Leitsatz (amtlich)

Wird die Bewilligung des Armenrechts zur Durchführung einer Nichtzulassungsbeschwerde mit der Begründung begehrt, das Urteil des LSG beruhe auf einem wesentlichen Mangel seines Verfahrens (SGG § 160 Abs 2 Nr 3), so ist das Armenrecht dann zu versagen, wenn eine zugelassene Revision auf Grund der für das Revisionsgericht bindenden Feststellungen des LSG materiell-rechtlich nicht zum Erfolg führen könnte.

 

Normenkette

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3 Fassung: 1974-07-30, § 167 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03; ZPO § 114 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1950-09-12

 

Tenor

Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde vor dem Bundessozialgericht das Armenrecht zu bewilligen, wird abgelehnt.

 

Gründe

Der Kläger bezog ab 28. August 1971 Arbeitslosenhilfe (Alhi). Im Jahre 1972 stellte das Arbeitsamt T mit zwei Bescheiden den Eintritt von Sperrzeiten von je vier Wochen fest. Es bot dem Kläger zum 4. Dezember 1972 eine Arbeit als Bauhelfer bei der Firma K in N an, die er nicht aufnahm. Daraufhin hob das Arbeitsamt (ArbA) am 31. Januar 1973 die Bewilligung der Alhi vom 4. Dezember 1972 an wegen Eintritts einer neuen Sperrzeit auf und stellte fest, der Anspruch des Klägers auf Alhi sei deshalb erloschen.

Vom 2. bis zum 15. Februar 1973, vom 16. März bis zum 3. April 1973, vom 6. Juni bis zum 9. August 1973 und vom 3. bis zum 17. September 1973 stand der Kläger in Arbeit; er war vom 4. bis zum 20. April 1973 arbeitsunfähig krank. Am 24. April, 10. August und 18. September 1973 beantragte er Leistungen nach dem Arbeitsförderungsgesetz (AFG). Das ArbA lehnte die Anträge ab, weil der Kläger seit dem Erlöschen des Anspruchs auf Alhi nicht mindestens 26 Wochen in entlohnter Beschäftigung gestanden habe.

Ab 4. Juli 1972 wiederholte der Kläger einen früheren Antrag förmlich, ihm Leistungen zur Förderung der Teilnahme an einer Fahrschule mit dem Ziel zu gewähren, den Omnibusführerschein zu erwerben. Diesen Antrag lehnte das ArbA ebenfalls ab.

Gegen sämtliche Bescheide erhob der Kläger erfolglos Widerspruch. Seine Klagen hat das Sozialgericht (SG) Trier zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung verbunden und abgewiesen. Die Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz mit Urteil vom 15. August 1975 als unbegründet zurückgewiesen, soweit sie die Anfechtung des Bescheides vom 31. Januar 1973 und soweit sie die Alhi seit dem 18. September 1973 und die Förderung der Teilnahme an der Fahrschule betrafen; im übrigen hat das LSG die Berufung als unzulässig verworfen.

Zur Begründung hat das LSG u. a. ausgeführt: Das SG habe die vom Kläger begehrten Leistungen zur Förderung der beruflichen Bildung mit Recht abgewiesen. Soweit der Kläger mit seiner Berufung für Zeiten nach dem Erlöschen seines Anspruchs auf Alhi diese Leistung begehre, sei die Berufung nach § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG unzulässig. Das LSG hat die Revision nicht zugelassen.

Der Kläger hat um die Bewilligung des Armenrechts zur Durchführung der Nichtzulassungsbeschwerde gebeten und mit einem von ihm selbst unterzeichneten Schreiben Beschwerde eingelegt. Der Kläger will erreichen, daß die Beklagte verurteilt wird, ihm seit dem 4. Dezember 1972 Alhi "sowie Arbeitslosenunterstützung" nachzuzahlen und die Erlangung des Omnibusführerscheins zu fördern.

Das vom Kläger begehrte Armenrecht war abzulehnen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§§ 167 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -, 114 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung - ZPO -).

Hinsichtlich der Entscheidung des LSG über die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 31. Januar 1973 ist ein Grund für die Zulassung der Revision nicht zu erkennen. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung, und das Urteil des LSG weicht weder von einer Entscheidung der in § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Art ab noch kann ein Verfahrensmangel i. S. des § 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG geltend gemacht werden. Das LSG hat insoweit insbesondere keinen Beweisantrag des Klägers übergangen.

Auch hinsichtlich der Entscheidung des LSG über die im Jahre 1973 vom Kläger gestellten Anträge auf Leistungen liegen die Voraussetzungen für die Bewilligung des Armenrechts nicht vor. Allerdings mag insoweit die beabsichtigte Nichtzulassungsbeschwerde i. S. der §§ 167 Abs. 2 SGG, 114 Abs. 1 ZPO eine hinreichende Aussicht auf Erfolg bieten, weil es fraglich erscheint, ob die Berufung des Klägers insoweit unzulässig war. Wird die Bewilligung des Armenrechts zur Durchführung einer Nichtzulassungsbeschwerde mit der Begründung begehrt, das Urteil des LSG beruhe auf einem wesentlichen Mangel seines Verfahrens (§ 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG), so bietet die Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn eine zugelassene Revision auf Grund der für das Revisionsgericht bindenden Feststellungen des LSG materiell-rechtlich nicht zum Erfolg führen könnte. Dies folgt aus Sinn und Zweck der Gewährung des Armenrechts, insbesondere dem in § 114 Abs. 1 Satz 2 ZPO enthaltenen Grundgedanken. Darin kommt zum Ausdruck, daß es für die Bewilligung des Armenrechts nicht ausreicht, wenn der Antragsteller Aussicht auf eine ihm günstige Entscheidung hat. Vielmehr ist das Armenrechts dann zu versagen, wenn eine verständige, nicht arme Partei in einem gleichliegenden Fall von der Rechtsverfolgung absehen würde (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 32. Aufl., § 114 2 D; vgl. auch Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht, 11. Aufl., § 90 II 2 b). Deshalb ist der Nutzen einer Entscheidung überhaupt maßgebend (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann aaO). Das Armenrecht soll dem materiellen Recht zum Sieg verhelfen (Gaedeke, Mutwilligkeit der Rechtsverfolgung in höherer Instanz, JW 1935, 2540). Der Umstand, daß die Zulassung der Revision, sofern sie das LSG in seinem Urteil nicht zugelassen hat, in einem besonderen Beschwerdeverfahren (§ 160 Abs. 1 SGG) geregelt ist, schließt bei der Prüfung eines Armenrechtsverfahrens nicht aus, daß die hinreichende Aussicht des materiell-rechtlichen Anspruchs auf Erfolg im Falle der Zulassung der Revision zu berücksichtigen ist, dies jedenfalls dann, wenn die Zulassung der Revision ausschließlich auf einen Verfahrensmangel i. S. des § 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG gestützt werden kann. Eine nur auf die Erfolgsaussicht der Beschwerde nach § 160 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 3 SGG beschränkte Betrachtung wäre rein formeller Natur; dies steht aber dem Grundgedanken der Bewilligung des Armenrechts, welches zur Verwirklichung eines materiell-rechtlich zustehenden Anspruchs dienen soll, entgegen. Wenn - wie im vorliegenden Fall - das LSG die Berufung des Klägers gegen das klagabweisende Urteil des SG in bezug auf die geltend gemachten Ansprüche des Klägers auf Alhi - möglicherweise fehlerhaft - als unzulässig verworfen hat, so wäre die Bewilligung des Armenrechts zur Durchführung der Nichtzulassungsbeschwerde, die gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG zur Zulassung der Revision führen würde, nur ein "Scheinerfolg", wenn die Revision auf Grund der für das Revisionsgericht bindenden Feststellungen des LSG zu keinem materiell-rechtlichen Erfolg führen kann. Geht man - wie oben ausgeführt - davon aus, daß das Armenrecht der armen Partei die Möglichkeit eröffnen soll, einen mit hinreichendem Erfolg ausgestatteten materiell-rechtlichen Anspruch vor Gericht - wie eine nicht arme Partei - durchzusetzen, so ist es folgerichtig, im Rahmen des § 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG nicht den "Scheinerfolg", sondern den materiell-rechtlichen Erfolg eines möglichen späteren Revisionsverfahrens zu berücksichtigen. Ob und inwieweit dann die späteren materiell-rechtlichen Erfolgsaussichten im Armenrechtsverfahren unberücksichtigt bleiben müssen, wenn die beabsichtigte Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt wird (und werden kann), daß die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) oder das angefochtene Urteil von einer Entscheidung der in § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG bezeichneten Gerichte abweicht, kann dahinstehen; denn im vorliegenden Fall könnte die Beschwerde nur auf einen Verfahrensmangel i. S. des § 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG gestützt werden.

Die Revision des Klägers hätte - bei ihrer Zulassung - keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, soweit es sich um die von ihm im Jahre 1973 gestellten Anträge auf Alhi handelt. Das ArbA Trier hat in seinem Bescheid vom 31. Januar 1973 das Erlöschen des Anspruchs auf Alhi festgestellt. Der Anspruch auf Alhi setzt gemäß § 134 Abs. 1 Nr. 4 AFG voraus, daß der Arbeitslose innerhalb eines Jahres vor der Arbeitslosmeldung, die dem Antrag auf Alhi vorausgeht, nach dem Erlöschen des letzten Anspruchs auf Alhi mindestens 26 Wochen in entlohnter Beschäftigung gestanden hat. Für den Anspruch auf Arbeitslosengeld gilt nach § 104 Abs. 1 AFG die gleiche Einschränkung. Diese Voraussetzung hat der Kläger nach den bindenden Feststellungen des LSG nicht erfüllt, so daß seine Ansprüche gemäß den Anträgen aus dem Jahre 1973 nicht zum Erfolg führen können.

Schließlich konnte dem Kläger das Armenrecht auch nicht bewilligt werden für eine Nichtzulassungsbeschwerde wegen des Antrags auf Förderung der beruflichen Bildung. Die Rechtssache hat insoweit keine grundsätzliche Bedeutung, und das Urteil des LSG weicht auch nicht von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts oder des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes ab (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 u. 2 SGG). Ein Verfahrensmangel i. S. des § 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG ist vom Kläger nicht gerügt worden und auch nicht zu erkennen. Insbesondere liegt ein solcher Mangel nicht darin, daß das LSG den Zeugen I nicht vernommen hat. Es unterstellt ausdrücklich die Richtigkeit der Behauptung des Klägers, zu der der Zeuge aussagen sollte. Damit war eine Vernehmung des vom Kläger genannten Zeugen nicht mehr erforderlich, so daß eine Verletzung des § 103 SGG iVm § 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG nicht vorliegt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1647806

NJW 1976, 1911

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