. Es geht davon aus, dass das Ziel der korrekten Abbildung des Behandlungsfalls nicht erreicht werden könne, wenn die Leistungsbeschreibung der DRG von der tatsächlich erbrachten Behandlung abweiche. Die vom LSG als zutreffend angesehene DRG K01C spreche in ihrer Beschreibung explizit davon, dass eine Behandlung "ohne Gefäßeingriff" erbracht worden sei, obwohl im vorliegenden Fall ein umfangreicher Gefäßeingriff stattgefunden habe.
Hierzu hat der Senat bereits entschieden, dass die textliche Bezeichnung einer DRG lediglich die verschlüsselte Position beschreibt, aber keinen einer Auslegung als Basis und Ausgangspunkt zugrunde zu legenden subsumtionsfähigen Vergütungstatbestand umreißt (vgl BSG vom 8.11.2011 - B 1 KR 8/11 R - BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2, RdNr 19). Welche DRG-Position abzurechnen ist, ergibt sich nach stRspr des Senats vielmehr rechtsverbindlich allein aus der Eingabe und Verarbeitung von Daten in einem automatischen Datenverarbeitungssystem, das auf einem zertifizierten Programm basiert. Zugelassen sind nur solche Programme, die von dem Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus GmbH zertifiziert worden sind. Das den Algorithmus enthaltende und ausführende Programm greift dabei auch auf Dateien zurück, die entweder als integrale Bestandteile des Programms mit vereinbart sind oder an anderer Stelle vereinbarte Regelungen wiedergeben. Zu letzteren gehören insbesondere die Fallpauschalenvereinbarungen selbst, aber zB auch die ICD-10-GM sowie die von den Vertragspartnern auf Bundesebene getroffene Vereinbarung zu den DKR - hier für das Jahr 2010 - (vgl BSG vom 9.4.2019 - B 1 KR 3/18 R - BSGE 128, 54 = SozR 4-1780 § 161 Nr 3, RdNr 27; zur rechtlichen Einordnung des Groupierungsvorgangs vgl BSG vom 8.11.2011, aaO, RdNr 19 ff).
Das Krankenhaus setzt sich nicht mit dieser stRspr des Senats auseinander und legt nicht dar, dass sich hieraus keine hinreichende Antwort auf die zweite Rechtsfrage ergebe. Das Krankenhaus macht insoweit auch nicht geltend, dass 2010 der Groupierungsvorgang fehlerhaft DRG K01C angesteuert habe und die ausgeführten Rechenschritte evident sinnwidrig seien, insbesondere auf gravierenden Programmierungsfehlern beruhten (vgl BSG vom 8.11.2011 - B 1 KR 8/11 R - BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2, RdNr 26).
c) Der Senat lässt offen, ob das Krankenhaus mit seiner dritten Frage eine Rechtsfrage klar formuliert hat. Jedenfalls ergibt sich aus seinem weiteren Vorbringen, dass es seine Rechtsfrage dahingehend versteht, ob aus Beispielen in den DKR Aussagen zu Kodierregeln auch dann abgeleitet werden können, wenn der streitgegenständliche Sachverhalt mit dem DKR-Beispielssachverhalt nicht völlig identisch ist.
Das Krankenhaus legt jedoch die Klärungsbedürftigkeit der Frage nicht dar. Nach stRspr des Senats sind Vergütungsregelungen stets eng nach ihrem Wortlaut und allenfalls ergänzend nach ihrem systematischen Zusammenhang auszulegen; Bewertungen und Bewertungsrelationen bleiben außer Betracht (vgl BSG vom 8.9.2009 - B 1 KR 11/09 R - SozR 4-2500 § 109 Nr 19 RdNr 17 mwN; BSG vom 8.11.2011 - B 1 KR 8/11 R - BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2, RdNr 27). Hierauf geht das Krankenhaus nicht näher ein, weil es ihm letztlich darum geht, ob sich aus dem Beispiel 7 der DKR 0401 eine allgemeine Kodierregel ableiten lässt, die den Rechtsstreit zu seinen Gunsten entscheidet.
Ungeachtet dessen, ob eine sich danach eventuell ergebende Kodierregel Gegenstand einer grundsätzlichen Rechtsfrage sein kann, formuliert das Krankenhaus insoweit bereits keine Rechtsfrage. Das Krankenhaus meint allerdings unter Hinweis auf das Beispiel 7 der DKR 0401, aus dem Umstand, dass ein Patient an einem Diabetes mellitus leide, sei nicht zwingend eine Diabetes mellitus-Diagnose als Hauptdiagnose abzuleiten. Sofern es sich dabei um eine als Aussage formulierte Rechtsfrage handeln sollte, legt das Krankenhaus deren Klärungsfähigkeit nicht dar.
Im Beispiel 7 bei DKR 0401 werden - wie die dortige Verwendung des Kreuz-Stern-Systems zeigt - nur die Diabetische Polyneuropathie und die Retinopathia diabetica als ursächliche Manifestationen des Diabetes mellitus beschrieben, nicht hingegen die im Beispiel 7 als Hauptdiagnose kodierte Atherosklerose der Extremitätenarterien. Im Beispiel 7 ist die pAVK im Sinne einer gesicherten Erkenntnis nicht durch den Diabetes Mellitus (mit-)verursacht. Das LSG hat - anders als im Beispiel 7 - seine Entscheidung gerade darauf gestützt, es stehe nicht fest, dass die Atherosklerose des Versicherten unabhängig von seinem Diabetes mellitus entstanden sei und als eigenständige Ursache die Nekrose verursacht habe (vgl 1. a). Das Krankenhaus setzt sich mit diesen Unterschieden nicht auseinander.
2. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO, diejenige über den Streitwert auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 3, § 47 Abs 1 und 3 GKG.
Estelmann Scholz Bockholdt
Fundstellen
Dokument-Index HI14813561 |