Entscheidungsstichwort (Thema)
sozialgerichtliches Verfahren. Revisionsrücknahme. Kosten. unselbständige Anschlußrevision. Unzulässigkeit
Leitsatz (amtlich)
Nach Rücknahme der Revision sind dem Revisionskläger die Kosten einer unselbständigen Anschlußrevision dann nicht aufzuerlegen, wenn diese unzulässig war (Bestätigung und Fortführung von BSG vom 18.7.1989 – 11 RAr 85/88 = SozR 1500 § 193 Nr 8).
Stand: 24. Oktober 2002
Normenkette
SGG § 193 Abs. 1 Hs. 1, § 202; ZPO §§ 556, 522, 554a, 519b; AAÜG § 13 Abs. 1 Nr. 4
Verfahrensgang
Tenor
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Revisionsverfahren mit Ausnahme der durch seine Anschlußrevision entstandenen Kosten.
Gründe
Die Beteiligten haben in der Hauptsache zuletzt noch über die Aufhebung der Bewilligung einer befristeten erweiterten Versorgung für die Zeit vom 1. Dezember 1991 bis 29. Februar 1992 sowie die Rückforderung des hierfür überzahlten Betrages gestritten. Das Landessozialgericht (LSG) hat den angefochtenen Bescheid insofern aufgehoben und im übrigen die Klageabweisung durch das Sozialgericht bestätigt. Die Beklagte hat ihre Revision gegen das Berufungsurteil am 2. August 1996 zurückgenommen. Der Kläger hat sein nach Zustellung der Revisionsbegründung am 27. Dezember 1995 am 24. April 1996 unter Einbeziehung auch der für den Monat März 1992 getroffenen Regelungen in den Klageantrag zunächst eingelegtes Anschlußrechtsmittel am 29. Juli 1996 ebenfalls wieder zurückgenommen.
Das Revisionsgericht hat gemäß § 193 Abs 1 Halbsatz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben; es entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren – wie hier – auf andere Weise beendet wird (Halbsatz 2 ebenda).
Im Hinblick auf die Besonderheiten des sozialgerichtlichen Verfahrens kann regelmäßig den Kostenvorschriften der Zivilprozeßordnung (ZPO) ein Maßstab für die Verpflichtung der Verfahrensbeteiligten zur Erstattung außergerichtlicher Kosten nicht entnommen werden (BSG SozR § 193 SGG Nr 4). Dies gilt insbesondere für diejenigen Normen, die ohne Berücksichtigung der näheren Umstände stets denjenigen belasten, der einen Rechtsbehelf zurückgenommen hat (SozR 1500 § 193 SGG Nr 8). Für die auf der Grundlage einer summarischen Prüfung des Sach- und Streitstandes im Zeitpunkt der Erledigung im Rahmen von § 193 Abs 1 SGG nach sachgemäßem Ermessen zu treffende Entscheidung ist vielmehr in erster Linie der vermutliche Verfahrensausgang von Bedeutung (BSG SozR Nr 4 zu § 193 SGG).
Dieser ergibt sich für Fallkonstellationen der vorliegenden Art aus dem Urteil des Senats vom 30. Januar 1996 (4 RA 16/95 in SozR 3-8570 § 13 Nr 1) und hierauf aufbauend einer Vielzahl weiterer einschlägiger Entscheidungen. Dort ist insbesondere dargelegt, daß § 13 Abs 1 Nr 4 des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes (AAÜG) frühestens ab Januar 1992 und nur nach Maßgabe des § 48 Abs 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) zur Aufhebung der Bewilligung nicht in die gesetzliche Rentenversicherung überführter Versorgungsleistungen ermächtigt, die an hauptberuflich tätige MfS-Offiziere im besonderen Einsatz aufgrund der verdeckenden Tätigkeit geleistet wurden; eine rückwirkende Aufhebung kann allenfalls unter besonders engen Voraussetzungen im Rahmen einer – hier allein in Betracht kommenden – sinngemäßen Anwendung von § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 4 SGB X erfolgen. Indessen ermöglicht weder generell § 13 Abs 1 Satz 4 AAÜG den Betroffenen bereits aus sich heraus klar und eindeutig den Schluß, daß ihr sich aus dem Verwaltungsakt ergebender Anspruch von der Verwaltung zu einem bestimmten Zeitpunkt und in absehbarem Umfang aufgehoben werden muß, noch hatte der Kläger nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG konkret und individuell Anlaß zu der Annahme, daß der sich aus dem ihm erteilten bewilligenden Verwaltungsakt ergebende Anspruch mit der Gesetzeslage nicht mehr vereinbar war. Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, daß die Beklagte mit der Rücknahme ihres Rechtsmittels lediglich dessen Zurückweisung antizipiert hat und demgemäß auch der Kostenausspruch der hierdurch eingetretenen Rechtskraft des Berufungsurteils Rechnung zu tragen hat.
Nicht zu tragen hat die Beklagte indessen diejenigen Kosten, die durch die vom Kläger gemäß §§ 202 SGG, 556 ZPO eingelegte unselbständige Anschlußrevision (vgl zu deren Statthaftigkeit im sozialgerichtlichen Verfahren BSGE 8, 24 ff, 28) entstanden sind:
Die Anschließung ist nach herrschender Auffassung nicht selbst Rechtsmittel (BSGE 8, 24 ff, 28 und BGHZ 4, 229 ff, 233 f jeweils mwN; aA etwa Schneider, Die Anschlußrevision, Festschrift für Fritz Bauer, S 715). Als bloßer Antrag innerhalb des gegnerischen Rechtsmittels verliert sie entsprechend ihrer akzessorischen Natur mit dessen Zurücknahme ohne weiteres jede Wirkung (§§ 202 SGG, 556 Abs 2 Satz 3, 522 Abs 1 ZPO). Sofern daher der Rechtsmittelführer die Möglichkeit zur Anschließung erst eröffnet und ihm zudem auch die Befugnis zur endgültigen Bestimmung ihres weiteren prozessualen Schicksals eingeräumt ist, indem er allein durch eigenes Handeln nach freiem Belieben gleichzeitig den – seinerseits zulässigen (dazu s nachfolgend) – Antrag des Gegners ohne Sachentscheidung (mit-)erledigt, ist bei der Kostengrundentscheidung allein nach Maßgabe der von ihm gestellten Anträge, dh ohne Berücksichtigung der (unselbständigen) Anschließung zu entscheiden (Beschluß des 11. Senats vom 18. Juli 1989 in SozR 1500 § 193 Nr 8).
Demgegenüber weist der hier zu beurteilende Sachverhalt die Besonderheit auf, daß der Kläger seinen Anschließungsantrag erst geraume Zeit nach Ablauf der in § 556 Abs 1 ZPO (vgl zu dessen Anwendbarkeit im sozialgerichtlichen Verfahren BSGE 8, 24 ff, 29; 44, 184) vorgesehenen Frist am 29. Januar 1996 gestellt und ihn mit einer im Revisionsverfahren grundsätzlich unzulässigen (§ 168 Satz 1 SGG) Erweiterung des Klageantrages verbunden hat, so daß er von Anfang an und unverändert auch noch im Zeitpunkt der Rücknahme unzulässig war. Hinsichtlich derartiger spezifischer Voraussetzungen tritt die Akzessorietät der Anschließung in den Hintergrund, so daß sie einer eigenständigen Überprüfung und ggf Verwerfung unterliegt (§ 202 SGG iVm §§ 522a Abs 3, 519b, 556 Abs 2, 554a Abs 1 ZPO; BGHZ 4, 229 ff, 24).
Im Hinblick auf die hiermit verbundene zumindest teilweise Annäherung an ein eigenständiges Rechtsmittel bedarf es dabei auch einer gesonderten Kostenentscheidung (BGHZ 4, 240; 17, 398 ff; 67, 305 ff; 86, 51 ff, 552). Diese hat unter Berücksichtigung der im sozialgerichtlichen Verfahren maßgeblichen Beurteilungskriterien insbesondere zu beachten, daß bei Erledigung einer unzulässigen Anschließung durch die Rücknahme des „Haupt”-)Rechtsmittels lediglich eine prozessuale Stellung entfällt, deren Erfolglosigkeit ohnehin feststeht und dem Rechtsmittelführer nicht die Einhaltung von Zulässigkeitserfordernissen zugerechnet werden darf, auf die er ersichtlich ohne jeden Einfluß ist. Nichts anderes kann dann gelten, wenn die aussichtslose Anschlußrevision – wie hier – im Zeitpunkt der Verfahrensbeendigung bereits zurückgenommen war. Unter Berücksichtigung dieser Erwägungen hat auch die Rechtsprechung zum Zivilprozeßrecht den Grundsatz, der Rechtsmittelführer habe auch die Kosten der Revision und Anschlußrevision bei Zurücknahme seines Rechtsmittels zu tragen, stets auf die Fälle einer ihrerseits zulässigen Anschließung beschränkt (BGH, aaO sowie die Nachweise bei Rosenberg-Schwab, Zivilprozeßrecht, 11. Auflage, § 139 II 1).
Der Senat weicht mit seiner Auffassung nicht von der im zitierten Beschluß des 11. Senats vertretenen Rechtsmeinung ab. Den dortigen Ausführungen kann ein Rechtssatz des Inhalts, daß eine selbständige Regelung über die Kosten des Anschlußrechtsmittels stets als ausgeschlossen anzusehen wäre, nicht entnommen werden; zu einer derartigen Aussage gibt weder der mitgeteilte Sachverhalt Anlaß noch ist aus der vorgenommenen rechtlichen Würdigung in irgendeiner Weise der Wille erkennbar, darüber hinaus gleichzeitig auch die kostenrechtlichen Konsequenzen der unzulässigen Anschließung abschließend zu bestimmen. Der – nichtamtliche – Leitsatz trägt dem zutreffend Rechnung, indem er die alleinige Maßgeblichkeit der vom Rechtsmittelkläger gestellten Anträge ausdrücklich nur „in der Regel” postuliert.
Fundstellen
Haufe-Index 1173754 |
MDR 1997, 687 |
SozR 3-1500 § 193, Nr.9 |
Breith. 1997, 819 |
SozSi 1997, 357 |