Leitsatz (amtlich)
War die Klage auf Zahlung von Übergangsgeld nur auf abgelaufene Zeiträume gerichtet und hat das SG unter Verletzung des SGG § 123 Übergangsgeld bereits für eine frühere, von dem Klageantrag nicht umfaßte Zeit zugesprochen, so ist der darin liegende wesentliche Verfahrensmangel nicht geeignet, den - nach SGG § 146 ausgeschlossenen - Berufungsrechtszug auf Grund des SGG § 150 Nr 2 auch für den Klageanspruch zu eröffnen.
Normenkette
SGG §§ 123, 146, 150 Nr. 2
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 14. Dezember 1967 wird als unzulässig verworfen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Der in der Arbeiterrentenversicherung (ArV) versicherte Kläger war vom 26. Januar 1966 bis 17. Januar 1967 in stationärer Heilbehandlung wegen aktiver Tuberkulose. Für diese Zeit gewährte ihm die beklagte Landesversicherungsanstalt Übergangsgeld, das unter Berücksichtigung von drei von ihm überwiegend unterhaltenen Familienangehörigen berechnet wurde (§ 1241 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung - RVO -). Seinen Antrag, ihm einen Zuschlag für einen weiteren Familienangehörigen - seine bei ihrer Mutter lebende uneheliche Tochter M L R - zu gewähren, lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 6. Dezember 1966 ab.
Auf die Klage hin hat das Sozialgericht (SG) Gießen die Beklagte am 12. Juni 1967 verurteilt, "an den Kläger Zuschlag zum Übergangsgeld für einen weiteren Familienangehörigen ab September 1965 zu zahlen". Einen Antrag auf Vorverlegung der Leistung von Januar 1966 auf September 1965 hatte der Kläger nicht gestellt.
Auf die - nicht zugelassene - Berufung der Beklagten hin hat das Hessische Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 14. Dezember 1967 die erstinstanzliche Entscheidung insoweit aufgehoben, als die Beklagte zur Zahlung eines Zuschlages zum Übergangsgeld an den Kläger für die Zeit vom September 1965 bis zum 25. Januar 1966 verurteilt worden ist. Im übrigen hat es die Berufung der Beklagten als unzulässig verworfen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt: Soweit die Berufung sich gegen die Verurteilung zur Leistung vom 26. Januar 1966 an richte, sei sie gemäß § 146 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) nicht statthaft, weil sie Übergangsgeld für bereits abgelaufene Zeiträume betreffe (vgl. BSG SozR Nr. 11 zu § 146 SGG); sie sei insoweit auch nicht nach § 150 Nr. 2 SGG statthaft, weil zu diesem Teil des Leistungsanspruchs ein Verfahrensmangel weder gerügt noch ersichtlich sei. - Bezüglich des davorliegenden, klar abtrennbaren Anspruchs leide das erstinstanzliche Verfahren jedoch an einem wesentlichen, von der Beklagten vorschriftsmäßig gerügten Verfahrensmangel. Das SG habe durch die Zuerkennung einer vom Kläger nicht beantragten Leistung § 123 SGG verletzt. Insoweit sei die Berufung zulässig. Hinsichtlich dieses Teiles des Übergangsgeldes sei sie auch begründet; denn der Kläger habe sich vor dem 26. Januar 1966 nicht in der Bundesrepublik, sondern in Mitteldeutschland aufgehalten (§ 1244 a Abs. 9 RVO).
Die Beklagte hat Revision eingelegt und zur Begründung des Rechtsmittels gerügt, das LSG hätte sich nicht auf eine sachliche Nachprüfung nur eines Teiles der erstinstanzlichen Entscheidung beschränken dürfen, sondern die Berufung im ganzen als zulässig ansehen müssen.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger ist im Revisionsverfahren nicht durch einen vor dem Bundessozialgericht (BSG) zugelassenen Prozeßbevollmächtigten vertreten.
Da das LSG die Revision nicht nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG zugelassen hat, könnte sie nach Lage der Sache nur dann statthaft sein, wenn ein wesentlicher Mangel im Berufungsverfahren gerügt wäre und vorläge (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG; BSG 1, 150, 254). Das Verfahren des LSG leidet jedoch nicht an dem von der Beklagten gerügten Mangel; die Berufung ist im Ergebnis zutreffend insoweit als unzulässig verworfen worden, als sie Übergangsgeld für die Zeit vom 26. Januar 1966 bis 17. Januar 1967 betraf.
Nach § 146 SGG ist in Angelegenheiten der Rentenversicherung die Berufung ausgeschlossen, soweit sie u.a. nur die Rente für bereits abgelaufene Zeiträume betrifft. Dasselbe gilt, wie das BSG durch Urteil vom 27. September 1963 entschieden hat (SozR Nr. 11 zu § 146 SGG), wenn um Übergangsgeld für bereits abgelaufene Zeiträume gestritten wird. Ein solcher Fall liegt - dies ist unter den Beteiligten nicht streitig - hier vor; denn zur Zeit der Berufungseinlegung war die Bezugszeit des dem Kläger zugesprochenen Übergangsgeldes abgelaufen.
Ungeachtet dieses Ausschlußgrundes könnte die Berufung jedoch nach § 150 Nr. 2 SGG wegen eines von der Beklagten gerügten wesentlichen Mangels im erstinstanzlichen Verfahren statthaft gewesen sein. Einen solchen Verfahrensmangel hat das LSG mit Recht - dies ist auch die Meinung der Beteiligten - darin gesehen, daß das SG unter Verletzung des § 123 SGG dem Kläger mehr zugesprochen hat, als er beansprucht hatte, nämlich Übergangsgeld für die Zeit bereits vor Beginn der stationären Heilbehandlung. Wenn ein wesentlicher Verfahrensmangel gerügt wird - und vorliegt -, ist die Berufung in der Regel in vollem Umfang statthaft. Eine Einschränkung ergibt sich jedoch aus der Rechtsprechung des BSG zur Zulässigkeit eines Rechtsmittels bei mehreren selbständigen Ansprüchen. In solchen Fällen ist die Zulässigkeit - also auch die Statthaftigkeit - des Rechtsmittels für jeden Anspruch gesondert zu prüfen (BSG 7, 35, 39; 8, 228, 231; für den Fall einer subjektiven Klagenhäufung BSG 10, 264, 266). Bei einem nicht zugelassenen Rechtsmittel kann hiernach die Rüge eines wesentlichen Verfahrensmangels, der nur einen von mehreren selbständigen Ansprüchen betrifft, für sich allein nicht die höhere Instanz auch für andere Ansprüche zugänglich machen. Anders ausgedrückt bedeutet dies, daß ein Streit um einen selbständigen Anspruch nicht schon deshalb berufungsfähig wird, weil dem Erstgericht ein wesentlicher Verfahrensmangel unterlaufen ist, der ausschließlich einen anderen Anspruch betrifft oder sonstwie einer verfahrensrechtlichen Beziehung zu jenem selbständigen Anspruch entbehrt. Ein solcher Fall ist hier gegeben. Der wesentliche Verfahrensmangel des SG - der Verstoß gegen § 123 SGG - betrifft nicht den vom Kläger erhobenen prozessualen Anspruch, sondern liegt außerhalb seines Bereichs. Er war deshalb nicht geeignet, in Durchbrechung des Berufungsausschlusses des § 146 SGG zu einer abermaligen sachlich-rechtlichen Prüfung des Klagebegehrens zu führen.
Die somit nicht statthafte Revision der Beklagten ist als unzulässig zu verwerfen (§ 169 SGG).
Da der Kläger im Revisionsverfahren nicht vertreten ist, hat der Senat davon abgesehen, die Beklagte zur Erstattung von Kosten zu verpflichten (§ 193 SGG).
Fundstellen