Entscheidungsstichwort (Thema)

Nichtzulassungsbeschwerde. erneute Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage

 

Orientierungssatz

Um einen erneuten Bedarf nach höchstrichterlicher Klärung aufzuzeigen reicht es nicht aus, eine einzelne Literaturstimme anzuführen, die von der allgemein auch im Schrifttum geteilten Auffassung abweicht.

 

Normenkette

SGG § 160 Abs 2 Nr 1, § 160a Abs 2 S 3

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 17.12.1991; Aktenzeichen L 6 An 1127/89)

 

Tatbestand

Der 1947 geborene Kläger begehrt in der Hauptsache die Gewährung einer Rente wegen Berufsunfähigkeit. Das Landessozialgericht (LSG) hat seine Berufung gegen das die Klage abweisende Urteil des Sozialgerichts (SG) Mannheim vom 13. April 1989 zurückgewiesen, weil er zwar mit den bis Dezember 1983 geleisteten Pflichtbeiträgen die Wartezeit erfüllt habe, jedoch seit Januar 1985 weder Beitrags- noch sog Schiebezeiten vorlägen und der Versicherungsfall jedenfalls nicht bis zum 31. Dezember 1986 eingetreten sei. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens sei davon auszugehen, daß der Kläger schon in der Zeit vor dem 31. Dezember 1986 an seelischen Störungen iS einer Angst- und Zwangsneurose gelitten habe. Mit der gebotenen, vernünftige Zweifel ausschließenden hohen Wahrscheinlichkeit könne aber die zusätzlich erforderliche Feststellung nicht getroffen werden, daß die seelischen Störungen bis zum 31. Dezember 1986 bei der dem Kläger zuzumutenden Willensanstrengung nicht überwindbar gewesen seien.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde des Klägers ist in entsprechender Anwendung von § 169 Satz 2 und 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als unzulässig zu verwerfen. Er hat entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG den Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG nicht hinreichend "dargelegt".

Der Kläger hält die Frage für grundsätzlich bedeutsam, "welcher Maßstab bei der Feststellung der anspruchsbegründenden Tatbestandsmerkmale anzulegen ist, dh, welchen Anforderungen der Beweis dieser Tatsachen genügen muß" (S. 2 der Beschwerdebegründung). Es kann dahingestellt bleiben, ob er damit eine Rechtsfrage iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG hinreichend bestimmt formuliert hat. Gleichfalls ist nicht weiter darauf einzugehen, ob die Ausführungen zu der angeblich über den Einzelfall hinausgehenden Bedeutung dieser Frage ausreichen (S. 2 f der Beschwerdebegründung). Die Beschwerdebegründung zeigt nämlich nicht schlüssig auf, daß die angesprochene Thematik noch höchstrichterlicher Klärung bedarf und in dem angestrebten Revisionsverfahren notwendig zu klären wäre, was angesichts der Sach- und Rechtslage wohl auch nicht möglich war.

Die angebliche Klärungsbedürftigkeit der og Frage des Klägers wird in der Beschwerdebegründung (S. 3 - 6) im wesentlichen daraus hergeleitet, daß drei Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG; in: SozR Nrn 38, 39, 76 zu § 1246 Reichsversicherungsordnung <RVO>), auf die sich das LSG gestützt hat (S. 10 im LSG-Urteil), seitens der Literatur widersprochen worden sei. Der Vortrag hierzu ist schon deswegen nicht hinreichend substantiiert, weil der angebliche Widerspruch durch Hennies (in: Koch/Hartmann ua, Das Angestelltenversicherungsgesetz, § 23 AVG, B II 1) nicht verdeutlicht worden ist: Die vom Kläger zitierte Stelle stimmt gerade mit der Rechtsprechung des BSG darin überein, daß (abgesehen von - hier nicht gegebenen - gesetzlichen Beweiserleichterungen) verfahrensrechtlich die "Tatsachen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bewiesen seien" müssen. Die Kritik von Hennies an der Formulierung in den og Urteilen des BSG, die Simulationsnähe neurotischer Zustandsbilder sei Grund genug, um höchste Sorgfalt bei der Ermittlung des Sachverhaltes und Sicherheit des Beweises zu verlangen, es sei ein "strenger Maßstab" anzulegen, betrifft lediglich den dadurch uU erweckten Anschein, bei der Ermittlung des Sachverhaltes könnten unterschiedlich hohe Sorgfaltspflichten bestehen. In der Frage des Beweismaßstabes, also im Blick auf den Grad der Gewißheit, der für die richterliche Überzeugungsbildung maßgeblich ist, stimmt Hennies mit der Rechtsprechung des BSG, der das LSG gefolgt ist, überein. Soweit die Beschwerdebegründung unter Berufung auf Zweng/Scheerer (Handbuch der Rentenversicherung, RVO § 1246, A) als Widerspruch zur Rechtsprechung des BSG anführt, es könnten "keine strengeren oder milderen Anforderungen an den Beweis gestellt werden je nach dem Beweisthema. Vielmehr genüge auch hier wie überall im Sozialgerichtsprozeß die überwiegende Wahrscheinlichkeit ... ", ist nicht näher darauf einzugehen, daß diese Ansicht offensichtlich nicht zutrifft: denn ebenso wie allgemein müssen auch im Sozialrecht - vorbehaltlich gesetzlicher Beweiserleichterungen (zB Glaubhaftmachung) - alle anspruchsbegründenden Tatsachen zur Überzeugung des Tatrichters erwiesen sein, dh ohne vernünftige Zweifel oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehen (so zB BSG SozR 1500 § 128 Nr 34 S. 29; SozR 1500 § 128 Nr 35 S. 35; BSG SozR 2200 § 581 Nr 26 S. 88; alle mwN auch zum zustimmenden Schrifttum). Die Beschwerdebegründung hätte - was sich aus den angeführten Thesen von Zweng/Scheerer nicht ergibt - auch dartun müssen, aus welchen Gründen der Auffassung von Zweng/Scheerer, im Sozialgerichtsprozeß reiche der Überzeugungsgrad der Glaubhaftmachung (= überwiegende Wahrscheinlichkeit), höchstrichterlich gefolgt werden soll. Darüber hinaus reicht es nicht aus, eine einzelne Literaturstimme anzuführen, die von der allgemein auch im Schrifttum geteilten Auffassung abweicht (vgl Meyer/Ladewig, SGG, 4. Auflage 1991, § 118 Rz 5, § 128 Rz 3), um einen erneuten Bedarf nach höchstrichterlicher Klärung aufzuzeigen.

Deswegen ist nicht im einzelnen darzulegen, weshalb der Vortrag des Klägers auch nicht ausreicht, die sog Klärungsfähigkeit der og Frage darzulegen. Der Beschwerdeführer muß nämlich den Weg, der in dem angestrebten Revisionsverfahren vom BSG einzuschlagen ist und das Revisionsgericht zwingt, die für grundsätzlich bedeutsam erachtete Frage zu entscheiden, aufzeigen. Da das Revisionsgericht an die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts gebunden ist (§ 163 SGG), soweit dagegen keine zulässigen und begründeten Verfahrensrügen erhoben werden (§ 164 Abs 2 Satz 3 SGG), hätte schlüssig dargestellt werden müssen, welche zulässigen und begründeten Verfahrensrügen gegen welche tatsächlichen Feststellungen des LSG erhoben werden sollen und weshalb das LSG - was im Revisions- aber nicht im Beschwerdeverfahren gerügt werden kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) - die Grenzen seines Rechts verletzt hat, nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu entscheiden. Hierfür reicht nicht aus, einzelne angebliche Verfahrensverstöße des LSG anzudeuten (S. 6 - 10 der Beschwerdebegründung) und die eigene Sicht einer richtigen Beweiswürdigung darzustellen. Vielmehr muß unter Zugrundelegung der - insoweit maßgeblichen - Rechtsauffassung des LSG für jeden angeblichen Verfahrensfehler ua aufgezeigt werden, weshalb das Urteil des Berufungsgerichts auf ihm beruht.

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 160a Abs 4 Satz 3 Halbs 2 SGG ab.

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 193 Abs 1 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1667701

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