Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Fehlen des Bedürfnisses für die Klärung einer Rechtsfrage im Revisionsverfahren. Auslegung von Abrechnungsbestimmungen im Krankenhausvergütungsrecht
Orientierungssatz
1. Das Bedürfnis für die Klärung einer Rechtsfrage in einem Revisionsverfahren fehlt, wenn das BSG die Rechtsfrage zwar nicht unter den dort aufgeworfenen Aspekten ausdrücklich behandelt hat, aber deren Beantwortung einerseits nach der klaren Rechtslage nicht ernsthaft in Zweifel steht und verbleibende Restzweifel andererseits aufgrund der dazu ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung im Ergebnis jedenfalls bereits ausgeräumt sind, sodass eine weitere Klärung oder Fortentwicklung des Rechts nicht mehr zu erwarten ist (vgl zB BSG vom 19.6.2018 - B 1 KR 16/17 B - juris RdNr 6).
2. Die Deutschen Kodierrichtlinien (DKR) und die in der Fallpauschalenvereinbarung (FPV) enthaltenen Abrechnungsbestimmungen sind einschließlich des ICD 10 GM und des OPS wegen ihrer Funktion im Gefüge der Ermittlung des Vergütungstatbestands innerhalb eines vorgegebenen Vergütungssystems stets eng am Wortlaut orientiert und unterstützt durch systematische Erwägungen auszulegen; Bewertungen und Bewertungsrelationen bleiben außer Betracht (vgl ua BSG vom 8.11.2011 - B 1 KR 8/11 R = BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2 RdNrn 18 und 27).
Normenkette
SGB V § 160 Abs. 2 Nr. 1, § 301 Abs. 2; DKR; DKR 2014; FPVBG; FPVBG 2014; ICD-10-GM; ICD-10-GM 2014; OPS Nr 5-793.8; OPS 2014 Nr 5-793.8
Verfahrensgang
SG Mannheim (Urteil vom 20.09.2017; Aktenzeichen S 7 KR 2612/16) |
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 15.05.2018; Aktenzeichen L 11 KR 4134/17) |
Tenor
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 15. Mai 2018 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2304,84 Euro festgesetzt.
Gründe
I. Die Klägerin, Trägerin eines für die Behandlung Versicherter zugelassenen Krankenhauses, behandelte die bei der beklagten Krankenkasse versicherte C. B. (im Folgenden: Versicherte) vollstationär in der Zeit vom 19. bis zum 23.4.2014 wegen einer bimalleolaren Luxationsfraktur des rechten Sprunggelenks mit Absprengung eines kleinen hinteren Volkmanndreiecks (trimalleolare Luxationsfraktur). Sie kodierte ua die Prozeduren nach dem 2014 geltenden Operationen- und Prozedurenschlüssel (OPS) 5-794.2r (Offene Reposition einer Mehrfragment-Fraktur im Gelenkbereich eines langen Röhrenknochens, durch Platte: Fibula distal), 5-793.1n (Offene Reposition einer einfachen Fraktur im Gelenkbereich eines langen Röhrenknochens, durch Schraube: Tibia distal) und - nach Korrektur - 5-793.2n (Offene Reposition einer einfachen Fraktur im Gelenkbereich eines langen Röhrenknochens durch Draht oder Zuggurtung/Cerclage: Tibia distal) und berechnete hierfür ausgehend von der Fallpauschale (Diagnosis Related Group 2014 ≪DRG≫) I13C (Bestimmte Eingriffe an Humerus, Tibia, Fibula und Sprunggelenk mit best. Mehrfacheingr. od. kompl. Diagn. od. best. kompl. Osteotomie bei kompl. Eingriff od. schw. Weichteilschaden, oder bestimmte Eingriffe bei Endoprothese der oberen Extremität) 6666,25 Euro (Rechnung vom 14.5.2014). Die Beklagte beglich zunächst die Rechnung, forderte aber später aufgrund einer Stellungnahme des Sozialmedizinischen Dienstes vergeblich 2304,84 Euro zurück und kürzte in dieser Höhe unstreitige Rechnungen der Klägerin für die Behandlung anderer Versicherter: Es dürften nicht zwei Osteosynthesen kodiert werden, da nur eine offene Reposition erfolgt sei. Diese sei abzubilden durch den OPS 5-793.1n. Die zusätzliche Osteosynthese mit Einbringung von Kirschnerdraht sei durch den Zusatzkode OPS 5-786.1 zu kodieren. Für dieses Osteosyntheseverfahren sei eine erneute offene Reposition nicht erforderlich gewesen. Es ergebe sich die DRG I13E (Bestimmte Eingriffe an Humerus, Tibia, Fibula und Sprunggelenk mit mäßig komplexem Eingriff oder bei Pseudarthrose). Das SG hat die Beklagte zur Zahlung des restlichen Rechnungsbetrags von 2304,84 Euro nebst Zinsen verurteilt (Urteil vom 20.9.2017). Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen: Die Klägerin dürfe neben OPS 5-794.2r auch OPS 5-793.1n und 5-793.2n kodieren, sodass die DRG I13C angesteuert werde. Nach den Hinweisen zum OPS-Kode 5-793-8 (Offene Reposition einer einfachen Fraktur im Gelenkbereich eines langen Röhrenknochens durch Materialkombinationen) seien diese Kodes im Geltungsbereich des G-DRG-Systems (§ 17b KHG) nicht zu verwenden, dafür seien bei Kombinationen von Osteosynthesematerialien während eines Eingriffs alle Komponenten einzeln zu kodieren (Urteil vom 15.5.2018).
Die Beklagte wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.
II. Die Beschwerde der Beklagten ist unbegründet. Die grundsätzliche Bedeutung der gestellten Rechtsfragen (Zulassungsgrund nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG) liegt nicht vor.
1. Die Beschwerde, mit der die Beklagte allein die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend macht (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) ist zulässig. Ihr Vortrag genügt den Anforderungen an die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung, obwohl der erkennende Senat eine Beschwerde der Beklagten mit wortgleichen Rechtsfragen zurückgewiesen hat (vgl BSG Beschluss vom 19.6.2018 - B 1 KR 58/17 B - Juris). Die Zustellung dieses Beschlusses ist erst nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist erfolgt. Die Beschwerde ist nicht begründet. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Hieran fehlt es.
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Die Beklagte formuliert als Rechtsfragen: |
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"Sind mehrere OPS-Kodes, von denen jeder einzelne sowohl die Reposition einer Fraktur als auch ein verwendetes Osteosyntheseverfahren abbildet, auch dann nebeneinander zu verwenden, wenn tatsächlich nur eine einzige Reposition durchgeführt und die Fraktur mit verschiedenen Osteosyntheseverfahren versorgt wurde?" |
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"Führen Exklusiva bei Prozeduren (OPS) im Gegensatz zu Diagnosen (ICD) generell zu einem Ausschluss?" |
Die aufgeworfenen Rechtsfragen haben keine grundsätzliche Bedeutung; sie bedürfen keiner Klärung in einem Revisionsverfahren. Das Bedürfnis für die Klärung einer Rechtsfrage in einem Revisionsverfahren fehlt, wenn das BSG die Rechtsfrage zwar nicht unter den dort aufgeworfenen Aspekten ausdrücklich behandelt hat, aber deren Beantwortung einerseits nach der klaren Rechtslage nicht ernsthaft in Zweifel steht (vgl auch BSG Beschluss vom 16.4.2012 - B 1 KR 25/11 B - Juris RdNr 7; BSG Beschluss vom 19.12.2017 - B 1 KR 17/17 B - Juris RdNr 6) und verbleibende Restzweifel andererseits aufgrund der dazu ergangenen höchstrichterlichen Rspr im Ergebnis jedenfalls bereits ausgeräumt sind, sodass eine weitere Klärung oder Fortentwicklung des Rechts nicht mehr zu erwarten ist (vgl BSG Beschluss vom 19.6.2018 - B 1 KR 16/17 B - Juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 28.3.2017 - B 1 KR 66/16 B - Juris RdNr 7). So liegt der Fall hier. Es steht außer Zweifel, dass bei der Reposition einer Fraktur durch Materialkombinationen, dh die Verwendung mehrerer Osteosynthesematerialien, seit der Version 2010 des OPS die den verwendeten Osteosyntheseverfahren zugeordneten Prozeduren aus dem OPS-Abschnitt 5-79 im Kapitel 5 "Operationen" nebeneinander zu kodieren sind (vgl auch BSG Beschluss vom 19.6.2018 - B 1 KR 58/17 B - Juris RdNr 6). Die Klägerin durfte neben OPS 5-794.2r auch OPS 5-793.1n und OPS 5-793.2n kodieren. Die Kodierung eines Zusatzkodes aus dem Abschnitt 5-786 kommt bei der Osteosynthese einer Fraktur hingegen nicht in Betracht.
Nach der Rspr des erkennenden Senats (BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2, RdNr 27; BSG SozR 4-2500 § 301 Nr 1 RdNr 14; BSG SozR 4-5562 § 9 Nr 4 RdNr 13; zur Auslegung von medizinischen Begriffen im OPS vgl BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 32, RdNr 12 ff; stRspr) sind die Deutschen Kodierrichtlinien (DKR) und die in der Fallpauschalenvereinbarung (FPV) enthaltenen Abrechnungsbestimmungen (zur normativen Wirkung der FPV und der DKR vgl BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2, RdNr 18) einschließlich des ICD-10-GM und des OPS wegen ihrer Funktion im Gefüge der Ermittlung des Vergütungstatbestands innerhalb eines vorgegebenen Vergütungssystems stets eng am Wortlaut orientiert und unterstützt durch systematische Erwägungen auszulegen; Bewertungen und Bewertungsrelationen bleiben außer Betracht.
Nach diesen Auslegungsmethoden wirft die Beantwortung der von der Beklagten gestellten Rechtsfragen keine ernsthaften, noch in einem Revisionsverfahren zu klärenden Zweifel auf. Der Wortlaut gibt die mehrfache Kodierung von Prozeduren aus dem OPS-Abschnitt 5-79 vor. Die Hinweise zu OPS 5-793.8 sehen vor, dass "bei Kombinationen von Osteosynthesematerialien während eines Eingriffs alle Komponenten einzeln zu kodieren" sind. Der Begriff "Komponente" bezieht sich erkennbar nicht auf das Verhältnis zwischen einer Reposition und dem verwendeten Osteosynthesematerial, sondern auf das Verhältnis mehrerer verwendeter Osteosynthesematerialien. Er steht einer mehrfachen Kodierung von Prozeduren aus dem OPS-Abschnitt 5-79 nicht entgegen. Eine andere Kodierung als nach OPS 5-793 und 5-794 ist hier ausgeschlossen. Der OPS-Abschnitt 5-79 sieht eine isolierte Kodierung einzelner Komponenten von Osteosynthesematerial für das GKV-System nicht vor. Die zwingende Ausschlussregelung bei den OPS-Kodes 5-786 verbietet nach ihrem klaren Wortlaut strikt, die Zusatzkodes bei der "Osteosynthese einer Fraktur (5-79 ff.)" zu kodieren. Wollte man keine mehrfache Kodierung von Prozeduren aus dem OPS-Abschnitt 5-79 zulassen, liefe die ausdrückliche Zulassung der Kodierung aller Komponenten bei Kombinationen von Osteosynthesematerialien leer. Der Grundsatz der monokausalen Kodierung (vgl zB P003d der DKR 2014) tritt zurück, da die Hinweise zum OPS 5-79 - wie dargelegt - eine ausdrückliche, in den DKR nicht abbedungene Regelung zur mehrfachen Kodierung enthalten.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 S 1 Teils 3 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO, diejenige über den Streitwert auf § 197a Abs 1 S 1 Teils 1 SGG iVm § 63 Abs 2 S 1, § 52 Abs 1 und 3, § 47 Abs 1 und 3 GKG.
Fundstellen
Dokument-Index HI13124863 |